Nach Angriffen auf Iran droht weiter ein neues nukleares Wettrüsten

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12.241 Atomsprengköpfe: Das ist das Ergebnis der neuesten Zählung des globalen nuklearen Arsenals durch das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri. Es sind ein paar hundert weniger als im vergangenen Jahr. Doch die Feststellung des Instituts ist nicht optimistisch: Die Zeit, in der die Atommächte ihre Bestände verkleinert haben, geht ihrem Ende entgegen. Ein neues nukleares Wettrüsten droht.

Die neun Staaten mit Atomwaffen planen eine Modernisierung, einige auch eine Aufstockung. Und eine unscharf umrissene Gruppe an weiteren Staaten dringt mehr oder weniger offensiv auf Zutritt zu dem exklusiven Klub. Bis zu den jüngsten amerikanischen Luftschlägen war das allen voran Iran.

Das Atomprogramm wurde zur machtpolitischen Schlüsselfrage

In diesem Licht betrachtet, kann man argumentieren, dass Israel und die Vereinigten Staaten mit ihren Militärschlägen gegen das iranische Atomprogramm der Welt einen Gefallen tun. Die Regierung in Tel Aviv stellt das so dar, auch wenn das legitime eigene Sicherheitsbedürfnis Israels an erster Stelle steht. Über die Natur des iranischen Atomprogramms muss man sich keine Illusionen machen.

Mochte vielleicht die Führung des Regimes in Teheran noch nicht entschieden haben, ob man nach der ultimativen Bombe greifen möchte, an den technischen Voraussetzungen dafür hat man zunehmend unverhohlen gearbeitet. Wie die Internationale Atomenergiebehörde festgehalten hat: Kein anderes Land auf der Welt reichert Uran so hoch auf einen beinahe waffenfähigen Grad an, wie es Iran tut – oder jedenfalls bis vor einer Woche getan hat.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Es ist aber alles andere als gewiss, ob dieser israelisch-iranische Krieg zu einer Stärkung des Nichtverbreitungsregimes in der Welt führt. Es ist nicht einmal klar, ob das Atomprogramm Teherans dadurch nachhaltig gestoppt werden kann. Israel hat es schon mehrere Male durch Angriffe zurückgeworfen: mit Sabotage, dem Einschleusen eines Virus, der gezielten Tötung von Wissenschaftlern. Letztlich haben all diese Akte Teheran nur darin bestärkt, den Weg weiterzugehen: heimlicher, in größerem Umfang, in immer tiefer in die Berge gegrabenen Bunkeranlagen.

Das Atomprogramm ist zur machtpolitischen Schlüsselfrage des Regimes geworden, auch wenn das amerikanische Eingreifen dem Programm in seiner potenziellen militärischen Dimension wahrscheinlich auf lange Sicht den Garaus gemacht hat. Selbst wenn das Regime in der Folge der jetzigen Ereignisse stürzte: Wie sähe dann ein künftiges aus, welche Konsequenzen zöge es? Die Rechnung hat viele Unbekannte.

Dank der Bombe wird Nordkorea mit Samthandschuhen angefasst

Das gilt umso mehr für die Signalwirkung auf andere Staaten. Alle möglichen Regime, nicht nur in der Nahostregion, werden genau analysieren, was mit Iran passiert. Zumal, wenn der Vergleich mit Nordkorea gezogen wird, das aus dem globalen Nichtverbreitungsregime ausgebrochen ist und sich atomar bewaffnet hat. Pjöngjang ist in der Welt ein Paria, außer vielleicht für China. Aber dank der Bombe wird es mit Samthandschuhen angefasst, man denke nur an die peinlichen Szenen aus Donald Trumps erster Amtszeit.

Nordkoreas Diktator Kim Jong Un mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump im Jahr 2018 in Singapur
Nordkoreas Diktator Kim Jong Un mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump im Jahr 2018 in Singapurdpa

Auf der anderen Seite war und bleibt es richtig, dass eine atomare Bewaffnung Irans ein noch stärkeres Signal an andere ausgesandt hätte, ebenfalls nach diesem Macht- und Abschreckungsmittel zu greifen. Das Ziel, dies zu verhindern, ist nicht nur legitim, sondern geboten. Die jetzige militärische Eskalation ist eine Folge einer politischen Eskalation ebenfalls schon aus Trumps erster Amtszeit, die einen anderen Weg verschlossen hat. Das war der diplomatische Weg der Wiener Vereinbarung, in der Iran sich zu einer engen Begrenzung und Überwachung seines Atomprogramms verpflichtet hatte. Dieser sogenannte JCPOA hatte Schwächen, und er war zeitlich begrenzt. Aber man hätte den Weg weitergehen können, hätte man ihm eine Chance gegeben. Von heute aus gesehen, ist das vergossene Milch.

Ein neues nukleares Wettrüsten droht nicht nur und nicht einmal in erster Linie wegen möglicher neuer Spieler am Tisch. Es sind die alten Platzhirsche, die ihre Arsenale auf Vordermann bringen wollen. Die Vereinigten Staaten und Russland besitzen trotz Abrüstung nach dem Kalten Krieg (die ohnehin schon mit einem Modernisierungsprozess einherging) noch immer neun von zehn Nuklearwaffen in der Welt. Ein Land, das auch sonst durch aggressive außenpolitische Rhetorik auffällt, legt bereits kräftig und kontinuierlich zu. China hat laut Sipri schätzungsweise 600 nukleare Sprengköpfe. Russland und die USA haben zwar jeder fast das Zehnfache. Aber Peking hat sein Arsenal binnen eines Jahres um zwanzig Prozent vergrößert.

Dass diese Entwicklung in absehbarer Zeit durch internationale Verträge zur Rüstungsbegrenzung gestoppt oder gar umgedreht werden könnte, ist nicht abzusehen. Im Gegenteil haben Russland und – nicht nur, aber vor allem unter Trump – auch die USA ein Abkommen nach dem anderen zur Makulatur gemacht. Der letzte noch bestehende Vertrag zur Begrenzung und Kontrolle der nuklearen Bewaffnung, New Start, läuft nächstes Jahr aus.