Wenn Jugendliche sich in ihrem Geschlecht nicht wohl fühlen, können sie Pubertätsblocker erhalten. Eine Studie hat erstmals die Auswirkung der Medikamente auf sexuelle Zufriedenheit in den späteren Lebensjahren untersucht.
Die sexuelle Zufriedenheit von Menschen, die mit Pubertätsblockern behandelt wurden, und denen, die eine natürliche Pubertät durchlaufen haben, unterscheidet sich nur marginal: Denn die trans Personen, die in ihrer Jugend Pubertätsblocker erhalten haben, seien mit ihrem Sexualleben ähnlich zufrieden wie die Gesamtbevölkerung. Und das sei eine gute Nachricht. So interpretieren niederländische Forschende die Ergebnisse einer Studie, die sie vor wenigen Tagen im Fachblatt The Journal of Sexual Medicine veröffentlicht haben.
Danach gaben 49 Prozent der befragten trans Personen an, sie seien mit ihrem Sexualleben zufrieden, während das in der Gesamtbevölkerung 47 Prozent sagen.
Erste Studie dieser Art
Die vorliegende Studie des niederländischen Teams ist die erste, die untersucht hat, ob und inwiefern die Gabe von Pubertätsblockern das sexuelle Erleben im späteren Leben als Erwachsener beeinflusst.
Deshalb befürwortet Georg Romer, der als Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uniklinikum in Münster seit Jahren trans Kinder und Jugendliche behandelt, diese Studie. “Das wichtigste Ergebnis der Studie ist dabei: Berichtete Probleme mit der sexuellen Zufriedenheit traten bei den im Jugendalter mit Pubertätsblockern Behandelten nicht häufiger auf als bei Transgender-Personen, die erst nach voller durchlaufender pubertärer Reifung eine Hormonbehandlung begannen.”
Und auch der Hamburger Endokrinologe Achim Wüsthof begrüßt diese Veröffentlichung. Es sei “beruhigend zu sehen, dass die Ergebnisse nicht sehr negativ ausgefallen sind.” Diese Erkenntnis könne und werde er in Zukunft nutzen “für die Beratung von Jugendlichen und ihren Eltern”.
Dünne Datenlage zu Pubertätsblockern
Denn bisher ist die wissenschaftliche Datenlage zu den Pubertätsblockern extrem dünn. Zwar werden Pubertätsblocker bereits seit den 1990er-Jahren eingesetzt, um beispielsweise bei Mädchen eine extrem frühe Pubertät hinauszuzögern. Und auch an einigen ausgewählten Zentren, wie beispielsweise in Münster, gibt es seit rund 20 Jahren klinische Erfahrung mit den Pubertätsblockern für trans Kinder und Jugendliche.
Aber es liegen kaum Langzeituntersuchungen dazu vor, auch weil die “Fallzahlen von Menschen mit Geschlechtsdysphorie gering sind”, wie Georg Romer sagt. Er wertet es deshalb als positiv, dass bei der vorliegende Studie von den angefragten 145 Personen rund die Hälfte, nämlich 70, mitgemacht haben.
Sie alle gehören zu einem Kollektiv, das vor rund 14 Jahren mit Pubertätsblockern von den niederländischen Forschenden behandelt worden waren. Das ist, wissenschaftlich betrachtet, zwar eine geringe Teilnehmerzahl, aber auch der Endokrinologe Achim Wüsthoff ist froh, dass es durch die Studie diese ersten Hinweise auf die sexuelle Zufriedenheit gibt: “Natürlich möchte man immer noch größere Kollektive haben… aber ich finde, es ist immerhin schon mal eine Studie, die eine Aussage trifft.”
Wie wissenschaftlich belastbar die Ergebnisse dieser Studie deshalb tatsächlich sind, wird sich erst in weiteren Langzeitstudien zeigen können. Trotzdem seien das erste wichtige Anhaltspunkte, betont Achim Wüsthof. “Natürlich haben alle trans Jugendlichen oder auch alle trans Menschen erschwerte Bedingungen was ihre Sexualität angeht, das muss man ja gar nicht kleinreden, das ist natürlich deutlich komplizierter als bei CIS-Menschen, und deswegen haben die natürlich per se schon gewisse Schwierigkeiten. Deswegen finde ich es im Grunde genommen sehr erfreulich zu sehen, dass diese Zufriedenheit doch relativ hoch ist.”
Kritik an der Studie
Kritiker, wie beispielsweise Florian Zepf, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Jena, monieren, dass die Studie wissenschaftlich erhebliche Mängel aufweise.
Nicht nur sei die Anzahl der Teilnehmenden extrem klein, auch werde nicht unterschieden, welche Rolle die Pubertätsblocker für die sexuelle Zufriedenheit spielten. “Die Studie ist methodisch nicht in der Lage, die isolierte Wirkung einer Pubertätssuppression auf die sexuelle Zufriedenheit zu untersuchen: Alle Teilnehmer:innen erhielten im Anschluss eine Cross-Sex-Hormongabe und teilweise chirurgische Eingriffe. Die Datenlage erlaubt keine Trennung der Effekte von Pubertätssuppression, Hormongabe und Operation.”
Deshalb, so sein Fazit, könne die Studie die Frage nach dem Einfluss der Pubertätsblocker auf die sexuelle Zufriedenheit der trans Personen im späteren Leben nicht beantworten.
Dilemma für behandelnde Ärztinnen und Ärzte
Nach Schätzungen liegt die Anzahl der trans Menschen weltweit bei unter einem Prozent. Das sind grob geschätzt rund 80 Millionen. Und vermutlich leidet rund ein Fünftel davon so massiv unter der Transidentität, dass eine Geschlechtstransition das Ziel ist. Der erste Schritt auf dem Weg dahin ist die Gabe von Pubertätsblockern, sagt Christof Land, der als Endokrinologe in seiner Praxis bei München trans Kinder und Jugendliche betreut.
Land beschreibt das daraus erwachsende Dilemma folgendermaßen: “Die Frage ist also: Ist es besser nichts zu tun und abzuwarten und gegebenenfalls den Leidensdruck und die Probleme für den Individuellen, der nicht behandelt wird mit Hormonen, dass sich das erhöht, der Leidensdruck? Oder ist es besser was zu tun und die Chance zu haben, dass er in der dritten Lebensdekade dann ein freieres Leben führen kann?”
Die Diskussionen in der Wissenschaft zum Thema Pubertätsblocker für trans Kinder und Jugendliche sind noch lange nicht abgeschlossen. Das zeigen auch die ersten Reaktionen auf die Veröffentlichungen der Studienergebnisse.
Das ist ein Problem für die Betroffenen und die behandelnden Ärzteteams, denn sie stehen vor ein Dilemma: Behandeln, um das Selbstbestimmungsrecht der Kinder und Jugendlichen zu respektieren – oder abwarten, weil es bisher keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz für den Einsatz der Pubertätsblocker gibt? Fundierte Langzeitstudien sind also dringend nötig, um allen Beteiligten aus diesem Dilemma herauszuhelfen.