„Europa braucht eine starke, geeinte Position“

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NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat am Mittwochabend den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Brüssel empfangen. Später sollten weitere Regierungschefs und EU-Spitzen dazustoßen. Nach Ruttes Angaben sollte es vor allem darum gehen, wie man Selenskyj „in eine Position der Stärke bringen kann“ bis zu dem Tag, an dem er entscheide, mit Russland über ein Ende des Krieges zu reden. Dabei gehe es zum einen um weitere militärische Hilfe. Die Ukrainer hätten selbst berechnet, dass sie etwa 19 zusätzliche Luftverteidigungssysteme benötigten, um ihre kritische Energieinfrastruktur zu schützen. Außerdem gehe es um weitere wirtschaftliche Hilfe. Selenskyj sprach von einer sehr guten Gelegenheit, „um über Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu sprechen, für heute und für morgen“. Europa brauche „eine geeinte Position“.  

Im Lauf des Abends wurden weitere Gäste erwartet, um im kleineren Kreis mit Selenskyj zu beraten. Zugesagt hatten Bundeskanzler Olaf Scholz, die Regierungschefs Italiens, der Niederlande und Dänemarks sowie der polnische Staatspräsident Andrzej Duda. Der französische Präsident Emmanuel Macron ließ sich wegen einer Reise zu der von einem Wirbelsturm stark zerstörten Insel Mayotte durch seinen Außenminister Jean-Noël Barrot vertreten, der britische Premierminister Keir Starmer durch Außenminister David Lammy. Außerdem wurden die beiden Spitzen der EU erwartet, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa.

Rutte und Scholz skeptisch gegen Debatte

Sie eilten wie die Regierungschefs von einem Abendessen im Rahmen des EU-Westbalkangipfels zu Ruttes Residenz in der Brüsseler Gemeinde Ixelles. Um die Einladungsliste hatte es einiges Gerangel gegeben. Ursprünglich sollten nur Scholz, Macron und Starmer teilnehmen, dann war der Kreis gewachsen, weil auch andere Staaten, die enge militärische Partner der Ukraine sind, auf eine Teilnahme drangen. In Spanien wurde dagegen mit Verwunderung registriert, dass Ministerpräsident Pedro Sánchez nicht eingeladen war.

Sowohl Rutte als auch Scholz machten vor den Beratungen deutlich, dass sie eine öffentliche Debatte über mögliche Friedensverhandlungen mit Russland für falsch halten. „Wenn wir jetzt untereinander diskutieren, wie ein solches Abkommen aussehen könnte, machen wir es den Russen einfach. Sie sitzen entspannt in ihren Sesseln, hören unseren Diskussionen zu, rauchen genüsslich eine Zigarre und sehen sich das alles im Fernsehen an“, sagte Rutte. „Das halte ich nicht für hilfreich.“ Zwar sei es in Demokratien unvermeidlich, dass solche Debatten öffentlich geführt würden. Doch sei es klug, da „einen Deckel draufzumachen“ und sich darauf zu konzentrieren, was die Ukraine benötige, um im Krieg gegen Russland zu bestehen.

Bundeskanzler Scholz sagte, man müsse „in der richtigen Reihenfolge“ vorgehen. Dafür müsse die Ukraine erst einmal definieren, was ihre Ziele seien und wie sie in eine Situation für Verhandlungen kommen wolle. Man werde vertraulich miteinander beraten, dabei müsse jedoch der Grundsatz klar sein: „Es darf keinen Frieden über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben.“

Treffen in Brüssel: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (l.) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
Treffen in Brüssel: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (l.) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyjdpa

Mehrere Diplomaten äußerten vor dem Treffen die Erwartung, dass es neben der weiteren militärischen und finanziellen Unterstützung darum gehen werde, wie Selenskyj die nächsten Schritte sehe, um zu Verhandlungen mit Putin zu gelangen. Und was die Europäer anbieten könnten, um einen möglichen Waffenstillstand zu unterstützen. Die Verteidigungsministerien mehrerer Staaten stellen dazu schon Überlegungen an, auch Deutschland, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius kürzlich bestätigte. Außerdem gab es dazu bilaterale Kontakte, sowohl zwischen Paris und London als auch zuletzt zwischen Macron und dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk.

Deren Hintergrund sind die Ankündigungen des gewählten US-Präsidenten Donald Trump, er wolle sich um einen raschen Frieden zwischen Kiew und Moskau einsetzen, sowie Überlegungen in seinem Umfeld, dass eine Waffenstillstandslinie von europäischen Truppen abgesichert werden solle. Die Europäer wollen gegenüber Trump mit einer Stimme auftreten und sicherstellen, dass sie nicht übergangen werden. Dazu erwägen sie ihrerseits Angebote an Trump. So sollen etwa Macron und Tusk über eine Größenordnung von 40.000 Soldaten gesprochen haben. Selenskyj wir an diesem Donnerstag auch im Europäischen Rat erwartet, wo er sich mit allen Staats- und Regierungschefs austauschen will