Es war ein frühes Signal. Nicht einmal drei Stunden bevor Friedrich Merz am Mittwoch mit zwei Handvoll Männern und einer einzigen Frau im Kanzleramt zur zweiten Sitzung des Koalitionsausschusses zusammenkam, um über die finanzielle Zukunft des Landes zu verhandeln, saß er nahe dem Brandenburger Tor vor einem überwiegend weiblichen Publikum.
Merz übernahm die Schirmherrschaft über die Initiative Chef:innen:sache, die zehn Jahre zuvor von Frauen in Führungspositionen gegründet worden war. Wie nebenbei sagte der Kanzler bei diesem Auftritt, wenn in fünf oder zehn Jahren darüber geurteilt werde, ob seine Regierung erfolgreich gewesen sei, werde es nicht darum gehen, was man mit der Stromsteuer gemacht habe. Vielmehr darum, in welchem Zustand die Demokratie sei.
Kurz darauf, um 17 Uhr, ging es dann aber doch erstmal um die Stromsteuer, nicht die vollen fünfeinhalb Stunden, die das Treffen des wichtigsten Koordinierungsgremiums der Regierung am Ende dauern sollte, aber doch lange und gründlich. Alles begann, so wurde am Tag danach von Unions- wie SPD-Seite berichtet, mit einer Aussprache. Die vorsichtigere Darstellung lautet, dass man „sehr, sehr ausführlich“ über die Zusammenarbeit in der Koalition gesprochen habe. Die deutlichere: „Es hat gescheppert.“ Während der Hitzemittwoch draußen in der Stadt ohne Blitz und Donner endete, brach im Kanzleramt erstmal ein Gewitter los.
Eine Entscheidung unter vier Augen
Eigentlich hatten die Koalitionäre in Ruhe über die Finanzplanung für die Zukunft, auch die nächsten Jahre sprechen wollen. Die Programmänderung für das Treffen am Mittwoch lag daran, dass Kanzler Merz und sein sozialdemokratischer Vizekanzler Lars Klingbeil am Dienstag der vorigen Woche beschlossen hatten, die im Koalitionsvertrag auch für alle Verbraucher angekündigte Senkung der Strompreissteuer zunächst auf Industrie, Wirtschaft und Landwirtschaft zu konzentrieren. Die Verbraucher sollten erstmal nur sehr wenig Erleichterung erfahren und müssten sich gedulden, bis mehr Geld da wäre. Das Kabinett stimmte zu.
Merz vergaß jedoch, die Ministerpräsidenten von Bayern und Nordrhein-Westfalen, Markus Söder (CSU) und Hendrik Wüst (CDU) so zu unterrichten, dass es sie zufriedengestellt hätte. Ebenso übergangen fühlten sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und der Vorsitzende der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU). Außer Wüst waren am Mittwoch alle dabei.
Es gab es drei Lager, die nach übereinstimmender Darstellung ihrem Unmut Ausdruck verliehen. Diejenigen, die sich übergangen fühlten schimpften deswegen. Diejenigen, die im Kabinett eine Entscheidung herbeigeführt und dafür Zustimmung erhalten hatten, verliehen ihrem Ärger Ausdruck, dafür nun gleich wieder beschimpft zu werden. Die Sozialdemokraten schauten auf den Unionsstreit und machten deutlich, dass sie ihn für nicht hilfreich hielten.
Als das Gewitter vorbei war, man sich über den Umgang miteinander grundsätzlich ausgesprochen hatte, begann eine lange, inhaltliche Debatte über die Möglichkeiten zur Senkung der Strompreise. Sie fand – auch darin stimmen die Darstellungen überein – wie wohl der Rest des Treffens in guter und sachlicher Atmosphäre statt. In der Union hatten einige sich wohl noch Hoffnungen gemacht, eine Lösung für eine schnelle Verbraucherentlastung zu finden. Doch blieb es am Ende beim ursprünglichen Beschluss des Kabinetts. Ideen wie die Verschiebung von Kosten aus dem Kernhaushalt in den Klima- und Transformationsfonds wurden wegen verfassungsrechtlicher Bedenken verworfen.
Mit blauen Flecken durchgesetzt
Neben der Stromsteuer war das Thema Rente Gegenstand des Ausschusstreffens. Das konnte viel schneller abgearbeitet werden. Man bekräftigte das Ziel, beim Rentenniveau die sogenannte Haltelinie von 48 Prozent einzuhalten. Eine Veränderung – und das war dann der einzige wesentliche inhaltliche Beschluss des Abends – gab es bei der Mütterrente. Die Koalitionäre legten sich darauf fest, die vor allem von Söder geförderte Ausweitung der Mütterrente bereits von 2027 an gelten zu lassen. In der Mittelfristigen Finanzplanung steht bisher das Jahr 2028. Den bayerischen Ministerpräsidenten dürfte es freuen.
Am Tag danach meldeten sich gleich mehrere Teilnehmer der Sitzung des Koalitionsausschusses öffentlich zu Wort. Durchweg verteidigten sie die Ergebnisse des Treffens. Dabei wurde bekräftigt, dass neben den Unternehmen und der Landwirtschaft die Verbraucher durch die Senkung der Netzentgelte und die Abschaffung der Gasspeicherumlage entlaste. Ein besonders originelles Argument trug Jens Spahn vor, der darauf hinwies, dass man mit einer höheren Mütterrente auch den Strom bezahlen könne.
Merz und Klingbeil haben zwar einige blaue Flecken bekommen in den letzten Tagen, gehen letztendlich aber als diejenigen aus der Strompreisdebatte hervor, die sich durchgesetzt haben. Für allem für Merz ist das wichtig. Seit er das Billionen-Schulden-Paket eingefädelt hat, ist die Entscheidung zur Stromsteuer die erste Bemühung, das im Wahlkampf hochgehaltene Versprechen einzulösen, solide zu wirtschaften und zu sparen. Ein wenig wie verkehrte Welt wirkt es schon, dass die SPD in diesem Falle den entschlosseneren Sparkurs fuhr als die Union.
Zufällig traten Merz und Klingbeil am Donnerstag bei einer Tagung der Volks- und Raiffeisenbanken in Berlin auf und demonstrierten ihre Einigkeit. Merz, der als erster sprach, scherzte, er hätte auch gemeinsam mit Klingbeil auftreten können. Der sprach dann allerdings, wie geplant, erst später.
Am Ende fanden die Koalitionäre im Laufe des Donnerstag jedenfalls wieder in die Spur. Der eine oder die andere machte noch ein paar kritische Anmerkungen. Eine galt dem Verhalten von Kanzleramtsminister Thorsten Frei. Der Christdemokrat hatte es vorgezogen, am Mittwochabend bei einer Veranstaltung der Sparkasse in seinem baden-württembergischen Wahlkreis zu sprechen, statt am Treffen des Koalitionsausschusses teilzunehmen. Das stieß in seiner Partei auf Kopfschütteln.
Bärbel Bas sagte, dass sie zwar grundsätzlich für Parität sei, auch im Koalitionsausschuss. Dennoch habe sie sich als einzige Frau wohlgefühlt. Es seien auch alle gut mit ihr umgegangen.