Leere Gasspeicher – droht die nächste Krise?

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Bei den aktuellen Temperaturen scheint der Gedanke an den kommenden Winter in weiter Ferne. Doch in der Energiebranche sorgt die mangelnde Auslastung vieler Gasspeicher derzeit für Aufregung. Der größte deutsche Gasspeicher im niedersächsischen Rehden ist aktuell nur zu 2,3 Prozent gefüllt – so niedrig lag der Füllstand zuletzt im Frühsommer 2022. „Als er das letzte Mal leer war, folgte die Gaskrise“, schrieb Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, in dieser Woche auf der Plattform Linkedin. „Davon sind wir noch weit entfernt. Aber in Kombination mit der massiven Abhängigkeit unserer Erdgasversorgung von wenigen norwegischen Pipelines ist das durchaus ein Grund zur Sorge.“

Der von Sefe (ehemals Gazprom Germania) betriebene, knapp 44 Terawattstunden Volumen bietende Porenspeicher ist kein Einzelfall. Auch der von Uniper vermarktete viertgrößte deutsche Gasspeicher Breitbrunn in Bayern ist derzeit noch zu rund zwei Dritteln leer. Als das Unternehmen im Juni versuchte, freie Kapazitäten zu auktionieren, fand sich kein Käufer. Vor dem Hintergrund der schwierigen Marktlage habe sich Uniper mit der Nafta Speicher GmbH, die die bergrechtlichen Nutzungsrechte an der Lagerstätte hält, nicht auf eine Verlängerung ihres Vertrags einigen können, der zum Ende des Speicherjahres 2026/27 ausläuft. Uniper habe daraufhin der Bundesnetzagentur eine mögliche Stilllegung des Speichers angezeigt, sagt eine Sprecherin.

Trotz der Probleme in Rehden und in Breitbrunn hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche ausgerechnet in dieser Woche die Alarmstufe im Notfallplan Gas ausgesetzt, die ihr Vorgänger Robert Habeck (Grüne) im Juni 2022 nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukra­ine ausgerufen hatte. Die Preise hätten sich stabilisiert, die Speicher trügen zur Versorgungssicherheit bei, sagt die CDU-Politikerin. Wie passt das zusammen?

Markt funktioniert nicht

Die Bundesnetzagentur spricht mit Blick auf die Speicher in Rehden oder Breitbrunn von Einzelfällen; für die Einschätzung der Versorgungssicherheit komme es auf die „Gesamtschau“ an. Insgesamt sind die Speicher in Deutschland aktuell zu gut 50 Prozent gefüllt; der Wert liegt am unteren Rand der Vorkrisenjahre. Die Behörde spricht von einer „stabilen Versorgung“, die sich in den vergangenen Jahren „stark verändert“ habe, etwa durch eigene Flüssiggasterminals und geänderte Lastflüsse. Wegen „ausreichender Import- und Speichermöglichkeiten“ sei die Versorgungssicherheit gewährleistet.

Im Falle einer Versorgungsunterbrechung einzelner Leitungen könnten fehlende Mengen bis zum Eintreffen von Flüssiggas-Lieferungen vorrangig durch Kavernenspeicher im Norden und Porenspeicher im Süden kompensiert werden, sagt der Netzagentur-Sprecher. Rehden sei in einem solchen Szenario weniger wichtig, weil aufgrund seiner geologischen Eigenschaften die eingespeicherten Gasmengen nur zeitverzögert verfügbar wären. „Etwaige Engpässe könnten daher deutlich besser über den Gashandel überbrückt werden.“ Trotzdem sind die geringen Füllstände einzelner Speicher ein Beleg dafür, dass der Gasmarkt nicht so funktioniert, wie er soll. Normalerweise ist Gas zur Lieferung im Sommer günstiger als zur Lieferung im Winter – in der Fachsprache spricht man von einem positiven Sommer-Winter-Spread –, was den Marktteilnehmern einen Anreiz zur Einspeicherung bietet.

Politik macht Vorgaben für Füllstände

Diese Grundsatzregel gilt teilweise aber nicht mehr. „Seit vergangenem Herbst und bis vor wenigen Wochen war die Einspeicherung wirtschaftlich unattraktiv, da Sommerpreise über den Winterpreisen lagen“, sagt eine Sprecherin von Uniper. Das habe dazu geführt, dass auch bei Uniper noch „beträchtliche Kapazitäten“ für das laufende Speicherjahr ungebucht sind. Inzwischen hätten sich die Spreads zwar etwas erholt, seien jedoch noch immer „sehr schmal“. Das bedeutet, dass Speicherkunden ihre Kosten der Befüllung für die schon gebuchten Speicherkapazitäten kaum decken können oder sich nicht in der Lage sehen, neues Gas zu kaufen.

„Der Markt liefert aktuell keine ausreichenden Anreize zur Einspeicherung von Gas“, sagt auch Stefan Dohler, Vorstandsvorsitzender des Oldenburger Energiekonzerns EWE, der auch selbst Gasspeicher betreibt. „Wenn Speichernutzer keine wirtschaftlich tragfähigen Einspeicheranreize haben und sich der Staat zugleich aus der Verantwortung nimmt, ist das Risiko real, dass Speicher vor dem kommenden Winter nicht hinreichend gefüllt sind.“ Die geringen und lange sogar negativen Sommer-Winter-Spreads führen viele Beobachter auf die seit der Energiekrise existierenden Füllstandsvorgaben zurück, die Speicherbetreiber bis zum Herbst eines jeden Jahres erreichen müssen. Weil diese die Händler und Versorger nur dann beträfen, wenn diese Speicherkapazitäten gebucht hätten, hätten die Händler und Versorger es angesichts der im Frühjahr zu beobachtenden Marktanomalie vorgezogen, Speicher gar nicht erst zu buchen, erklärt ein Sprecher der Bundesnetzagentur.

Vor Borkum könnte bald wieder Gas gefördert werden

Sieht es so aus, als würden die Füllstandsziele nicht erreicht, muss das Düsseldorfer Unternehmen Trading Hub Europe (THE) als sogenannter Marktgebietsverantwortlicher im Auftrag des Staates die Lücke füllen – egal zu welchem Preis. Die Kosten dafür werden den Verbrauchern über die Gasspeicherumlage aufgebrummt; sie beträgt in diesem Jahr 0,299 Cent je Kilowattstunde. Ab dem kommenden Jahr soll sie aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanziert werden. Wirtschaftsministerin Reiche sagte am Dienstag allerdings, sie halte eine staatliche Befüllung der Speicher durch THE angesichts der „insgesamt sicheren Versorgungslage“ nicht für erforderlich.

Trotzdem könnte es für die Verbraucher teuer werden. „Eine unzureichende Speicherkapazität zu Beginn des Winters würde das Risiko von Preisspitzen im Winter erhöhen, da sie die Pufferkapazität des Landes zur Bewältigung besonders kalter Wetterbedingungen oder ungeplanter Versorgungsunterbrechungen verringert“, sagt Natasha Fielding von der Rohstoffagentur Argus Media.

Die EU hat die marktverzerrende Wirkung der Vorgaben für die Speicher erkannt und sich Ende Juni zumindest auf eine Lockerung geeinigt. Darüber hinaus hätte Uniper am liebsten, dass Speicher als systemrelevante Infrastruktur anerkannt und regulatorisch abgesichert werden, „damit Investitionen getätigt werden, nicht zuletzt auch angesichts anstehender Reinvestitionen, Sanierungsmaßnahmen und der begrenzten Zukunftsperspektive für Erdgas“. Das Unternehmen wünscht sich außerdem, dass der Staat den Aufbau von Wasserstoffspeichern unterstützt; die Gaswirtschaft hatte dazu Differenzverträge mit einer späteren Umlagenfinanzierung vorgeschlagen. Das, so die Sprecherin, würde helfen, die Gasspeicher perspektivisch auf Wasserstoff umzurüsten.

Zur Versorgungssicherheit beitragen soll demnächst auch wieder die heimische Gasförderung. Die Bundesregierung hat am Mittwoch einem Gasförderabkommen mit den Niederlanden zugestimmt. Damit ist eine Hürde auf dem Weg zur Gasförderung vor der Insel Borkum genommen. Die dort geplanten Felder entsprechen aber nur etwa einem Prozent des deutschen Gasverbrauchs. Kritiker warnten vor der Gefahr eines „fossilen Lock-ins“, weil die ökonomische Tragfähigkeit solcher Projekte stark von Synergieeffekten und Infrastrukturausbau abhänge.