Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Darüber lässt sich streiten. Ein Forschungsteam des Exzellenzclusters Econtribute der Universitäten Bonn und Köln hat das in einer neuen Studie untersucht. Die Forscher wollten herausfinden, wie sich der Abbau von Bürokratie in Unternehmen, speziell im Einzelhandel, auswirkt. Denn gerade dort werden Abläufe durch Ausfüllen und Abarbeiten von Checklisten geregelt. Die Dokumentationspflichten sollen den Mitarbeitenden die Arbeit erleichtern, dienen aber auch als Kontrollinstrumente. Die Studie, die der F.A.Z. vorab vorliegt, hat die Folgen von Bürokratieabbau an einem Beispielunternehmen messbar gemacht.
Dafür haben die Forscher in Zusammenarbeit mit einer großen deutschen Bäckereikette mit rund 1350 Festangestellten in der Hälfte der 145 Bäckerei-Filialen zwei von fast zwanzig Dokumentationslisten abgeschafft. Die Mitarbeiter hatten zuvor in einer großen Umfrage die bürokratischen Pflichten bei der Arbeit beklagt. Sie investierten nach eigenen Angaben jede Woche durchschnittlich mehr als fünf Stunden für die Dokumentation. „Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mussten zum Beispiel angeben, wann sie die Brötchen in den Backofen geschoben haben, wann sie diese wieder rausgeholt haben“, sagt Matthias Heinz, Leiter der Studie. „Es gab Hygienelisten, Protokolle über die Geschehnisse des Tages, über Kassenbestände bis hin zu Listen, die sie unterschreiben mussten, wenn sie die Kunden besonders freundlich bedient und ihnen das Brot der Woche angeboten haben.“
„Das ist ein bisschen wie Deutschland im Kleinen“
Diese Vielzahl an Dokumentationspflichten sei wie in vielen anderen Unternehmen über Jahre entstanden. Immer wieder seien neue Listen als Lösung für entstandene oder prognostizierte Schwierigkeiten dazugekommen. „Das ist ein bisschen wie Deutschland im Kleinen“, sagt Heinz. Besagte Listen wurden von den Forschern mithilfe von Mitarbeiterinterviews zunächst einzeln auf Kosten und Nutzen untersucht und anschließend zwei als „besonders zeitaufwendig und wenig hilfreich“ beschriebene Listen in zufällig ausgewählten Filialen über einen Zeitraum von zehn Monaten abgeschafft.
Das Ergebnis ist positiv: Der Umsatz ist gestiegen, die Wartezeiten für die Kunden kürzer, und die Mitarbeiter sind zufrieden. Dafür war laut den Studienautoren jedoch nicht die Zeitersparnis durch den Abbau der Kontrollinstrumente an sich ausschlaggebend. Teambefragungen haben gezeigt, dass die Mitarbeiter sich deutlich mehr wertgeschätzt und ernst genommen gefühlt haben. Sie seien engagierter und motivierter gewesen.
Doch das Ergebnis ist differenziert. „Wir haben vorher die Bezirksleiter gefragt, in welchen Filialen dieser Abbau am besten funktionieren wird. In den Filialen, für die sie prognostiziert hatten, dass die Teams gut ohne Checkliste zurechtkommen, stieg der Umsatz im Durchschnitt um fünf Prozent. In den anderen waren die Umsätze konstant“, sagt Heinz.
Bürokratische Routinen regelmäßig evaluieren
Eine weitere Beobachtung sei der messbare Einfluss auf die Mitarbeiterfluktuation. Die Fluktuation gut ausgebildeter Arbeitskräfte, meist Führungskräfte, sank in den Testfilialen um 35 Prozent. Ungelernte Mitarbeiter verließen das Unternehmen jedoch häufiger. „Die besser ausgebildeten haben sich durch die Kontrollinstrumente wohl eher gegängelt gefühlt, während die weniger gut ausgebildeten Personen von den Checklisten profitiert haben, weil sie dadurch genau wussten, was sie zu tun haben“, sagt Heinz. Das zeige, dass genau untersucht werden muss, wo und für wen Bürokratie abgebaut werden solle. Checklisten seien nicht immer sinnvoll, für manche Teams und auch Arbeitsschritte aber schon. „Es ist wichtig, dass Firmen ab und zu Tabula rasa machen und die bürokratischen Routinen, die sich über die Zeit angesammelt haben, regelmäßig evaluieren.“
Eine weitere Erkenntnis, die sich laut Studienleitern auf verschiedene Bereiche anwenden lässt, sei, das Maß an Kontrolle und Vertrauen nicht nur regelmäßig zu überprüfen, sondern auch in Balance zu halten. Dem mittleren Management die Einschätzung des Personals teilweise zu überlassen, könne dabei helfen, die Effektivität zu steigern. Das habe sich für die Bäckereikette deutlich gezeigt. Hier wurde nach dem Ende der Studie eine der Listen behalten, die andere wurde dauerhaft abgeschafft.