Sportpsychologin ordnet seinen Gefühlausbruch ein

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“Es gibt mittlerweile Studien aus der Population der Leistungssportler, die zeigen, dass bei ihnen depressive Verstimmungen genauso häufig vorkommen wie in der Normalpopulation”, berichtet Sulprizio. Sport, Erfolg und viel Geld schützten nicht vor mentalen Schwierigkeiten. “Spitzensportler haben ähnliche Risiken wie Topmanager: dauerhafter Erfolgsdruck und öffentliche Sichtbarkeit und Bewertbarkeit durch Medien, Social Media und Hasskommentare.” Es sei eine sehr individuelle Sache und komme auf die Verletzbarkeit des Einzelnen an. “Als Spitzensportler benötigt man ein dickes Fell”, sagt die Sportpsychologin, die auf die vielen Nebenschauplätze Zverevs der vergangenen Jahre verwies: eine Schlammschlacht mit dem Ex-Manager, mehrere unschöne öffentliche Trennungen von Trainern, öffentliche Kritik an seinen Verfehlungen während Corona, große Medienberichte über mutmaßliche Vorwürfe häuslicher Gewalt, die Jahre öffentlich schwelten, zu einem ATP-Verfahren führten, bevor sie Zverev juristisch in einem Gerichtsverfahren einvernehmlich mit der Gegenpartei ohne Urteil beilegen konnte.

Zverev jedenfalls wirkte in der Vergangenheit des Öfteren genervt von Situationen um seine Person in den Medien. “Diese ständige Bewertbarkeit und schnelle Medienwelt kann sehr belastend sein”, urteilt die Expertin. Zverev hatte dazu gesagt: “Ich habe viele Schwierigkeiten in den Medien durchgemacht. Ich habe generell viele Schwierigkeiten im Leben durchgemacht. Ich habe mich noch nie so leer gefühlt. Mir fehlt einfach die Freude, die Freude an allem, was ich tue. Dabei geht es nicht unbedingt um Tennis. Es fehlt mir auch außerhalb des Tennissports an Freude.” Zverev, der sich in der Vergangenheit wiederholt öffentlich gegen Mentaltrainer und Psychologen aussprach, öffnete sich in Wimbledon zudem erstmals für mögliche Hilfe. “Ja, möglich. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben brauche ich das.”

Die Worte des Bruders, die Aussagen hätten mit der Niederlage zu tun, seien ebenfalls Teil der Wahrheit. “In so einem affektiven Moment nach einer Niederlage können solche Aussagen auch aus einem Sportler heraussprudeln und vor diesem Hintergrund getroffen werden”, erklärt die Psychologin, die Zverevs Bereitschaft, erstmals offen für Hilfe zu sein, als gutes Signal wertet. “Je mehr Menschen sich öffnen, desto weniger ist dieses Thema in der Ecke der Tabus. Und das wiederum ist gut für die Förderung. So kann man besser auf die Thematik aufmerksam machen und früher erkennen, wenn Warnzeichen vorliegen. Da sind wir in Deutschland noch nicht so weit und liberal. Mentale Probleme sind oft noch immer ein Zeichen von Schwächen.”