Die derzeitige Rechtslage in den USA und Europa

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Die neusten Entwicklungen

In ersten Urteilen im Streit ums Urheberrecht schlagen sich Richter eher auf die Seite von KI-Unternehmen. Künstler und Kreative rebellieren. Aktuelle Urteile und Antworten auf die drängendsten Fragen.

KI-generiertes Bild vom Zürichsee im Stil von van Goghs Sternennacht.

KI-generiertes Bild vom Zürichsee im Stil von van Goghs Sternennacht.

AI Korpex

Wer Texte, Bilder, Filme oder Kunstwerke erschafft, gilt als Urheber und hat das Recht, über sein Werk zu bestimmen. Verwendet jemand anderes dieses geistige Eigentum, kann der Erschaffer eine Vergütung verlangen. Geläufiger als das deutsche Wort Urheberrecht dürfte vielen das englische Pendant sein: Copyright (©).

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KI-Firmen wie Open AI, Anthropic, Meta oder Stability AI haben das Urheberrecht in den vergangenen Jahren ausgehöhlt. Sie nutzten Millionen von Werken, um ihre KI-Modelle zu trainieren – ohne Einwilligung und ohne Bezahlung der Erschaffer. Die KI-Firmen werden nun in Milliardenhöhe bewertet. Von deren potenziellen Erträgen profitieren die Erschaffer der Werke Stand heute nichts.

Nun laufen Dutzende Klagen gegen KI-Firmen. Dabei geht es um viel: Urteilen die Gerichte im Sinne der Urheber, drohen die Kosten der KI-Firmen zu explodieren, was die Weiterentwicklung der Technologie bremsen könnte. Urteilen die Gerichte im Sinne der KI-Firmen, fürchten Künstler um ihre Existenzgrundlage.

Aktuelle Urteile

  • Ein amerikanisches Bundesgericht entscheidet in einem vorläufigen Zwischenurteil im Sinne von Meta. Der Richter argumentiert, Metas Verwendung von Büchern ohne die Zustimmung der Autoren sei von der «Fair Use»-Regelung gedeckt. Meta hatte Millionen von Büchern und Forschungsarbeiten von der Piraterieplattform Library Genesis (Libgen) heruntergeladen. Das Zwischenurteil bezieht sich aber nur auf die Bücher von dreizehn Autoren, die Klage erhoben hatten. Der Richter schreibt im Urteil vom 25. Juni, die Kläger hätten unzureichend argumentiert, und zeigt ihnen auf, welche Argumente sie noch liefern können, um den weiteren Prozessverlauf zu ihren Gunsten zu verändern. Das endgültige Urteil steht noch aus.
  • Anthropic erringt einen ersten Etappensieg gegen drei Buchautoren. Ein amerikanisches Bundesgericht entschied in einem vorläufigen Urteil vom 23. Juni, dass das Training der KI Claude mit urheberrechtlich geschützten Büchern teilweise zulässig sei. Der Richter argumentierte, die Werke würden «transformativ» genutzt. Es werde ein neues, kreatives Werk geschaffen, und dadurch entstehe kein Ersatz für das Original. Die Entscheidung bezieht sich nur auf gedruckte Bücher, die von Anthropic gekauft und gescannt wurden. Für digitale Werke von Piratenplattformen und aus dem Internet heruntergeladene E-Books kündigte das Gericht ein gesondertes Verfahren für Dezember an. Das endgültige Urteil steht noch aus.
  • Der Verlag Thomson Reuters gewann eine Urheberrechtsklage gegen das KI-Unternehmen Ross Intelligence. Dies entschied ein erstinstanzliches Gericht in Delaware am 11. Februar 2025. Da Ross ein Konkurrenzprodukt zu einem Dienst von Thomson Reuters habe aufbauen wollen, sei die Verwendung des Werks nicht von der «Fair Use»-Doktrin gedeckt, urteilte das Gericht.

KI-Dienste können heute ästhetisch ansprechende Kunstwerke im Stil eines bestimmten Künstlers erstellen. Das ärgert Künstler, die sich fragen, was ihre Aufgabe sein soll, wenn KI schneller und günstiger arbeitet als sie. In den sozialen Netzwerken beschweren sich deshalb viele, die KI entwerte ihre Arbeit.

Auch könnten KI-generierte Bücher oder Bilder den Markt fluten und den Autoren und Künstlern finanziellen Schaden zufügen.

Ausserdem befürchten viele Künstler, dass die Originale nicht mehr von den KI-generierten Werken zu unterscheiden sein könnten. Sie fürchten um ihren Ruf, wenn computergenerierte Kunstwerke fälschlicherweise unter ihrem Namen kursieren.

Sänger und Schauspielerinnen sind hingegen eher über das Recht an ihren Stimmen besorgt, zum Beispiel Scarlett Johansson.

Ja. Eine internationale Studie in über 200 Ländern mit Beteiligung der Technischen Universität Berlin kam zu dem Schluss, dass der Freelance-Markt nach der Publikation von Chat-GPT massgeblich geschrumpft sei. Die Zahl der Aufträge für die Generierung von Bildern sank in den acht Monaten nach der Veröffentlichung des KI-Tools um 17 Prozent. Weiter wurde laut der Studie rund ein Fünftel der Schreib- und Programmieraufgaben auf dem Freelance-Markt gestrichen.

Das Problem dürfte sich seither nochmals zugespitzt haben, schliesslich werden die KI-Generatoren für Text, Bild und Video immer besser. Heute lassen sich mit KI-Tools Bilder sogar verändern und optimieren. Damit kann eine kleinere Anzahl von Freelancern eine grössere Menge an Arbeit stemmen.

Niemand. Ein Bild, das komplett von einer KI erstellt wurde, kann nicht geschützt werden. Denn nur Menschen können ein geistiges Eigentum schaffen.

Je nach Einzelfall kann das unerwartete Konsequenzen haben: Verwendet ein Startup-Unternehmer zum Beispiel Chat-GPT, um ein neues Logo für seine Firma zu erstellen, gehört das Logo weder ihm noch Open AI, der Firma hinter Chat-GPT. Niemand hat das Recht an diesem Logo. Das heisst, eine Konkurrenzfirma könnte das Logo des Startups ebenfalls frei verwenden.

Wird ein KI-Bild allerdings von einem Menschen weiterverarbeitet, könnte diese Bearbeitung geschützt werden.

Es gibt derzeit keine gesetzliche Pflicht, die Quelle offenzulegen. Auch die grossen KI-Firmen verlangen in den Vertragsbedingungen nicht explizit, dass sie bei der Veröffentlichung genannt werden.

In journalistischen Medien, wissenschaftlichen Arbeiten und Behördentexten wird eine Kennzeichnung erwartet. Auch soziale Netzwerke bemühen sich, Labels für KI-generierte Inhalte einzuführen, scheitern dabei allerdings weitgehend.

Es ist nicht eindeutig geklärt, ob KI-Unternehmen mit ihrem Vorgehen gegen geltende Gesetze verstossen. Derzeit befinden wir uns in einer rechtlichen Grauzone. Die meisten Gesetze zum Copyright wurden verfasst, bevor KI-Dienste weit verbreitet waren. Gerichte müssen nun entscheiden, wie das geltende Recht im KI-Kontext ausgelegt wird.

Gerichte könnten KI-Unternehmen dazu zwingen, Lizenzgebühren für genutzte Werke nachzuzahlen oder einzelne Werke aus Trainingsdaten zu entfernen.

Im aktuellen Fall von Anthropic argumentierte das Unternehmen, die Bücher würden «transformativ» genutzt. Die KI erschaffe keine neuen Werke und lasse sich von den vorhandenen Daten nur inspirieren. Was die KI ausspucke, sei keine Kopie des Originals, sondern ein neues Werk.

KI-Firmen behaupten immer wieder, sie hätten nur Daten verwendet, die frei verfügbar seien. Was das im Detail bedeutet, verschweigen sie. Allerdings ist inzwischen belegt, dass sie auch Paywalls umgangen und Raubkopien verwendet haben. (Siehe Abschnitt zu Piratenplattformen weiter unten.)

Nun lobbyieren die Firmen für neue Copyright-Gesetze – beziehungsweise für eine Auslegung des geltenden Rechts in ihrem Sinne. Das zentrale Element, auf das sie ihre Argumentation stützen, ist die «Fair Use»-Doktrin.

Die «Fair Use»-Regelung des angloamerikanischen Rechts erlaubt in Ausnahmefällen, dass urheberrechtlich geschützte Werke auch ohne Einverständnis des Erstellers verwendet werden dürfen. Darunter fällt zum Beispiel, wenn ein Lehrer mehrere Seiten aus einem Roman kopiert, um diese mit seinen Schülern zu analysieren.

Ebenso zulässig ist es, wenn Kabarettisten ein Lied für eine Parodie umschreiben oder wenn ein Nachrichtensender ein kurzes Video aus einem sozialen Netzwerk in einen längeren Beitrag einbettet.

Ob die Nutzung als «fair» gilt, hängt von vier Faktoren ab. Jeder Richter kann diese selbst bewerten.

Erstens fragen sich die Gerichte, zu welchem Zweck ein Werk verwendet wird. Grundsätzlich gilt: Werden Werke für die Bildung oder die Wissenschaft genutzt, wird dies eher als «fair» angesehen als eine kommerzielle Nutzung.

Zweitens wägen die Gerichte ab, wie sehr das Original verändert wird, wie gross der Teil des genutzten Werks ist in Relation zum Gesamtwerk und die Frage, ob etwas Neues daraus entsteht. Die Rede ist von einem «transformativen» Prozess.

Als Google Books Millionen von Büchern digitalisierte und online stellte, fiel dies unter «fair use». Google argumentierte erfolgreich, dass es kein Ersatzprodukt für die Bücher schaffe, sondern nur Ausschnitte der Bücher anzeige. Weiter würden keine kommerziellen Ziele verfolgt, sondern Zugang zu Wissen erleichtert.

Drittens gilt: Manche Werke, zum Beispiel Sachbücher oder Nachrichten, geniessen einen weniger starken Schutz als Romane oder Gemälde.

Und viertens bewerten die Richter, ob das neue Werk mit dem Original konkurriert. Dem Original darf kein wirtschaftlicher Schaden entstehen.

Das ist bis jetzt ungeklärt. Die Entscheidung liegt von Fall zu Fall bei den amerikanischen Gerichten. In den USA herrscht sogenanntes «case law», auch «Präzedenzfallrecht» genannt. Einzelne Entscheidungen von Gerichten spielen eine zentrale Rolle bei der Auslegung des Rechts. Eine erste Entscheidung in einem Fall kann so zum rechtlichen Standard werden.

Eine allgemeine Tendenz bei den Entscheiden ist noch nicht absehbar. In kleineren Fällen wurde bereits sehr unterschiedlich entschieden. (Siehe Abschnitt «Bisherige Rechtsprechung».)

Anfang April wurde durch Gerichtsdokumente bekannt, dass Meta gestohlene Bücher von der Piratenplattform Libgen verwendet hatte, um seine KI-Modelle zu trainieren.

In einem vorläufigen Urteil entschied ein amerikanischer Bundesrichter zwar im Sinne von Meta. Allerdings merkte er an, dass dieses Zwischenurteil keine grundsätzliche Aussage zur Nutzung von Piratenplattformen für das Training von KI-Modellen erlaube. Das definitive Urteil steht noch aus.

Die «Fair Use»-Regelung stammt aus dem angloamerikanischen Raum und gilt deshalb nicht in Europa. Allerdings gelten hier ähnliche Rechtsgrundsätze: Das Urheberrecht erlaubt die Nutzung eines Werks ohne Zustimmung des Schöpfers, wenn die Interessen hinter der Nutzung überwiegen oder der Einschnitt in das Urheberrecht nur gering ist. Diese Ausnahmen werden als «Schranken» des Urheberrechts bezeichnet.

Zum Beispiel dürfen auch in Europa Werke parodiert oder karikiert werden. Man darf sie weiter auch in Teilen zitieren oder Kopien für den privaten Gebrauch anfertigen. Ebenfalls gilt hier der Grundsatz, dass man für Bildung und Forschung mehr darf als zu kommerziellen Zwecken.

Je nachdem, welchen Juristen man fragt: ja oder nein. Weder im Schweizer noch im deutschen Urheberrecht wird künstliche Intelligenz explizit erwähnt.

Allerdings sieht das deutsche Urheberrecht eine Ausnahme für Text- und Data-Mining vor, eine sogenannte Schranke. Damit dürfen in Deutschland grosse Datenmengen ausgewertet werden, um so Muster und Zusammenhänge in Daten festzustellen. So können zum Beispiel Forschungsteams grosse Mengen an Patientendaten für eine Studie verwenden oder Artikel von Nachrichten-Websites auf Desinformation analysieren.

Auch Unternehmen dürfen die Daten nutzen, wenn sie kommerzielle Ziele verfolgen. Voraussetzung für die Text- und Data-Mining-Schranke ist, dass die Urheber die Verwendung ihrer Werke nicht explizit ausschliessen. Urheber können also ein «Opt-out» setzen.

Inwieweit diese Regel auch für das Training von KI-Modellen gilt, müssen Gerichte entscheiden – oder der Gesetzgeber klarer definieren.

Es laufen Dutzende Gerichtsverfahren zum Urheberrecht. Eines der berühmtesten ist die Klage der «New York Times» gegen Open AI und Microsoft. Weitere prominente Kläger sind die Authors Guild, die unter anderem den amerikanischen Bestsellerautor John Grisham verlegt, die Bilddatenbank Getty Images und die Universal Music Publishing Group, die unter anderem Taylor Swift, Elton John und Adele vertritt. Weiter klagt die Diskussionsplattform Reddit gegen Anthropic.

Im Februar gewann der Verlag Thomson Reuters gegen das KI-Unternehmen Ross Intelligence. Das Urteil besagt, dass Ross die Daten des Verlags nicht für seine KI nutzen darf. Es ist also ein Urteil im Sinne der Urheber.

Da Ross ein Konkurrenzprodukt zu einem Dienst von Thomson Reuters aufbauen wollte, liess der Richter die «Fair Use»-Argumente nicht gelten. Der Fall wurde bisher in erster Instanz verhandelt und könnte noch bis zum Obersten Gerichtshof der USA weitergezogen werden.

In einem Fall aus Deutschland ist ein Urheber mit einer Klage gescheitert: Der Fotograf Robert Kneschke wehrte sich vor dem Landgericht Hamburg gegen die Datenbank Laion, die ein Bild von ihm verwendet hatte. Kneschke argumentierte, dass er sein Bild auf eine Stockfoto-Website hochgeladen habe, in deren Nutzungsbedingungen es geheissen habe, dass Bilder nicht für «automatisierte Programme» verwendet werden dürften.

Das Gericht entschied im Herbst 2024 dann aber, dass Kneschke der Nutzung seines Bildes nicht widersprechen könne, da Laion gemeinnützig und nichtkommerziell sei. Den gleichen Datensatz verwendeten auch kommerzielle KI-Anbieter wie Midjourney oder Stability AI zum Training ihrer Modelle. Deren Nutzung wurde allerdings vor Gericht nicht verhandelt.

In einem weiteren Urteil gab es einen Etappensieg für eine KI-Firma: Mehrere Musiklabels, darunter Concord und Universal Music, klagten gegen Anthropic, weil die Firma ihre KI mit Songtexten der Labels trainiert habe. Unter anderem forderten die Labels, dass Anthropic sofort damit aufhören müsse, seine KI mit Songtexten zu trainieren. Mit sofort meinten die Kläger: noch bevor das Gerichtsverfahren abgeschlossen ist und die Richter entschieden haben, ob Anthropic die Rechte der Urheber verletzt hat. Das Gericht in Tennessee lehnte diese einstweilige Verfügung Ende März ab.

Auch die jüngsten Zwischenurteile zu Meta und Anthropic deuten darauf hin, dass Richter gegenwärtig eher im Sinne der KI-Firmen entscheiden.