Ökonom Stiglitz über Trump: „Wir werden alle terrorisiert“

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Herr Stiglitz, die Vereinigten Staaten galten lange als Vorreiter freiheitlicher Ideen. Seit Donald Trump an der Macht ist, hat sich viel verändert. Was macht Ihnen hinsichtlich seiner Politik die größten Sorgen?

Das ist eine so lange Liste, da weiß ich gar nicht, wo ich beginnen soll. Zwei Dinge aber machen mir am meisten Sorgen. Erstens sein Angriff auf den Rechtsstaat: Man kann kein funktionierendes demokratisches Wirtschaftssystem ohne Rechtsstaatlichkeit haben. Die Rechtsstaatlichkeit war immer unser Wettbewerbsvorteil gegenüber vielen anderen Ländern. Das hat Investoren aus der ganzen Welt angezogen. Trump ist dabei, den Rechtsstaat zu zerstören – zwar noch nicht ganz, aber seine Einmischungen sind groß genug, um richtig besorgniserregend zu sein.

Sein Angriff auf die Universitäten und die Wissenschaftsfreiheit. Die akademische Welt ist Teil unseres Systems der „Checks and balances“. Wir Forscher denken über das Geschehen nach und dann kritisieren wir oft. Natürlich will niemand kritisiert werden, aber das ist unsere Aufgabe. Die Wissenschaft kann als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Kontrollmechanismus angesehen werden, der dafür sorgt, dass unsere Gesellschaft gut funktioniert. Genau deshalb mag er uns nicht.

Joseph Stiglitz
Joseph StiglitzAFP

Es hat lange gedauert, bis sich öffentlich sichtbarer Protest gegen Donald Trump geregt hat. Jetzt kam es erst zu großen Protesten in Los Angeles gegen seine Mi­grationspolitik und dann im ganzen Land unter dem Motto „No kings“. Entsteht hier gerade eine neue Dynamik?

Ja, in gewisser Weise schon. Anfangs waren die Leute in einer Schockstarre. Es gab auch die Ansicht, man solle ihn erst mal machen lassen, er werde sich schnell selbst entzaubern. Aber inzwischen wird von vielen erkannt, dass der Schaden, den er verursacht, so groß ist, dass wir dabei nicht einfach tatenlos zusehen können. Wer hätte gedacht, dass er Grundprinzipien wie die Rechtsstaatlichkeit angreift und Menschen ohne ordentliches Verfahren in den Südsudan verschifft oder nach El Salvador bringt. Bürger wie ich machen sich Sorgen, dass auch sie von maskierten Männern gefasst worden sein könnten. Dann hätten auch wir plötzlich in ein Flugzeug nach El Salvador verfrachtet werden können – ohne rechtsstaatliches Verfahren. Ich will zumindest noch einen Moment von einem Gericht angehört werden. Wir werden alle terrorisiert. Wir wissen, so etwas könnte auch uns passieren. Wenn man die Grundrechte einer Einzelperson wegnimmt, dann nimmt man auch allen anderen die Grundrechte weg.

Früher gab es in Amerika oft vehemente Proteste von Studenten – zum Beispiel gegen den Vietnamkrieg in den Sechzigerjahren oder später gegen Rassendiskriminierung. Gegen Trump blieb es an den Unis bislang eher ruhig. Wieso?

Es gibt schon Widerstand – ich bin ein Teil davon. Wir sind besorgt, ob unsere Universitätsverwaltungen vor Trump kapitulieren. Jedenfalls gibt es eine heftige Debatten innerhalb der Universitäten, ob sie gegenüber Trump schon kapituliert haben oder ob das noch kommt. Manches ist heute anders als früher, als es große Studentenproteste gab. Heute sind die Universitäten viel stärker von Studenten aus anderen Ländern abhängig. Das meine ich nicht in finanzieller Hinsicht, sondern das ist Teil unseres Selbstverständnisses. Wir sind globale Institutionen. Auch viele Lehrende kommen aus dem Ausland. Die aus dem Ausland haben Angst davor, ihre Meinung zu äußern. Trump hat klargemacht, dass er auch Menschen deportiert, wenn sie etwas sagen, was er nicht mag – selbst wenn man eine „Green Card“ und damit eine Aufenthaltserlaubnis hat. Solche Ängste gab es vor 50 Jahren nicht.

Haben Sie selbst Angst, sich öffentlich frei zu äußern?

Ich würde so sagen: Ich habe Grund, Angst zu haben. Aber ich lasse mir den Mund nicht verbieten. Ich habe aber großes Verständnis für all die, die sich nicht mehr öffentlich äußern wollen. Das ist eine Frage der Risikoabschätzung. Hat man Familie? Hat man Kinder? Ich bin in einer anderen Lebensphase als viele Jüngere. Es gibt auch noch eine zweite Sache, die heute anders ist: Die Universitäten sind heute stärker von Bundesmitteln abhängig. Das gibt der Regierung mehr Macht. Wir dachten bislang, wir hätten einen Rechtsstaat, der Machtmissbrauch verhindert. Doch da haben wir uns getäuscht. Wir haben nicht mit einem Präsidenten gerechnet, der sich über das Recht hinwegsetzt. Jetzt müssen wir neu nachdenken: Was tun wir, wenn wir einen Präsidenten haben, der sich für einen König hält.

Trifft Sie Trumps Angriff auf die Universitäten auch persönlich?

Es trifft alle Mitglieder der Universitäten: Lehrende und Studenten. Die Verwaltungen müssen sich Sorgen über das Finanzielle machen, nicht wissend, ob sie künftig noch ausländische Studenten haben. In der Mitte des vergangenen Semesters ist einer meiner Studenten verschwunden. Er ging zurück in sein Heimatland, weil ihm von der Uni gesagt wurde, sein Visum sei widerrufen worden – ohne Grund. Es ist absurd: Der Staat sagt den Betroffenen nicht einmal, dass sie ihr Visum verloren haben. Die Universität muss die Akten durchgehen, um zu sehen, wer sein Visum verloren hat, um dann die Studenten zu informieren. Der Staat widerruft das Visum und bittet dann die Betroffenen zur Kasse, weil sie sich zu lange in den USA aufhielten ohne gültiges Visum. Das ist so grausam und ungerecht, dass man es sich nicht vorstellen kann.

Die Harvard-Universität wehrt sich vehement gegen Trumps Eingriffe in die Wissenschaft. Ihre Columbia-Universität zeigt bisher weniger Zähne. Wieso?

Es ist noch komplizierter. Wer von beiden mehr Zähne zeigt, ist Interpretationssache. Soweit ich das verstehe, und man muss wirklich sagen, dass da vieles intransparent geschieht vonseiten Trumps und der Universitätsverwaltungen. Harvard hat zunächst vor Forderungen kapituliert, die eigentlich stärker waren als die Forderungen, die an Columbia gestellt wurden. Die Debatte, die sich innerhalb der Universitäten entspann, war: Kann man sich mit Zugeständnissen an Trump etwas kaufen? Doch wer Zugeständnisse macht, wird am nächsten Tag mit immer neuen Forderungen konfrontiert. Und genau das ist in Harvard passiert. Kurz nachdem sie anfangs Zugeständnisse machten, wurde ihnen ein Forderungskatalog vorgelegt, der so empörend war, dass die Universität das niemals akzeptieren konnte. Das war der Zeitpunkt, als Harvard begann, Zähne zu zeigen. Wir an der Columbia-Uni haben noch keine genaue Klarheit darüber, was überhaupt von uns verlangt wird. Die Verwaltung weiß es womöglich, aber sie hat es den Lehrkräften und Studenten nicht gesagt. Vieles ist völlig unklar. Der Hauptvorwurf, der ursprünglich gegen Harvard und Columbia erhoben wurde, war Antisemitismus. Ich habe mein ganzes Leben in Universitäten verbracht. Ich bin seit einem Vierteljahrhundert hier an der Columbia-Universität in New York: Ich habe hier noch nie Antisemitismus erlebt. Es gibt kaum Plätze, an denen man sicherer vor jeglicher Art von Diskriminierung ist als an unseren Universitäten. Der Vorwurf des Antisemitismus ist schlicht nicht stichhaltig. Wahr ist nur: Ein großer Teil des Lehrkörpers und der Studenten ist gegen die Politik der israelischen Regierung. Aber das ist ein Gefühl, das es auf der ganzen Welt gibt. Wer gegen Netanjahu ist, ist aber noch längst kein Antisemit.

Deutschland wirbt jetzt um amerikanische Wissenschaftler. Vor allem um Spitzenforscher. Hat das Aussicht auf Erfolg?

Ja! Forscher in Amerika können zwar hohe Gehälter erreichen, aber in Deutschland sind die Gehälter für Professoren auch nicht schlecht, jedenfalls besser als in vielen anderen europäischen Ländern. Kürzlich habe ich einen Artikel gelesen, wonach 70 Prozent der Wissenschaftler in Amerika zumindest darüber nachdenken, die Vereinigten Staaten zu verlassen. Dass sie darüber nachdenken, heißt freilich noch nicht, dass sie es auch tun. Aber klar ist: Vor fünf Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, überhaupt darüber nachzudenken.

Droht Amerika ein Braindrain, also eine Abwanderung, und damit der Verlust der Technologieführerschaft?

Sehr sogar. Wie stark er wird, hängt von der Größe der Einschnitte in die Wissenschaft ab. Trumps Streitigkeiten mit Harvard und Columbia bekommen viel öffentliche Aufmerksamkeit. Aber er geht auch gegen viele andere Universitäten vor wie etwa die Johns-Hopkins-Universität oder die Northwestern-Universität – das sind alles keine radikalen Institutionen. Es ist ein Generalangriff auf die Wahrheit und die Wissenschaften. Trump ist gegen alle Institutionen, die für sich in Anspruch nehmen, nach der Wahrheit zu suchen.

Die Techkonzerne im Silicon Valley haben sich Donald Trump großteils unterworfen. Früher klangen viele ganz anders. Was ist da passiert?

Geld korrumpiert. So einfach ist das. Man muss aber bedenken: Viele Angestellte in den Techkonzernen haben ganz andere Ansichten als die Konzernmanager. Einige Unternehmen bekommen inzwischen Probleme bei der Rekrutierung, weil die Führung als so unsozial wahrgenommen wird. Weil sie eine Politik unterstützen, die gegen die Interessen des Landes und der Welt gerichtet ist.

In Ihrem Buch plädieren Sie für eine Politik, die in Europa als sozialdemokratisch bezeichnet würde – in Richtung skandinavischer Wohlfahrtsstaat. Amerika bewegt sich gerade in eine ganz andere Richtung. Wird das Pendel in den nächsten Jahren zurückschwingen, und wir erleben womöglich eine linke Präsidentin Alexan­dria Ocasio-Cortez?

Wenn unsere Demokratie überlebt, ja. Eine sozialdemokratische Agenda, wie sie sich in Skandinavien oder Deutschland zeigt, ist in Amerika im Grundsatz noch immer mehrheitsfähig.

Überlebt die Demokratie in Amerika?

Es ist noch zu früh, das beantworten zu können. Klar ist, dass sich Trump und ein großer Teil der republikanischen Partei nicht der Demokratie verpflichtet fühlen. Im Gegenteil: Sie untergraben die Demokratie.

Sie haben früher Bill Clinton als Präsidenten beraten. Ökonomischer Sachverstand scheint es schwer zu haben bei Trump: Seine Zollpolitik, sein Umgang mit der Zentralbank, seine Vorstellungen über den Dollar werden von der ganz überwiegenden Mehrheit der Ökonomen abgelehnt. Wie denken Sie über Ihre Nachfolger?

Ich finde es verwirrend. Ich kenne sie nicht persönlich. Der heutige Chef des Rates der Wirtschaftsberater ist kein akademischer Wirtschaftswissenschaftler. Ich habe nur ein Papier von ihm gelesen, den sogenannten „Mar-a-Lago Accord“. Ich würde sagen, es ist peinlich. Schon in der ersten Amtszeit Trumps lagen seine Berater mit einigen Vorhersagen komplett daneben. Ich halte sie für unglaubwürdig. Früher haben sich Berater unterschiedlicher politischer Richtungen ausgetauscht und versucht, alle Sichtweisen zu verstehen, um dem Präsidenten alle Argumente auf den Tisch legen zu können – auch die der Gegenseite. Ich hatte immer gute Kontakte auch zu den Chefberatern von George Bush und Ronald Reagan. Wir haben uns immer ausgetauscht. Das ist heute nicht mehr der Fall.

Zur Person

Joseph Stiglitz ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Columbia-Universität in New York. Zuvor lehrte er in Yale, Stanford, Oxford und Princeton. Der heute 82 Jahre alte Ökonom wurde 2001 gemeinsam mit seinen Kollegen George Akerlof und Michael Spence mit dem Nobelgedenkpreis für Wirtschaft ausgezeichnet für die Erforschung, wie Märkte mit asymmetrischer Information kollabieren können. Stiglitz war von 1997 bis 2000 Chefvolkswirt der Weltbank. Von 1993 bis 1997 war er Wirtschaftsberater des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Stiglitz gilt als Neokeynesianer und Ikone der Globalisierungskritiker.

In seinem neuen Buch „Der Weg zur Freiheit: Ökonomie für eine gerechte Gesellschaft“ (477 Seiten, Siedler-Verlag, 28 Euro) plädiert er für einen „progressiven Kapitalismus“ in Amerika, der nach seinen Worten auf eine modernisierte europäische Sozialdemokratie oder den skandinavischen Wohlfahrtsstaat hinausläuft.