Kritik an Schwarz-Rot nach Koalitionsausschuss

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Um kurz vor 23 Uhr am Mittwochabend kam dann doch noch weißer Rauch, nachdem der Koalitionsausschuss von Union und SPD am späten Nachmittag im Kanzleramt zusammengekommen war. Doch das, was die Koalitionäre da beschlossen haben, wird die zuletzt deutlich gewachsene Enttäuschung über den wirtschaftspolitischen Kurs der schwarz-roten Koalition kaum senken. Die ersten Reaktionen zeigen, dass eher das Gegenteil der Fall ist.

Grund ist die Kernbotschaft des dreiseitigen Abschlusspapiers: Bezüglich der Senkung der Stromsteuer gibt es keine Veränderung im Vergleich zum Kabinettsbeschluss zum Haushalt aus der vorigen Woche. Weiterhin wird nur das produzierende Gewerbe entlastet, nicht alle Verbraucher. Was sich dagegen ändert: Die Ausweitung der Mütterrente kommt nicht erst Anfang 2028, wie im Kabinettsbeschluss unterstellt, sondern schon ein Jahr früher, zum 1. Januar 2027. Sollte die Auszahlung technisch dann noch nicht möglich sein, wie es die Rentenversicherung sagt, soll sie rückwirkend zu diesem Datum erfolgen.

Diese Entscheidung ist auch deshalb brisant, weil es um ähnliche Beträge geht. Eine Senkung der Stromsteuer über das schon entlastete produzierende Gewerbe hinaus hätte laut Bundesfinanzministerium 5,4 Milliarden Euro im Jahr gekostet. Die Ausweitung der Mütterrente verursacht ebenfalls Kosten von rund fünf Milliarden Euro im Jahr. Die Ausweitung der Mütterrente war vor allem einem wichtig: CSU-Chef Markus Söder. Söders Triumph ist gewissermaßen die Niederlage der Stromkunden. Dass in der Finanzplanung bis 2029 ohnehin schon eine Haushaltslücke von 144 Milliarden Euro klafft, kümmerte die Koalitionäre offenkundig nicht.

Ausweitung der Mütterrente „überhaupt nicht nachvollziehbar“

Der ökonomische Berater von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), Jens Südekum, kritisierte die Beschlüsse. „Angesichts der klammen Kassen ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum Markus Söder in derselben Sitzung, in der die Stromsteuersenkung für nicht finanzierbar erklärt wird, eine frühere Ausweitung der Mütterrente durchdrückt“, sagte Südekum der F.A.Z. „Auch er sollte sich darauf konzentrieren, durch Investitionen und Strukturreformen Wachstum in Deutschland zu schaffen, anstatt immer mehr Steuergeld für Staatskonsum und Rentenerhöhungen zu verplanen.“ Für die Entscheidung, die Stromsteuer zunächst nicht weiter zu senken, zeigt Südekum Verständnis. Alle Vorhaben des Koalitionsvertrages stünden unter Finanzierungsvorbehalt. „Bei der Stromsteuer sehen wir erstmalig, was das konkret bedeutet.“ Die Kritik an der ausbleibenden Senkung für alle Stromkunden hält der Düsseldorfer Ökonom für „überzogen, denn Privathaushalte werden bei den Strompreisen ja ab Januar 2026 entlastet, nämlich durch die Senkung der Netzentgelte.“

DSGVO Platzhalter

Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm zeigt sich verwundert. „Die Wahlgeschenke waren schon zum Zeitpunkt der Sondierungsvereinbarung falsch: In diesen angespannten Zeiten können wir uns die Ausweitung der Mütterrente, die weitere Subvention von Agrardiesel und die Absenkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie schlichtweg nicht leisten.“ Für die Transformation zur Klimaneutralität sei es wichtig, dass Strom billiger werde. „Besonders ungünstig ist es, dass durch die Übernahme der Gasumlage durch den Bund der Gaspreis statt der Strompreis gesenkt wird, also Gas relativ billiger wird. Das verschiebt die Anreize genau in die falsche Richtung.“

Wirtschaftsverbände sind wenig überraschend verärgert über die Prioritätensetzung der Koalition. „Die Stromsteuersenkung für alle Betriebe war nicht irgendwo angekündigt, sondern mehrfach und verbindlich schriftlich festgehalten – im Koalitionsvertrag, in Beschlüssen des vorherigen Koalitionsausschusses und im sogenannten Entlastungspaket der Bundesregierung“, sagte Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Handwerksbetriebe hätten auf diese Zusage vertraut. „Wenn zentrale, mehrfach zugesagte Entlastungen nicht kommen, während gleichzeitig teure politische Projekte umgesetzt werden, gerät bei den Betrieben das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit politischen Handelns insgesamt ins Wanken.“

„Für überflüssige Rentengeschenke gibt es genug Geld“

Ähnlich äußerte sich der Groß- und Außenhandelsverband BGA. „Das Ergebnis des gestrigen Koalitionsausschusses ist ernüchternd: Für überflüssige Rentengeschenke gibt es genug Geld. Für die signifikante Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleibt zu wenig übrig“, kommentierte Präsident Dirk Jandura. „Dass es in der längsten Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte immer noch nicht möglich ist, die Stromsteuer für alle Unternehmen abzusenken, ist enttäuschend.“

In dem Abschlusspapier des Koalitionsausschusses heben Union und SPD die bereits zuvor beschlossenen Erleichterungen für die Wirtschaft hervor. Die Gasspeicherumlage soll statt von den Gaskunden künftig aus dem Klima- und Transformationsfonds gezahlt werden, Kostenpunkt: 3,4 Milliarden Euro. Zudem ist ein Zuschuss zu den Netzentgelten auf den Strompreis geplant, rund 6,5 Milliarden Euro jährlich von 2026 an. Auch die Verlängerung der bereits zu Ampelzeiten eingeführten Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe schreibt sich die schwarz-rote Koalition auf die Fahnen. Insgesamt summierten sich die Erleichterung so auf zehn Milliarden Euro im Jahr, heißt es in dem Papier.

Die Koalitionäre betonen auch, dass nicht nur große Industriebetriebe profitierten, sondern auch Handwerksbetriebe wie Bäckereien und Fleischereien. Diese zählen zum produzierenden Gewerbe. „Aber viele stromintensive Handwerksbetriebe, wie Textilreiniger oder Kfz-Betriebe, gehören dem produzierenden Gewerbe nicht an und werden somit nicht entlastet“, heißt es aus dem Handwerksverband. „Trotz Stromintensität gehen diese Handwerksbetriebe leer aus.“ Der Satz in dem Abschlusspapier „Potentiell profitieren davon über 600.000 Unternehmen“ dürfte vielen in der Wirtschaft wie Hohn vorkommen. Insgesamt gibt es mehr als drei Millionen Unternehmen in Deutschland. „Ein überzeugendes Gesamtkonzept für die internationale und europäische Wettbewerbsfähigkeit fehlt weiterhin“, sagte BGA-Präsident Jandura.