Rückkehr nach Teheran: Fahrt in den Krieg

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Auf dem Atatürk-Boulevard in Istanbul reiht sich ein iranisches Reisebüro an das nächste. Normalerweise verkaufen sie hier Tickets für Partyboote auf dem Bosporus. Jetzt verkaufen sie Bustickets nach Teheran, weil der Luftraum geschlossen ist und es keine Flüge mehr gibt. Morgens um acht Uhr stehen die ersten Iraner mit Taschen und Koffern auf dem Gehweg im Stadtteil Aksaray. Manche wurden auf Urlaubs- oder Geschäftsreisen vom Krieg überrascht. Andere studieren in der Türkei und haben Semesterferien. Wieder andere arbeiten schwarz in der Türkei und müssen zurück, weil sie jeweils nur drei Monate ohne Visum bleiben können.

Eine verschleierte ältere Frau gibt sich unbesorgt. „Ich habe keine Angst“, sagt sie. „Ich bin im Krieg groß geworden.“ Sie hat sich in Istanbul mit ihrer Tochter getroffen, die aus Washington angereist ist und neben ihr steht. „Meine Mutter freut sich auf zu Hause, weil mein Vater dort auf sie wartet.“ Der Mann lebt in Karadsch, 50 Kilometer nordwestlich von Teheran. Die Stadt gilt als relativ sicher, auch wenn die israelische Luftwaffe dort schon Stützpunkte der Revolutionsgarde bombardiert hat. Die Angriffe seien gezielt, sagt die alte Frau. Am Telefon hat ihr Mann ihr berichtet, dass er kein Bargeld mehr habe, weil die Geldautomaten nicht funktionierten. Viele Geschäfte seien geschlossen. Es sei schwer, an Lebensmittel zu kommen. Seit Donnerstag hat sie nicht mehr mit ihm gesprochen, weil das Regime den Zugang zum Internet blockiert hat. „Wir hoffen, alles wird besser“, sagt die alte Frau. Sie meint einen Regimewechsel. Allerdings glaubt sie nicht wirklich daran. „Sie sind nicht so schwach.“

Das Wort vom Regimewechsel liegt vielen auf der Zunge

Nach solchen Gedanken über die Zukunft des Landes muss man die Leute am Busbahnhof nicht lange fragen. Das Wort vom Regimewechsel liegt vielen auf der Zunge. Aber andere betonen, dass der Krieg die Iraner vereint habe. „Unser Land hat Probleme, aber die müssen wir selbst lösen“, sagt ein Medizinstudent aus Ardebil. „Wir sind vereint gegen die Ausländer.“ Das sei in der Geschichte des Landes immer so gewesen. In Syrien und im Irak habe man sehen können, was mit Ländern geschehe, in denen Regimewechsel von außen erzwungen worden seien. „Wir haben unseren Stolz“, sagt ein Lehramtsstudent aus Golestan. „Wenn sie uns brauchen, werden wir uns beim Militär melden.“ Ein anderer Mann weist die Bitte um ein Interview wütend zurück. „Dein Land hilft Israel, unser Land zu zerstören.“

Ein Arzt, der vor zwei Monaten nach Großbritannien ausgewandert ist und wegen des Kriegs bei seiner Familie in Iran sein will, äußert die Hoffnung, dass das Regime nach dem Krieg zu Reformen gezwungen sein könnte, weil die Herrschenden stärker als bisher auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen sein könnten. Die schwierige Lage habe die Leute zusammengeschweißt, sagt er. „Ich hoffe, dass uns das hilft, unsere Probleme zu lösen.“ Aber ernsthafte Gedanken über die Zukunft mache sich im Moment niemand. „Wir wissen nicht einmal, was heute Abend passiert“, sagt er. Ein anderer schätzt die Lage anders ein. Der Krieg helfe dem totalitären System, seine Macht zu stärken. „Wenn der Oberste Führer getötet wird, werden noch radikalere Kräfte an die Macht kommen.“

Die Fahrt kostet 120 Euro, dreimal so viel wie vor dem Krieg

Es ist halb neun am Morgen, als der erste Bus aus Teheran ankommt. Die Iraner, die aussteigen, wirken nach mehr als 35 Stunden Fahrt müde und erschöpft. „Wir haben keine Verwandten in anderen iranischen Städten“, sagt eine junge Zahnarzthelferin mit tätowiertem Unterarm. Anders als die meisten ihrer Freunde habe sie auch kein Ferienhaus am Kaspischen Meer. Deshalb wollen sie und ihre Mutter bei einer Tante in Istanbul unterkommen. Sie hofft, eine Weile in einer türkischen Fabrik arbeiten zu können. Sie hätten entschieden, das Land zu verlassen, „weil sie gesagt haben, wir sollen Teheran evakuieren“. Mit „sie“ meint sie den amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Die Zahnarzthelferin berichtet von durchwachten Nächten, dem dumpfen Donnern der Explosionen, von horrenden Brotpreisen, getöteten Bekannten und der Angst, nicht mehr die Medikamente kaufen zu können, die ihre Mutter braucht.

Nicht einmal Luftalarm habe es gegeben, klagt die Mutter. Anders als in Israel. Das weiß sie von dem Exilsender Iran International, der in Iran viel mehr Zuschauer hat als das Staatsfernsehen. Sie hoffe, sagt sie, dass der Sohn des Schahs zurückkehre. Der 64 Jahre alte Reza Pahlavi lebt in den Vereinigten Staaten und bietet sich seit Langem als Alternative zum islamistischen Regime an. Er pflegt freundliche Beziehungen zu Israel. In diplomatischen Kreisen wird allerdings bezweifelt, dass er nach 46 Jahren im Exil in der Lage wäre, eine iranische Regierung zu führen. Pahlavi Junior ist vor allem bei älteren Iranern beliebt, die die Herrschaft des Monarchen im Nachhinein verklären. Jüngere Iraner setzen ihre Hoffnung eher auf Oppositionelle im Land. Auf die Frage, ob sie Reza Pahlavi die Aufgabe zutraue, sagt die Frau, seine 86 Jahre alte Mutter Farah Diba könne ihn unterstützen. Die frühere Königin gilt vielen Iranerinnen als Modernisiererin des Landes.

Mitten im Gespräch macht sich Unruhe breit. Gerade sind für kurze Zeit die Internetbeschränkungen in Iran gelockert worden. Die Wartenden bekommen auf einmal Nachrichten von ihren Verwandten. Eine Frau bekommt einen Anruf von ihrer Mutter. In Teheran hätten am Samstag wieder mehr Geschäfte geöffnet. „Die Leute gehen zurück zur Arbeit. Sie sehnen sich nach Normalität“, sagt sie. Auch die Regierung will Normalität demonstrieren. Sie hat die Staatsbediensteten in Teheran angewiesen, zur Arbeit zurückzukehren. „Banken müssen mit 50 Prozent Kapazität arbeiten“, lautet die Anweisung. Wegen der Internetbeschränkungen kommunizieren viele Iraner jetzt mit iranischen Apps wie Bale und Rubikar, die sie wegen der staatlichen Überwachung bisher gemieden hatten.

Diejenigen, die nicht nach Teheran reisen, sondern an der Grenze aussteigen, um in andere iranische Städte zu fahren, berichten, dass die Sicherheitslage dort besser sei. In Urumiye, Isfahan, Täbris oder Chabahar. Jeden Tag fahren derzeit etwa fünf Busse von Istanbul nach Teheran. Die Fahrt kostet umgerechnet 120 Euro, dreimal so viel wie vor dem Krieg.