Warum der Iran-Konflikt für Putin eine Gratwanderung ist

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Auch Wladimir Putin hat es nicht leicht. Gerade navigiert Russlands Präsident zwischen zwei Polen: der Beziehungspflege zu seinem amerikanischen Kollegen und der „strategischen Partnerschaft“ mit Iran, dessen Kapitulation Donald Trump nun fordert und kaum verhohlen damit droht, den Obersten Führer des Landes, Ali Khamenei, zu töten. Er höre das alles, sagte Putin in der Nacht auf Donnerstag bei seinem jährlichen Treffen mit den Leitern von Nachrichtenagenturen während seines „Internationalen Wirtschaftsforums“ in Sankt Petersburg. „Aber ich will darüber nicht einmal diskutieren.“

Zwar haben Putin und sein Apparat den israelischen Angriff vorige Woche verurteilt. Zu Beginn schien man dennoch Vorteile für sich zu sehen, die Andrej Kortunow vom kremltreuen Russischen Rat für Internationale Angelegenheiten in der Zeitung „Kommersant“ am Montag aufzählte. Gestiegene Öl- und Gaspreise bedeuten mehr Geld für die russische Staatskasse, die längst eine Kriegskasse ist. Die überfallene Ukraine rückt in den Hintergrund, obwohl die Raketen- und Drohnenschläge der Invasoren immer mehr Opfer fordern. So wurden in der Nacht auf Dienstag in Kiew 28 Menschen getötet. Als Putin bei seinem nächtlichen Auftritt nach ihnen gefragt wurde, sprach er von seinem Ziel, die Ukraine „demilitarisieren“ zu wollen.

Kortunow hob in seiner Aufzählung hervor: „Jede nahöstliche Zuspitzung lenkt die Aufmerksamkeit der Gegner Moskaus vom ukrainischen Thema ab, ändert die Prioritäten der westlichen Militärhilfsprogramme.“ Sollten sich die Europäer und die USA in Sachen Nahost entzweien, diene auch das Russlands Interessen.

Recep Tayyip Erdogan, Benjamin Netanjahu, Ali Khamenei, Mohammed Bin Salman
Israel und IranEin Krieg, der den Nahen Osten verändern dürfte

In diesem Sinne hat sich Putin zweimal, am 4. und am 14. Juni, in Telefonaten mit Trump als Vermittler im Konflikt mit Iran angeboten. Der Amerikaner wirkte angetan, die Europäer nicht. Das ist für Moskau schon ein Punkt. Im Kreml dürfte man es auch Putins Charmeoffensive gutschreiben, dass Trump neue Sanktionen gegen Russland ablehnt, dass sich keine neue amerikanische Militärunterstützung für die Ukraine abzeichnet und dass Kiew zufolge sogar fest zugesagte Anti-Drohnen-Raketen stattdessen an US-Truppen im Nahen Osten gehen.

Der Rücksicht auf das für Moskau ertragreiche Verhältnis zu Trump dürfte geschuldet sein, dass die russische Kritik an dem israelischen Angriff auf Iran nicht schärfer ausfällt. Zunächst hatte Trump diese Zurückhaltung erleichtert, indem er beteuerte, nichts mit der Attacke zu tun zu haben. Doch Trumps öffentliche Kehrtwende, seine Behauptung, den Luftraum über Iran zu kontrollieren, die Kapitulationsforderungen und die Tötungsdrohung gegen Khamenei lassen im Nebeneffekt Putin schwach aussehen.

Der hatte aber auch jetzt nur Lob für Trump übrig. Man habe „unseren iranischen Freunden bestimmte Signale“ der Israelis und Amerikaner übermittelt, sagte Putin und warb für einen diplomatischen „Ausweg aus der Situation“, der Iran eine zivile Nutzung der Nuklearenergie ermögliche und Israels Sicherheit gewährleiste. Putin enthob sich aber von dem Geschehen: „Wir zwingen niemandem etwas auf“, die Entscheidung liege bei „all diesen Ländern, vor allem bei Iran und Israel“, sagte er den Nachrichtenagenturleitern.

Keine Zusammenarbeit bei Flugabwehr

„Fakt bleibt Fakt“, hatte Kortunow am Montag gewarnt: Russland habe den israelischen Angriff auf Iran und damit auf einen Staat, mit dem Moskau erst Mitte Januar ein „allumfängliches strategisches Partnerschaftsabkommen“ geschlossen hat, nicht verhindern können. Dieses Abkommen sieht zwar nicht vor, dass ein Partner dem anderen zur Hilfe kommen muss, wenn der angegriffen wird. Dahinter steht, dass Russland auf Irans regionale Rivalen – Aserbaidschan, die Türkei, die arabischen Länder – Rücksicht nehmen muss, im Ukrainekrieg auf sie aus unterschiedlichen Gründen angewiesen ist.

Aber seinerzeit hatte Moskau viel von Zusammenarbeit mit Teheran im Sicherheits- und Verteidigungsbereich gesprochen und die Partnerschaft aufgewertet, auch als Zeichen gegen den Westen als gemeinsamen Feind. Das Regime in Teheran, das Moskau mit Kampfdrohnen im Ukrainekrieg einen entscheidenden Vorteil verschafft hat, dürfte sich von der Partnerschaft auch erhofft haben, moderne russische Kampfflugzeuge zu erhalten und seine schon im Herbst von Israel dezimierten Flugabwehrsysteme wieder aufzufüllen. Daraus wurde nichts, Russland braucht seine Waffen selbst.

Kortunow zufolge verurteilt Moskau zwar Israel, sei aber eindeutig nicht bereit dazu, Iran auch militärische Hilfe zu leisten. Das bestätigte sich jetzt, als ein französischer Journalist Putin fragte, ob Russland bereit sei, Iran neue Waffen zu liefern, um sich vor Israels Angriffen zu schützen. „Wir haben unseren iranischen Freunden irgendwann vorgeschlagen, den Bereich Flugabwehrsysteme anzugehen“, antwortete Putin. „Großes Interesse haben sie nicht gezeigt, das ist alles.“ Verteidigung sei vom Partnerschaftsabkommen nicht erfasst, „unsere iranischen Freunde“ bäten auch jetzt nicht um Waffen. „Also gibt es da praktisch nichts zu diskutieren.“

Der zweite Gesichtsverlust binnen Monaten?

Doch könnte Putin im Nahen Osten der zweite Gesichtsverlust binnen weniger Monate drohen. Im Dezember hatte Moskau nur zusehen können, wie islamistische Aufständische den syrischen Gewaltherrscher stürzten, zu dessen Gunsten man einst den Bürgerkrieg gewendet hatte. Baschar al-Assad soll seither in Russland sein, gezeigt wird er nicht: Putin will die neuen Machthaber in Damaskus, die er jahrelang bombardieren ließ, nicht weiter irritieren, und er verachtet Verlierer.

Kortunow hob hervor, wolle Israel nicht mehr allein Irans Atomprogramm beenden, sondern auch noch einen Regimewechsel herbeiführen – woran Ministerpräsident Benjamin Netanjahu keinen Zweifel lässt –, könnten die Risiken für Russland noch steigen. „Zum Glück für Irans internationale Partner“ wirke dieses Ziel nicht erreichbar, erscheine die Führung in Teheran stabil. Auch Putin sprach nun von einer „Konsolidierung der Gesellschaft um die politische Führung des Landes“, als würde das ausreichen, um Khamenei zu unterstützen, dem er noch im Januar „die besten Wünsche“ übermittelt und für eine „persönliche Kontrolle“ des russisch-iranischen Themas gedankt hatte.

Klar wird neuerlich, dass Putins „strategische Partnerschaften“ ihre Grenzen da finden, wo seine taktischen Interessen schwerer wiegen. Doch er hält an solchen Abkommen fest, will jetzt auch mit Indonesien eine „strategische Partnerschaft“ eingehen, der Präsident des südostasiatischen Landes, Prabowo Subianto, ist sein wichtigster Gast beim Petersburger Forum. Putin, dessen Land ein Demografieproblem hat – das angriffskriegsbedingt schlimmer wird, was ein Tabu ist in Russland –, schwärmte vom Bevölkerungswachstum Indonesiens, das eines der größten Länder der Welt werde.

Doch ein anderer Partner steht derzeit besonders hoch in der Moskauer Gunst: Nordkorea. Sergej Schojgu, der Sekretär von Putins Sicherheitsrat, hob während seines Besuchs in Pjöngjang am Dienstag und Mittwoch hervor, welch „kraftvollen Impuls“ das vor einem Jahr abgeschlossene Abkommen über eine „allumfängliche strategische Partnerschaft“ beider Länder gegeben habe. Dieses sieht, im Gegensatz zum Pendant mit Iran, eine gegenseitige Militärhilfe im Angriffsfall vor. So begründete Moskau auch den Einsatz Tausender nordkoreanischer Soldaten gegen die Ukrainer im westrussischen Gebiet Kursk, als es diesen Ende April nach langem Leugnen zugab. Seither reiht sich Ehrung an Ehrung.

Jetzt sagte Schojgu, Putin und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un hätten entschieden, in beiden Ländern Denkmäler für die in Russland gefallenen Nordkoreaner zu errichten. Kim werde, sagte Schojgu, 1000 Minenräumer und 5000 „Militärbauarbeiter“ zum Wiederaufbau ins Kursker Gebiet schicken, auch das im Rahmen des Partnerschaftsabkommens. Der früher als Verteidigungsminister eher spröde Funktionär schwärmte von Handelschancen und einer möglichen Wiederaufnahme des Flugverkehrs zwischen Russland und Nordkorea „nach mehr als 30 Jahren“, lachte mit Kim und umarmte ihn.