„Niederträchtig und feige“ – so fasst eine führende Sozialdemokratin das zusammen, was da einige Stunden zuvor in der Messe-Halle in Berlin passiert ist. Lars Klingbeil, der Vizekanzler, bekam von den Parteitagsdelegierten eine üble Klatsche: Nur 65 Prozent der Delegierten wählten ihn wieder zum Vorsitzenden. Das ist eine schwere Niederlage für den Mann, der die Sozialdemokratie wieder auf Augenhöhe führen soll zu CDU/CSU und Friedrich Merz. Aber wie kam es dazu? Und welche Folgen wird das für das Regieren haben in der schwarz-roten Regierung?
Eine konzertierte Aktion gegen Klingbeil?
Als die 65 Prozent für den Parteichef verkündet wurden, sprangen Delegierte an vielen Stellen im Saal auf und applaudierten dem gedemütigten Klingbeil. Sie wollten offensichtlich klar machen: Es ist nicht in Ordnung, so mit dir umzugehen. Offenbar gab es keine konzertierte Aktion gegen Klingbeil. Vermutlich haben sich also nicht ganze Delegiertengruppen gegen ihn verschworen.
Aber sind die Frauen nicht sauer auf Klingbeil?
Tatsächlich herrschte besonders unter den SPD-Frauen vor der Abstimmung große Unruhe. Viele fanden nicht in Ordnung, wie Klingbeil mit Saskia Esken umgegangen ist, seiner Co-Vorsitzenden. Esken war in den vergangenen Monaten, vor allem aber nach der verlorenen Bundestagswahl, innerhalb der SPD massiv in die Kritik geraten. Sie schade der Partei, hieß es mitunter. Klingbeil tat nicht viel, um seine Co-Vorsitzende in Schutz zu nehmen. Erst ganz spät beschwerte er sich öffentlich über den Umgang mit ihr. Aus Eskens Umfeld heißt es, Klingbeil habe sich ihr gegenüber immer anständig verhalten, habe sie bei allen bedeutenden Entscheidungen einbezogen. Aber er verschaffte ihr keinen Posten im Kabinett, obwohl Esken das gut gefallen hätte. Und auch sonst wurde deutlich, dass Klingbeil die Zukunft der SPD ohne Esken bauen will. All das nehmen einige SPD-Frauen dem Parteichef übel. Zwar gab es bei einem Treffen der Frauen vor der Parteivorsitzendenwahl Appelle, bitte nicht den Frust jetzt rauszulassen. Der Aufruf hat aber offensichtlich nicht alle erreicht.
Wer hat vermutlich noch gegen Klingbeil gestimmt?
In der SPD heißt es, dass eine Vielzahl von Gründen dazu geführt haben, dass Klingbeil so abgestraft wurde. Lokalpolitikern, die auch unter den Delegierten sind, dürfte noch immer der frustrierende Winterwahlkampf und das Bundestagswahlergebnis von 16,4 Prozent in den Knochen stecken. Sie machen Klingbeil für das Ergebnis verantwortlich. Manch anderer Berufspolitiker aus den Reihen der Delegierten dürfte bei der Klingbeilschen Personalrochade leer ausgegangen sein und sich deswegen ärgern. Auffällig war auch, wie Hubertus Heil, der frühere Arbeitsminister, auf dem Parteitag von den Delegierten gefeiert wurde. Dass Klingbeil ihn fallen ließ, dürfte viele verärgert haben.
Manche SPD-Politiker verweisen auf den Merz-Effekt: Der hatte im ersten Wahlgang zum Kanzler nicht die notwendige Mehrheit erreicht – womöglich, weil einzelne Nein-Stimmer dachten, ihre Stimme werde schon nicht den großen Unterschied machen. So war es vielleicht auch jetzt.
Unterstützt die SPD Klingbeil nicht mehr?
Dass Klingbeil allen Grund hat, das schlechte Ergebnis persönlich zu nehmen, zeigt sich auch an den anderen Ergebnissen vom Freitagabend: Seine Stellvertreter wurden mit zum Teil sehr guten Ergebnissen gewählt. Etwa Anke Rehlinger, die Ministerpräsidentin des Saarlandes und Klingbeil-Unterstützerin, erzielte 97 Prozent. Oder Achim Post aus Nordrhein-Westfalen, der immerhin 77 Prozent erzielte und auch ein Vertreter der Regierungslinie ist. Offenbar spielten weniger konkrete Themen wie Krieg und Frieden eine Rolle bei der Ablehnung von Klingbeil. Er sollte persönlich abgestraft werden.
Ein Teil der Partei misstraut ihm also, das hat Klingbeil nun schwarz auf weiß. Allerdings repräsentiert die Zusammensetzung eines Parteitags nicht die SPD. Für den schlechten Eintrag im Lebenslauf von Klingbeil aber konnten sie so sorgen.
Was bedeutet das für die Koalition?
Aber auch sonst hat Klingbeil eine zu klare Vorstellung von der Veränderung der SPD, als dass er diese schnell ändern würde. Hinzu kommt: In den vielen Wortbeiträgen der Delegierten vor der Wahl wurde kaum ein kritisches Wort an Klingbeil gerichtet. Es wurden keine konkreten Forderungen an ihn gestellt. Das dürfte es Klingbeil leichter machen, das Ergebnis etwas in den Hintergrund zu schieben.