Neues Gesetz stärkt Kampf gegen Kindesmissbrauch in Deutschland

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Kerstin Claus und ihre Vorgänger haben viele Jahre dafür gekämpft, dass das Amt des Unabhängigen Beauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen dauerhaft verankert wird und die Amtsträger nicht immer neu um ihre Daseinsberechtigung kämpfen müssen. Nun wurde das Amt aufgewertet. Seit Beginn dieses Monats ist Kerstin Claus nicht mehr nur Unabhängige Beauftragte, sondern Bundesbeauftragte und ihre Aufgabe wird sich wegen der ungebrochen hohen Zahlen beim Kindesmissbrauch so schnell nicht erledigen. Am 1. Juli trat das Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Kraft.

Die Bundesbeauftragte wird künftig vom Parlament gewählt und regelmäßig über das Ausmaß sexuellen Kindesmissbrauchs, über den aktuellen Schutz, Hilfen, Forschung und Aufarbeitung berichten. Die Aufgabe des jeweiligen Amtsträgers ist es auch, einen Betroffenenrat und eine Unabhängige Aufarbeitungskommission zu berufen. Menschen, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexuelle Gewalt oder Ausbeutung erlebt haben, sollten mitreden und mitgestalten können. In der Vergangenheit haben Institutionen aus Selbstschutz oft genug den zum Scheitern verurteilten Versuch gemacht, die Betroffenen bei der Aufarbeitung auszuschließen.

Die Unabhängige Aufarbeitungskommission kann durch ihre gesetzliche Absicherung und regelmäßige Berichte zum Stand der Aufarbeitung Handlungsbedarfe aufzeigen, Beratungsangebote für die individuelle Aufarbeitung stärken und für eine verbesserte Akteneinsicht und wissenschaftliche Fallanalysen sorgen. Der Gesetzgeber erhofft sich davon, strukturelle Fehler im Kinderschutz rechtzeitig zu erkennen und zu vermeiden.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit Prävention betraut

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (jetzt Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit) erhält den gesetzlichen Auftrag zur Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs. Sie soll Materialien für Fachkräfte, Eltern und Kinder entwickeln. Schutzkonzepte werden zu einem verpflichtenden Bestandteil der Kinder- und Jugendhilfe. Das bedeutet, dass im Jugendclub, in der Familienfreizeit oder Erziehungsberatungsstelle künftig von den Fachkräften geklärt werden muss, welche Risiken und Gefährdungsfaktoren es für Kinder und Jugendliche gibt, wie sie erkannt werden können, welche Vorgehensweisen zu beachten sind, wo Rat zu suchen ist und an welche Ansprechpersonen sich Kinder und Jugendliche wenden können.

Bisher wurden solche Überlegungen oft genug erst dann angestellt, wenn es in einer Einrichtung einen sexuellen Missbrauch gab. Außerdem wird ein medizinisches Beratungsangebot zur Einschätzung von Kindeswohlgefährdung eingerichtet. Bestehende Unterstützungssysteme wie das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch und das Hilfe-Portal sollen dauerhaft erhalten bleiben.

Bundesbildungs- und Familienministerin Karin Prien (CDU) hob bei der Vorstellung des Gesetzes am Mittwoch in Berlin dessen Bedeutung für ein gewaltfreies Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen hervor, die Grundlage für das gesamte weitere Leben sei. „Die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2024 zeigen, wie dringend nötig dieser Schritt für mehr Schutz war: Mehr als 18.000 Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – und das ist nur das Hellfeld“. 2206 betroffene Kinder waren jünger als sechs Jahre.

Fast zwei Drittel der Kinder kennen den Täter oder die Täterin und haben eine soziale Beziehung zu ihm oder ihr. Das Dunkelfeld, also die Zahl der polizeilich nicht bekannten Fälle ist weitaus größer. Dunkelfeldforschungen der vergangenen Jahre haben ergeben, dass etwa jeder und jede siebte bis achte Erwachsene in Deutschland sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten hat. Betroffene haben diese Erlebnisse oft jahrelang verdrängt und sind erst in einem späteren Lebensalter mit den Erinnerungen daran konfrontiert worden.

Von dem Gesetz erhofft sich Prien, dass die Hilfsangebote und die Aufarbeitung gestärkt werden. „Persönlich wichtig ist mir, dass politische Maßnahmen evidenzbasiert sind“, sie freue sich deshalb über die Einrichtung eines Zentrums für Forschung zu sexueller Gewalt. Mit dem Aufbau hat das Deutsche Jugendinstitut Ende vergangenen Jahres begonnen. Es sei wichtig, das Dunkelfeld weiter auszuleuchten und wirksame Schutzmaßnahmen zu entwickeln, so die Ministerin.

Die Unabhängige Bundesbeauftragte Kerstin Claus sagte, dass Deutschland mit diesem Gesetz ressortübergreifend Prävention, Intervention und Hilfen für Betroffene stärke. „Jetzt erwarte ich von der Bundesregierung, diese spezifische Kompetenz meines Amtes zu nutzen und aktiv einzubinden“. Das gemeinsame Ziel sieht Claus darin, das Risiko sexueller Gewalt zu senken, Betroffene zu unterstützen und Aufarbeitung für Taten in der Vergangenheit zu ermöglichen. Die Zahl der Straftaten sei hoch, das Dunkelfeld riesig und die „Risiken gerade in der digitalen Welt nahezu unermesslich“. Im digitalen Raum fehle jede soziale Kontrolle, es gebe keine kindgerechten Räume und Junge Leute seien den Täterstrategien völlig schutzlos ausgeliefert. „Wir sind alle dafür verantwortlich, dass Kinderschutz umfassend gelingt und Hilfe möglich wird“, mahnte Claus.