Wie kann Israel Krieg an mehreren Fronten führen?

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Wie schafft es Israel militärisch, die beiden Fronten Iran und Gaza zu bestreiten?

Offiziell spricht der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bereits seit dem Terrorüberfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 von einem „Sieben-Fronten-Krieg“ gegen die Feinde Israels. Doch seit der Eskalation mit Teheran hat sich der Fokus klar verschoben: Bereits einen Tag nach dem Großangriff erklärte die israelische Armee Iran zur Kriegsfront Nummer eins; Gaza steht damit nun an zweiter Stelle. Bei den Angriffen gegen Iran setzt das israelische Militär vor allem die Luftwaffe und Drohnen ein. Eigenen Angaben zufolge verfügt Israel mittlerweile über Luftüberlegenheit bis nach Teheran. Vor der Operation wurde mithilfe des Auslandsgeheimdienstes Mossad offenbar eine Drohnenbasis auf iranischem Boden errichtet, zudem sollen Waffensysteme in das Land geschmuggelt worden sein.

Im Gegensatz dazu sind im Gazastreifen – neben den Bombardierungen aus der Luft – vor allem Infanterie und Artillerie im Einsatz. Etwa die Hälfte der dort stationierten Soldaten soll nun allerdings abgezogen werden, weil Israel Infiltrationsversuche von mit Iran verbündeten Milizen aus den Nachbarländern fürchtet. Zu diesem Zweck will die Armee die Präsenz entlang der Grenzen zu Jordanien und Syrien verstärken – und die Truppen in Gaza dafür reduzieren.

Welche Waffen setzt Israel im Krieg gegen Iran ein?

Israel setzt vor allem auf Kampfflugzeuge des Typs F-35, die für Radaranlagen nur schwer zu erkennen sind. Nach den heftigen Schlägen gegen die iranische Flugabwehr kann das Militär zudem auch auf ältere Kampfflugzeuge, etwa des Typs F-16 und F-15, zurückgreifen. Angaben des britischen International Institute for Strategic Studies (IISS) zufolge verfügt die israelische Luftwaffe über insgesamt 340 einsatzfähige Kampfflugzeuge, darunter 39 des Typs F-35. Um die tief unter der Erde liegende Atomanlage in Fordow zu treffen – laut israelischen Angaben das wichtigste Ziel, um den Bau einer iranischen Atombombe zu verhindern –, bräuchte Israel allerdings bunkerbrechende Bomben. Über diese, wie auch das spezielle Flugzeug für ihren Transport, verfügen bislang nur die USA.

Über welches Raketenarsenal verfügt Iran?

Vor Kriegsbeginn galt Iran als das Land mit dem größten und diversesten Arsenal an ballistischen Raketen in der Region. Die heimische Rüstungsproduktion verfügte über große Kapazitäten. Die genaue Größe des iranischen Raketenarsenals ist unbekannt. Das Zentralkommando der Vereinigten Staaten ging 2022 davon aus, dass Teheran über „mehr als 3000“ ballistische Raketen verfügte. Seitdem dürfte Teheran sein Programm weiter ausgebaut haben, hat aber auch Hunderte dieser Waffen bei vorigen Angriffen auf Israel 2024 verschossen. Ballistische Raketen sind unter anderem aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit schwer abzufangen; sie werden anders als Marschflugkörper nur in der Startphase angetrieben und fliegen in einer hohen ballistischen Kurve und teilweise außerhalb der Erdatmosphäre, bevor sie in ihr Ziel einschlagen.

Recep Tayyip Erdogan, Benjamin Netanjahu, Ali Khamenei, Mohammed Bin Salman
Israel und IranEin Krieg, der den Nahen Osten verändern dürfte

Iran besitzt mehrere ballistische Raketen mit einer Reichweite von mehr als 1000 Kilometern, die Israel erreichen können. Das Land hat sowohl ältere Flüssigkeitsraketen als auch neuere Feststoffraketen, die sich in ihren Antriebswerken unterscheiden. Markus Schiller, der seit 2015 an der Universität der Bundeswehr zu Fernflugkörpern lehrt, sagte der F.A.Z., dass Iran bei seinen jüngsten Angriffen eine Variation an verschiedenen Raketen eingesetzt habe, darunter die Fattah, Kheibar Shekan oder Haj Qasem. Je nach Raketentyp könne Teheran Ziele in Israel in etwa zehn Minuten erreichen und mit einer Genauigkeit von ungefähr 100 bis 300 Metern treffen. Iran behauptete auch, neuartige Raketen oder Hyperschallraketen eingesetzt zu haben.

Laut israelischen Militärangaben von Mittwoch hat Iran seit Kriegsbeginn mehr als 400 Raketen auf Israel abgefeuert. Israels Nationaler Sicherheitsberater Zachi Ha-Negbi sagte, dass Teheran immer noch über „Tausende ballistische Raketen“ verfüge. Fachleute wie Schiller halten das für übertrieben. Das Raketenarsenal Irans sei wie schon bei Russland überschätzt worden, sagte Schiller – dennoch habe es zumindest vor Kriegsbeginn zu dem größten im Nahen Osten gehört.

Wie stark hat Israel Irans Raketenarsenal getroffen?

Die IDF erklärte, dass sie mehr als 200 Startgeräte für ballistische Raketen ausgeschaltet habe – das entspreche „etwa der Hälfte“ von Irans Arsenal. Außerdem sind laut Angaben von Dienstag zwischen 35 und 45 Prozent des iranischen Raketenvorrats zerstört worden. Israels Militär erklärte zudem laut „Jerusalem Post“, dass es einen Großteil der iranischen Kommando- und Kontrolleinheiten zerstört habe, die bei der Koordinierung von Raketenangriffen helfen würden. Unabhängig bestätigen lassen sich diese Angaben nicht. Die Raketenbeschuss auf Israel ging nach den größeren Angriffswellen vom Wochenende zuletzt aber zurück. Das amerikanische Institute for the Study of War (ISW) schreibt, dass Teheran nicht in dem Maß wie ursprünglich geplant zurückschlagen könne, weil Israel Abschussrampen und Silos zerstört oder beschädigt habe. Ein IDF-Vertreter sagte, dass zwar Umfang und Häufigkeit des Beschusses zurückgingen, Iran aber nach wie vor über Angriffsfähigkeiten verfüge.

Wie gut ist die israelische Luftverteidigung aufgestellt?

Der Schutzschirm über Israel gilt als einer der effektivsten der Welt. Er besteht aus mehreren miteinander vernetzten Systemen, die sich gegen unterschiedliche Bedrohungen richten. Laut Militärangaben von Mittwoch haben von insgesamt 400 Raketen nur 20 urbane Gebiete getroffen und Todesopfer und erhebliche Schäden verursacht. Von 1000 Drohnen seien 200 in den israelischen Luftraum eingedrungen – alle seien abgefangen worden oder hätten ihr Ziel nicht erreicht. Das ISW zählte bis Dienstag 39 Raketeneinschläge auf israelischem Territorium.

Fachmann Schiller zeigt sich „beeindruckt“ von der israelischen Abfangquote. Es sei klar, dass nicht alle Raketen abgeschossen werden könnten. Raketenabwehr sei eine hochkomplexe Angelegenheit: Man müsse 24 Stunden am Tag in Bereitschaft sein, ein „Riesennetzwerk“ an Abfang-, Sensor- und Kommunikationssystem aufbauen sowie die Flugbahn des Ziels berechnen. Das wohl bekannteste israelische System, Iron Dome, ist nicht für die Verteidigung von ballistischen Raketen, sondern gegen Geschosse mit kürzerer Reichweite ausgelegt. Zur Abwehr der iranischen Angriffe dürften die Systeme David’s Sling und Arrow zum Einsatz kommen. Arrow 3 ist in der Lage, ballistische Raketen außerhalb der Erdatmosphäre abzufangen.

Ein US-Beamter sagte dem „Wall Street Journal“ nun aber, dass Israels Arrow-Abfangraketen bald knapp werden könnten. Die USA seien sich der Kapazitätsprobleme seit Monaten bewusst. Das kann nicht unabhängig überprüft werden; Fachmann Schiller hält dies allerdings für realistisch, denn auch Israel verfüge über beschränkte Produktionskapazitäten. Der US-Beamte sagte der Zeitung weiter, dass Washington Israel mit Verteidigungssystemen am Boden, zu Wasser und in der Luft verstärkt und seit Juni weitere Raketenabwehrsysteme in die Region geschickt habe. Schon im vergangenen Jahr übergaben die USA Israel das gegen ballistische Raketen gerichtete System THAAD; Washington verfügt allerdings selbst nur über eine geringe Stückzahl.