Kritik in CDU/CSU an SPD-Kandidatin

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In der Unionsfraktion wird seit Montag viel telefoniert: Nachdem Abgeordnete auf der Internetseite der F.A.Z. gelesen haben, dass sie nach dem Wunsch der Fraktionsspitze in der kommenden Woche die von der SPD vorgeschlagene Staatsrechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin wählen sollen, ist der Gesprächsbedarf groß. „Unsere Kandidaten trafen in der Vergangenheit auf Ablehnung, weil sie zu migrationskritisch waren. Frau Brosius-Gersdorf ist lebenskritisch. Die Personalie ist für uns niemals wählbar“, sagt ein Abgeordneter aus dem Rechtsausschuss der F.A.Z. – unter der Bedingung, dass sein Name nicht genannt wird.

Er verweist darauf, dass CDU und CSU auf Druck der Grünen ihren ursprünglichen Kandidaten für einen ebenfalls in der kommenden Woche zu besetzenden Richterposten zurückziehen mussten. Mit der Formulierung „lebenskritisch“ spielt er auf die Haltung von Brosius-Gersdorf zum Schutz ungeborenen Lebens an: Die Professorin arbeitete in der Kommission der Ampelkoalition zum Schwangerschaftsabbruch mit. Im von ihr verantworteten Kapitel des Berichts ist zu lesen, für die Geltung der Menschenwürde „erst für den Menschen ab Geburt“ sprächen „gute Gründe“.

Unmut in Landes- und Arbeitsgruppen

Auch weitere Abgeordnete üben Kritik an der Kandidatin: „Es kann nicht sein, dass die Union eine ultralinke Juristin ans Verfassungsgericht wählt“, sagt ein CDU-Abgeordneter der F.A.Z. – ebenfalls unter der Bedingung, dass sein Name nicht genannt werde. Ein CSU-Abgeord­neter hält zwar beide SPD-Kandi­datinnen für „polarisierend“. Brosius-Gersdorf habe sich in der Öffentlichkeit aber „sehr zugespitzt“ geäußert. Das sei „für das Amt einer Verfassungsrichterin nicht angemessen“.

Neben Brosius-Gersdorf sollen in der kommenden Woche nach Koalitionsplänen auch Bundesarbeitsrichter Günter Spinner und die Staatsrechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold zu Verfassungsrichtern gewählt werden. Brosius-Gersdorf ist zudem als Gerichtsvizepräsidentin vorgesehen und könnte später zur Präsidentin aufrücken. Dies verstimmt die Abgeordneten zusätzlich. Der F.A.Z. liegen übereinstimmende Berichte aus mehreren Landes- und Arbeitsgruppen der Unionsfraktion vor. Etliche Parlamentarier sollen erklärt haben, Brosius-Gersdorf nicht zu wählen, weitere haben Bedenken. Da für die Verfassungsrichterwahl eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, kann sich Schwarz-Rot kaum Abweichler leisten.

Was stört die Abgeordneten?

Hört man sich unter den Parlamen­­tariern um, wird die Kritik an Brosius-Gersdorf nicht nur mit ihrer Position zur Menschenwürde begründet. Unter den Abgeordneten kursieren Presseartikel, in denen sich Brosius-Gersdorf für gesetz­liche Frauenquoten im Wahlrecht aus­gesprochen hat. In einem Beitrag im „Tagesspiegel“ aus dem Jahr 2020 wirft sie dem Thüringer Landesverfassungsgericht ein „schwerwiegendes Abwägungsdefizit“ vor, nachdem es das dor­tige Paritätsgesetz verworfen hatte. Brosius-Gersdorf hat ferner mehrfach geschrie­ben, dass das Kopftuchtragen mus­limischer Rechtsreferendarinnen nicht gegen das staatliche Neutralitätsprinzip verstoße. Das widerspricht ebenso der Karlsruher Rechtsprechung wie ihre Haltung zur Streichung des Abtreibungs­paragraphen aus dem Strafgesetzbuch.

Neben diesen inhaltlichen Punkten stören sich die Abgeordneten am Auftreten der Professorin: Sie agiere im Aktivistenduktus, ist zu hören. Das sei mit der Integrationsfunktion des Gerichts unvereinbar. Im Laufe der Woche soll es weitere Gespräche geben.