Warum wir uns nicht alles merken

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Wo ist doch gleich …? Wir vergessen im Alltag viel. Doch das Vergessen ist keine Fehlleistung des Gehirns. Es hat eine wichtige Funktion.

Fast jeder kennt es: Da fällt einem plötzlich ein Name nicht mehr ein, die PIN der Bankkarte ist aus dem Kopf, ein wichtiger Termin geht vergessen und der Autoschlüssel ist nicht auffindbar. Auch wenn das Vergessen im Alltag oft nervig ist, hat es doch eine wichtige Funktion: Das Gehirn filtert die Informationsflut und räumt auf. Nur so kann es leistungsfähig bleiben. Eher selten steckt hinter Vergesslichkeit eine ernste Ursache.

Ohne Gehirn könnten wir uns nicht in der Welt zurechtfinden. Es steuert nicht nur unsere Bewegungen, Sinneswahrnehmungen und unsere Sprache, sondern auch unsere Gefühle, unser Denken, unsere Entscheidungen und Erinnerungen. Um das bewerkstelligen zu können, ist das etwa 1,4 Kilogramm schwere Organ mit rund 100 Milliarden Nervenzellen ausgestattet. Diese wiederum sind durch 100 Billionen Nervenverbindungsstellen miteinander verknüpft. Das Gehirn ist für seine Steuerungsaufgaben mit allen Körperteilen über das Rückenmark sowie Nervenfasern verbunden.

Das Gehirn verarbeitet jede Sekunde tausende Informationen. Pause? Kennt es nicht. Es ist ununterbrochen im Einsatz – selbst im Schlaf. Doch so leistungsfähig unser Gehirn auch ist: Es ist nicht dafür gemacht, alles zu behalten. Um sich – und uns – vor Überlastung und Überforderung zu schützen, muss es regelmäßig aufräumen. Um mit großen Informationsmengen umzugehen, sortiert es um und aus. Hierfür besitzt es wichtige Filterfunktionen. Alles, was nicht wichtig erscheint oder gerade nicht gebracht wird, darf weg.

Wenn wir etwas vergessen, ist das keine Fehlfunktion des Gehirns, sondern ein notwendiger Prozess, um den Alltag bewältigen zu können. Ohne die Filterfunktion des Gehirns wären wir reizüberflutet und nicht mehr handlungsfähig. Vergesslichkeit im Alltag ist meist keine Krankheit, sondern die Folge unserer Lebensweise. Je mehr Reizen wir ausgesetzt sind, desto mehr Eindrücke strömen auf das Gehirn ein und desto mehr Sortier- und Aufräumarbeiten muss das Gehirn verrichten. Da kann es auch mal Chaos geben.

Zu den häufigsten Ursachen für eine verstärkte Vergesslichkeit im Alltag gehören:

  • Stress und Überlastung: Unter Stress schaltet der Körper in den Alarmmodus. Ist er auf “Fight or Flight” (Angriff oder Flucht) eingestellt, kann das Gehirn Informationen nur schwer aufnehmen und verarbeiten oder abrufen. Auch die Merkfähigkeit ist beeinträchtigt.
  • Multitasking: Wer viele Aufgaben gleichzeitig bewältigen muss, dem fällt es schwerer, neue Informationen abzuspeichern. Ist der Kopf “voll”, läuft der Filterprozess des Gehirns auf Hochtouren. Es fällt oft schwer, einfachste Dinge abzurufen.
  • Reizüberflutung und Ablenkung: Fehlt die Konzentration auf eine Sache und ist das Gehirn ständig neuen Reizen ausgesetzt, speichert es Informationen seltener dauerhaft. Auch gelingt die Unterscheidung zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen schlechter.
  • Schlafmangel: Im Schlaf verarbeitet das Gehirn Erlebnisse und sortiert sie ins Langzeitgedächtnis ein. Fehlt Schlaf, ist dieser Prozess gestört. Wir werden vergesslicher.
  • Gewohnheiten und Routine: Gewohnheiten verarbeitet das Gehirn weniger aktiv. Dadurch können sie schneller vergessen gehen. Stellt sich der Gewöhnungseffekt ein, wird das Gehirn quasi faul.

Besonders kritisch für unsere Gehirnleistung und unser Gedächtnis ist Stress. Stress lässt das Gehirn in den “Überlebensmodus” rutschen. Denkprozesse und Erinnerungen werden in den Hintergrund gedrängt. Akuter wie chronischer Stress führt dazu, dass wir unkonzentrierter, vergesslicher und geistig erschöpft werden und Erinnerungen deutlich schwerer abrufen können.

Wie die Deutsche Hirnstiftung e. V. erklärt, laufen unter Stress verschiedene Prozesse ab, welche die Gehirnleistung beeinflussen: Als Erstes reagiert das vegetative Nervensystem auf Stress, wobei die Schlüsselrolle der sogenannte Sympathikus spielt. Über das sympathische Nervensystem werden die Hormone Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt.

Das zweite wichtige Stresssystem ist die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA). Wird sie aktiv, schüttet die Nebennierenrinde das Stresshormon Cortisol aus. Die Ausschüttung von Stresshormonen beeinträchtigt die Funktion des Hippocampus – der Gehirnregion, die für Lernen und Erinnern zuständig ist.

Um die Filterfunktion des Gehirns zu entlasten und die Merkfähigkeit zu verbessern, kann man im Alltag einiges tun:

  • Gezielte Pausen und Entspannung: Spaziergänge, Atemübungen und Entspannungsmethoden wie Meditation helfen, in die Ruhe zu kommen – und entlasten auch das Gehirn. In ruhigen Momenten kommt oft auch die Erinnerung wieder. Dann kann das Gehirn Informationen leichter abrufen.
  • Ausreichend schlafen: Das Gehirn braucht in der Nacht Zeit, die Eindrücke des Tages zu verarbeiten und abzuspeichern. Sieben bis acht Stunden Schlaf sollte man sich gönnen.
  • Auf ausreichend Bewegung achten: Bewegung und Sport unterstützen den Abbau von Stresshormonen und verbessern die Durchblutung des Gehirns. Auch die Konzentration kann sich verbessern.
  • Strukturen schaffen: Eine gute Terminplanung, To-do-Listen, ein nicht zu voller Kalender und Erinnerungsapps unterstützen das Gehirn und erleichtern die Orientierung im Alltag.
  • Achtsamkeit und Konzentration fördern: Multitasking überlastet das Gehirn. Besser ist es, die Aufgaben nacheinander zu erledigen. Wer sich bewusst auf eine Aufgabe konzentriert, speichert Informationen deutlich besser.

Vergesslichkeit ist bis zu einem gewissen Grad normal – und für die Gehirnfunktion sogar wichtig. Besonders in stressigen Phasen ist das Gehirn oft überlastet. Doch wann wird Vergesslichkeit zum Warnsignal? Aufmerksam werden sollte man, wenn sich die Vergesslichkeit in entspannteren Lebensphasen nicht wieder verbessert oder gar im Verlauf weiter zunimmt.

Außerdem ist es ein Warnsignal, wenn die Vergesslichkeit den Alltag zunehmend belastet, Vergessenes nicht wieder erinnert wird, Orientierungsschwierigkeiten hinzukommen oder es plötzlich schwerfällt, gewohnte Tätigkeiten auszuführen, Gesprächen zu folgen oder Worte zu finden. Dann sollte man die Ursache ärztlich abklären lassen. Die Ursachen können vielfältig sein. Beispielsweise können sich Schilddrüsenprobleme, ein Vitaminmangel (etwa Vitamin B12), psychische Erkrankungen wie Depressionen oder eine Demenz auf die Gedächtnisleistung auswirken.