Wie die Wirtschaft die Wehrpflicht sieht

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Es fehlen rund 60.000 Soldaten in der Bundeswehr. Doch wo sollen sie herkommen? Eine Antwort scheint gefunden. Noch vor der Sommerpause des Bundestags soll das geplante Wehrdienstgesetz beraten werden. Zwar soll der Wehrdienst nach dem neuen Gesetzentwurf grundsätzlich auf Freiwilligkeit beruhen, doch soll das Gesetz bereits eine Regelung für eine Wehrpflicht enthalten. Diese soll greifen, wenn nicht genug Freiwillige den Wehrdienst leisten. Das sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kürzlich in der ARD. Dafür gibt es sogar aus Pistorius’ eigener Partei Kritik.

Die Diskussion über die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht erhitzt die Gemüter. Doch obwohl derzeit allerorts darüber debattiert wird, sowohl in der Politik, in den Medien als auch über den Gartenzaun hinweg, sind aus der Wirtschaft bisher nur wenige Stimmen zu hören. „Die Wehrpflicht kann große Reserven schaffen, verringert aber die Verfügbarkeit von Arbeitskräften in der Wirtschaft“, sagt Panu Poutvaara vom Ifo-Institut. Sie sei nur dann sinnvoll, wenn die Militärdoktrin vorsehe, dass die Mehrheit jedes Jahrgangs dient. Müsse nur eine Minderheit dienen, sei ein freiwilliges System mit besserer Bezahlung effizienter.

Schon im Juli 2024 hatte das Ifo-Institut sich in einer Studie mit den möglichen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft beschäftigt. Danach könnte die Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent zurückgehen, sollte im Rahmen der Wehrpflicht etwa ein Viertel eines Jahrgangs eingezogen werden. So war es vor der Aussetzung der Wehrpflicht 2011. Nach dem schwedischen Modell, bei dem nur fünf Prozent eines Jahrgangs eingezogen werden, liefe es dem Institut zufolge in Deutschland auf einen wirtschaftlichen Rückgang von 0,1 Prozent heraus.

Florierende Wirtschaft nur mit Sicherheit Deutschlands

Fragt man bei Wirtschaftsverbänden nach einer Einschätzung der Situation, bleiben viele zurückhaltend. Dafür sei es zu früh. Über die Auswirkungen werde man diskutieren, wenn die politischen Pläne sich konkretisiert hätten. Einige wenige wollen sich aber doch äußern, so wie der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft. „Eigentlich sehen wir nur positive Aspekte, die damit verbunden sind“, sagt Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des BVMW. Einen möglichen Rückgang der Wirtschaftsleistung hält er nicht für ausschlaggebend. Die Sicherheit Deutschlands und die der Verbündeten sei von einem florierenden Unternehmertum nicht zu trennen.

Doch eines dürfe nicht vergessen werden: „Mittelständische Unternehmen müssen zukünftig eine stärkere Rolle spielen können, wenn es um die Bereitstellung von Material für die Bundeswehr geht. Sie müssen eine eigenständige Rolle als direkter Lieferant der Bundeswehr haben“, sagt Völz. Denn die meisten jungen Menschen, die nach der Bundeswehrzeit in den Arbeitsmarkt einträten, fingen nicht bei großen Konzernen an, sondern bei mittelständischen Unternehmen. Wenn sie dort wegen der Wehrpflicht erst ein Jahr später als derzeit einträfen, sei die Lücke für Unternehmen leichter zu verkraften, wenn dafür die Beschaffungsverfahren der Bundeswehr mittelstandsfreundlicher würden. Das unter Minister Pistorius erarbeitete Konzept zur Stärkung des wehrtechnischen Mittelstands sei dafür wegweisend.

„Es ist ja nicht so, dass ganze Jahrgänge im Nirwana verschwinden“

Völz, selbst Oberst zur Reserve, stellt jedoch auch fest, dass in der Gesellschaft das Bewusstsein dafür wächst, dass die Wahrung der Sicherheit in Deutschland eine übergeordnete gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Er ist überzeugt, dass Unternehmen daher auch bereit sind, Kompromisse einzugehen. „Eines darf man dabei nicht verkennen: Es ist ja nicht so, dass ganze Jahrgänge auf einmal im Nirwana verschwinden und nicht wieder auftauchen“, sagt Völz. „Diejenigen, die der Wehrpflicht nachkommen, stehen nach ihrer Dienstzeit dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung und bringen dann auch noch Qualifikationen und Erfahrungen mit, die sie vorher nicht hatten.“ Es sei ein gegenseitiger Austausch, beide Seiten profitierten davon. Gleiches gelte für ein soziales Pflichtjahr, über das in der Wehrpflichtdebatte ebenfalls diskutiert wird. Für diese Möglichkeit hatte sich auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ zuletzt ausgesprochen.

Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln sieht das ähnlich. Auch er warnt davor, eine einfache Dreisatzrechnung zu machen, nach der ein ganzer Jahrgang dem Arbeitsmarkt entzogen werde und das, mit Blick auf den Fachkräfteengpass, zum Problem werde. „Denn erstens wissen wir nicht, wie viel Arbeitsvolumen uns dadurch überhaupt verloren geht“, sagt Stettes. „Zweitens bietet diese Zeit, ob Wehrdienst oder soziales Jahr, jungen Menschen auch die Möglichkeit, sich zu orientieren, berufliche Aufgaben und Tätigkeitsfelder zu entdecken. Das muss man im Kopf haben, bevor man pauschal sagt, dass eine Wehrpflicht das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen reduzieren und den Fachkräftemangel verschärfen würde.“

Dieser Aspekt wird auch vom Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) betont. „Sicherlich würde es zunächst eine Lücke im Ausbildungsjahrgang bedeuten, also weniger Bewerbungen, unbesetzte Lehrstellen, geringere Planungssicherheit“, sagt ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke. Wenn unmittelbar nach Abschluss der Lehre ein Pflichtdienst folgen würde, könne das die Bindung von jungen Fachkräften an ihre Ausbildungsbetriebe schwächen. Andererseits sieht Schwanneke hier auch eine Chance für das Handwerk, das schon jetzt händeringend nach Fachkräften sucht. Denn es biete sich für Betriebe damit auch die Chance, neue Talente zu gewinnen, die bei ihnen dieses Jahr absolvieren. „Junge Menschen, die beruflich noch nicht wissen, wohin es gehen soll, können so für das Handwerk begeistert und auf eine Ausbildung vorbereitet werden. Und mit einer guten Gestaltung des Jahres könnte es gelingen, die Bindung an Betriebe sogar zu stärken“, sagt Schwanneke.

Chance für Vielzahl an Schulabbrechern

Hans-Jürgen Völz sieht an dieser Stelle auch eine Chance für Schulabbrecher, von denen es in Deutschland jedes Jahr um die 50.000 gibt. „Wenn zumindest ein Teil davon durch den Gesetzgeber angehalten wird, zur Bundeswehr zu gehen, sich dort vielleicht für längere Zeit verpflichtet und eine formale Ausbildung erhält, ist das auch einer von vielen Ansätzen, um den Arbeits- und Fachkräftemangel in den Unternehmen zumindest abzumildern“, sagt der Volkswirt.

Dass ein Jahr für die Gesellschaft jungen Menschen bei der Orientierung helfen kann, sie an unterschiedliche Berufe heranführen und Verantwortung für die Gesellschaft lehren kann, dem stimmen auch die Sozialverbände zu. Das Pflichtjahr lehnen dennoch viele ab. So auch Eva ­Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, die sich erst kürzlich in der F.A.Z. gegen ein verpflichtendes und für ein freiwilliges Gesellschaftsjahr aussprach und die Relevanz von sozialen Diensten und Zivilschutz betonte.

Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie, lehnt ein Pflichtmodell ebenfalls ab. Es sei ein tiefer Eingriff in die Eigenständigkeit von Menschen und würde hohe Kosten bedeuten. „Wir plädieren dafür, bestehende Engagement-Formate zu stärken, und setzen uns für eine attraktive und zukunftsweisende Ausgestaltung der Freiwilligendienste ein“, sagt er. Aktuell werde das Potential von Freiwilligendiensten nicht ausgeschöpft: Nicht alle Interessierten haben Zugang, es fehle an Kenntnissen über die vielen Möglichkeiten der Freiwilligendienste und an einer gesicherten Finanzierung. Eine angemessene Entlohnung müsse geregelt werden – davon sei man noch weit entfernt.

Am Ende kommen hier alle auf einen Nenner, unabhängig davon auf welches Modell man sich einigt: Die Finanzierung muss geklärt sein. „Als wir den Wehrdienst hatten, und den Zivildienst als Ersatzleistung, gab es keine Mindestlohnregelung“, sagt Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft. Im Fall einer Reaktivierung des Wehrdienstes müsse darüber nachgedacht werden, was es für die Regelung eines solchen gesellschaftlichen Dienstes bedeutet. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass der Mindestlohn-konform sein muss.“