Was von der Leyen vorhat

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Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat die Gründung einer neuen Handelsorganisation ohne Beteiligung der USA und China ins Spiel gebracht. So soll die Blockade der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf umgangen werden. Von der Leyen denkt an eine Zusammenarbeit der Europäischen Union (EU) mit dem Transpazifischen Handelsblock CPTPP von zwölf Staaten und an Regelungen zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten.

Die Initiative stieß am Rande des Europäischen Gipfeltreffens in Brüssel auf Zustimmung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Die Europäer positionieren sich mit der Initiative als Hüter einer regelorientierten Welthandelsordnung in einer Zeit, in der der amerikanische Präsident Donald Trump die Regeln der WTO mit den Füßen tritt. Amerika und China wären an der „Gegen-WTO“ zumindest anfänglich nicht beteiligt.

Die asiatischen Länder wollten eine strukturierte Kooperation mit der Europäischen Union, und die EU wolle dasselbe, sagte von der Leyen. Man könne sich das vorstellen als den Beginn eines Umgestaltung der WTO um der Welt zu zeigen, dass Freihandel mit einer großen Zahl von Ländern auf einem regelbasierten Fundament möglich sei. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) lobte die Idee ausdrücklich. Sie entspreche Ideen, die er schon bilateral mit dem britischen Premierminister Keir Stamer und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron besprochen habe, sagte Merz in Brüssel. Eine solche Ersatz-WTO lasse sich auch auf Grundlage von Handelsverträgen schaffen, die die EU momentan mit zahlreichen Partnern verhandelten. Welche Struktur die Ersatz-WTO bekommen soll, ist unklar. Es handele sich um eine erste Idee in noch sehr rudimentären Zügen, sagte Merz.

„Europa sollte Champion von Offenheit bleiben“

Die Welthandelsorganisation in Genf, in der 166 Länder sich zu einer friedlichen Beilegung von Handelskonflikten vor Schiedsgerichten verpflichtet haben, ist seit Jahren handlungsunfähig. Schon seit der Amtszeit des demokratischen Präsidenten Barack Obama blockieren die Vereinigten Staaten die Neubesetzung von Richterstellen in der Berufungsinstanz. Auch als politisches Verhandlungsgremium fällt die WTO schon lange aus. Der jetzige amerikanische Präsident Trump setzt in der Handelspolitik auf bilaterale Gespräche und will von multilateralen Verhandlungen nichts wissen.

Ökonomen nahmen den Vorstoß von der Leyens positiv auf. „Europa sollte Champion von Offenheit bleiben, darin liegen ökonomische Chancen“, sagte der Präsident des Institut für Weltwirtschaft in Kiel, Moritz Schularick. „Wenn dieser Vorschlag zu mehr Freihandel führt, ist es eine gute Idee.“ Der auf Handelsfragen spezialisierte Ökonom Andreas Freytag von der Universität Jena sprach von einer wichtigen Initiative „mit einem starken Signal in den Rest der Welt: Trump kann nicht machen, was er will!“ Freytag lobte, dass mit dem Vorstoß eine regelbasierte Öffnung aufrecht erhalten werden solle und dass sich so die Strategie des „Teile und Herrsche“ von Trump erfolgreich eindämmen ließe.

Als „hochproblematisch, wenn nicht gar fahrlässig“, wertete dagegen der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament, Bernd Lange (SPD), den Vorstoß. Von der Leyen sende gleich zwei unglückliche Signale: Erstens, dass sie den Kampf für eine Reform der WTO aufgebe und das Recht des Stärkeren in der Handelspolitik akzeptiere. Zweitens, dass die EU für einen „Deal“ mit den USA bereit sein könnte, das WTO-Recht zu ignorieren. Von der Leyen argumentierte gerade andersherum. Die Idee setze ein Zeichen für regelbasierten Handel.

Ein neuer “China-Schock“

Auch Ökonomen warnten, die Idee einer Welthandelsorganisation, die die Länder der Welt zu Einigungen führt, aufzugeben. „Falls das als Ersatz für die WTO gemeint sei, würde ich das nicht empfehlen“, sagte Clemens Fuest, der Präsident des Ifo-Instituts in München. „Trotz aller Blockaden sollte man die WTO schützen, soweit das möglich ist.“ Schularick aus Kiel sagte: „Ich würde die WTO nicht für tot erklären. Vielleicht gibt es irgendwann wieder eine Chance für Multilateralismus.“ Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen der EU und dem transpazifischen Handelsbündnis CPTPP könne man WTO-konform aufstellen, sagte Schularick: „Ich sehe das als Impuls für Offenheit, nicht als gegen die WTO. Aber man muss abwarten.“

Der Vorstoß von der Leyens ist nicht die erste Initiative unter Beteiligung der EU, um die WTO-Blockaden zu umgehen. Mittlerweile mehr als 50 der 166 WTO-Staaten hatten sich schon vor fünf Jahren auf einen freiwilligen Mechanismus zur Beilegung von Streitschlichtungen geeinigt, der im Kern die Verfahren der WTO nachahmt. Neben der EU sind gewichtige Länder wie China, Japan, Australien, Brasilien oder Mexiko dabei. CPTPP ist ein Freihandelspakt von den transpazifischen Anrainerstaaten Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam. Auch das Vereinigte Königreich ist dem Handelspakt beigetreten.

Der Vorschlag von der Leyens dürfte auch mit China zusammenhängen. In der EU wachsen die Zweifel daran, dass innerhalb der WTO ein Weg gefunden werden kann, um mit den großen, häufig staatlich subventionierten Exporten Chinas umzugehen. Von der Leyen hat China vorgeworfen, den Weltmarkt mit Überkapazitäten zu überschwemmen.

Am Rande des Gipfeltreffens der Siebenergruppe hatte sie von einem neuen „China-Schock“ gesprochen, in Anspielung auf den „China-Schock“, der Amerika nach dem WTO-Beitritt China im Jahr 2001 viele Arbeitsplätze gekostet haben soll. Die WTO bietet ihren Mitgliedern nach Ansicht der EU zu eingeschränkte Möglichkeiten für einen angemessenen Umgang mit Staatshilfen.

Merz zeigte sich zuversichtlich, dass die EU in Kürze das Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten endgültig annehmen kann. Er sehe eine „große Bereitschaft, jetzt zu einem Abschluss zu kommen und dann das Abkommen in Kraft zu setzen“, sagte der Kanzler in Brüssel. Ziel sei es, das die Mitgliedstaaten das Abkommen einstimmig annähmen. Doch ist unklar, ob Frankreich bereit ist, seinen Widerstand aufzugeben.