Der Bräutigam, ein feister junger Mann mit Sonnenbrille, fährt in einem erst seit Kurzem erhältlichen Mercedes-Geländewagen-Sondermodell vor, das in Design und Farbe – „Agavengrün“ – die Achtzigerjahre feiert. Er schießt aus einer Pistole aus dem Fahrerfenster in die Luft, wobei an seinem Handgelenk eine über und über mit Diamanten besetzte, viele Millionen Euro teure Uhr eines New Yorker Designers sichtbar wird. Das Video der Szene kommt von einem Instagram-Profil, das dem Bräutigam selbst zugerechnet wird.
Eigentlich ist die amerikanische Bilderplattform in Russland, in dessen Nordkaukasusrepublik Tschetschenien die Hochzeit Ende voriger Woche über drei Tage gefeiert wurde, als „extremistisch“ verboten und nur über VPN-Umweg zu nutzen. Eigentlich ist der Bräutigam, Adam Kadyrow, ein Sohn des Tschetschenenherrschers Ramsan Kadyrow, mit seinen 17 Jahren noch zu jung, um Auto fahren zu dürfen.
Eigentlich sollten weder der Geländewagen noch die Diamentenuhr in Russland sein, westliche Sanktionen verbieten solche Ausfuhren. Aber Russlands Elite hat keine Schwierigkeiten, Beschränkungen und Gesetze zu umgehen. Tschetscheniens Elite erst recht nicht. Sie lebt nach ihren eigenen, um Blut und Ehre kreisenden Regeln. Und bis zu einem gewissen Grad nach denen ihres Gönners im zwei Flugstunden von der Republikhauptstadt Grosnyj entfernten Moskau, Präsident Wladimir Putin.
Instagram-Selbstporträts in martialischer Pose
Adam Kadyrow ist der dritte, mittlerweile aber wichtigste Sohn seines Vaters. Sein Aufstieg begann im August 2023, als der damals 15 Jahre alte Junge im Untersuchungsgefängnis von Grosnyj einen vier Jahre älteren, aber wehrlosen Häftling verprügelte. Ramsan Kadyrow veröffentlichte ein Video davon auf Telegram und pries seinen Sohn. Der Häftling hatte in der Stadt Wolgograd einen Koran verbrannt, war aber nach Tschetschenien überstellt worden, angeblich, weil viele Bewohner der Region ihre religiösen Gefühle verletzt sahen. Der Geschlagene erhielt 14 Jahre Haft, der Schläger etliche Orden in Tschetschenien und anderen mehrheitlich muslimischen Teilrepubliken Russlands.
Zudem machte Ramsan Kadyrow Adam zu seinem Chefleibwächter – wie er selbst es einst für seinen Vater gewesen war. Auf diesen Mann, Achmat Kadyrow, hatte Putin gesetzt, um das abtrünnige Tschetschenien zu unterwerfen. Nach dem Großvater ist jetzt viel benannt in der Teilrepublik: die Spezialkräfte, die in der Ukraine kämpfen; der Flughafen von Grosnyj; und der Heimatort des Clans, wo nun die Hochzeit gefeiert wurde, heißt nicht mehr Zentoroj, sondern Achmat-Jurt.
Seit Kurzem ist Adam Kadyrow auch offiziell „Kurator“ des tschetschenischen Innenministeriums und Sekretär des Sicherheitsrats der Teilrepublik. Die Postenfülle nährt Vermutungen, dass es dem Vater darum gehe, seinen dritten Sohn als Nachfolger aufzubauen. Der erste, der auch erst 19 Jahre alte Achmat Kadyrow (benannt nach dem Großvater), ist lediglich Sportminister in Grosnyj. Adam Kadyrows Instagram-Profil, eine Abfolge von Selbstporträts in martialischen Posen und mit Gefolge, bestätigt den Eindruck eines „Thronfolgers“.
Erst nach dem 17. Geburtstag empfing ihn Putin
Die Eile dürfte daher rühren, dass der 48 Jahre alte Ramsan Kadyrow als unheilbar krank gilt; ihm werden Probleme mit den Nieren und der Bauchspeicheldrüse nachgesagt, oft tritt er länger nicht auf oder wirkt, wenn doch, von Leiden gezeichnet. Oberste Priorität hat es jetzt, die Macht und die Pfründe, die Putin dem Kadyrow-Clan übertragen hat, der Familie zu erhalten. So wie damals, als Ramsan Kadyrow auf seinen Vater gefolgt war, der 2004 im Stadion von Grosnyj bei einem Bombenattentat getötet wurde.
Indes begann seine Herrschaft formal erst 2007, nachdem er, wie von der Verfassung gefordert, das 30. Lebensjahr vollendet hatte. Darauf soll Putin bestanden haben, und vermutlich legt der Präsident weiter Wert auf solche Feinheiten. Als es im Frühjahr Berichte über ein Zerwürfnis zwischen Kadyrow und Putin gab, lautete eine Erklärung, der Präsident lehne es ab, dass Kadyrow den 17 Jahre alten Adam zum Nachfolger machen wolle. Offiziell ist aber alles harmonisch, Putin hält dem Clan demonstrativ die Treue und empfängt Kadyrows Söhne im Kreml – aber erst, wenn diese 17 Jahre alt sind.
So alt war der Erstgeborene, als er 2023 von Putin empfangen wurde; Anlass war Achmat Kadyrows Hochzeit. So alt war auch der zweite Sohn, Selimchan, der im Juni 2024 in den Kreml kam, als auch er heiratete. Damals berichtete die „Nowaja Gaseta Jewropa“, Ramsan Kadyrow habe versucht, dass gleichzeitig auch der dritte Sohn, der da schon nach islamischem Ritus verheiratet gewesen sei, von Putin empfangen werde. Aber der Kreml habe abgelehnt: Der damals erst 16 Jahre alte Adam sei zu jung. Vor der Volljährigkeit dürfen russische Behörden Eheschließungen von 16 Jahren an erlauben, wenn „achtbare Gründe vorliegen“, tschetschenische von 14 Jahren an.
Auch ohne Kreml-Empfang wurde Adam Kadyrows Putin-Nähe zur Schau gestellt: Als der Präsident im August Tschetschenien besuchte, führte ihm der Jugendliche vor, wie er aus Sturmgewehr und Pistole Ziele trifft, und wurde an Putins Seite fotografiert. Im November wurde Adam 17 Jahre alt. Am 11. Juni soll Putin ihn dann im Kreml empfangen haben; das vermuten Journalisten anhand der Krawatte, die Putin an dem Tag sowie auf Bildern trug, die Ramsan Kadyrow auf Telegram und Adam Kadyrow auf Instagram veröffentlichten. Kadyrow Senior bedankte sich bei Putin am Samstag, dem Tag der offiziellen Eheschließung, für Glückwünsche zur Hochzeit und für die Verbundenheit mit seiner Familie in „schöner männlicher Tradition“. Putin, schrieb Kadyrow, habe an dem Tag gar angerufen, um das Brautpaar nochmals zu beglückwünschen.
Die Kadyrows haben auch viele Feinde
Mit Ausnahme weniger Social-Media-Aufnahmen drangen von der Feier keine Bilder nach außen. Den Dorfbewohnern soll es verboten worden sein, Fotos zu machen. Verstöße sind lebensgefährlich. Bilder der Braut wurden auch nicht gezeigt. Sie soll den Vornamen Medni tragen und ist laut der „Nowaja Gaseta Jewropa“ die Tochter von Sulejman Geremejew, einem engen Verbündeten Kadyrows. Das Mitglied des Parlamentsoberhauses in Moskau ist ein Cousin des dortigen Kadyrow-Statthalters und Unterhausabgeordneten Adam Delimchanow. Der wiederum soll Großvater der Frau des zweiten Kadyrow-Sohnes Selimchan sein, die bei der Heirat, wie Journalisten errechneten, höchstens 14 Jahre alt gewesen sein kann.
Zudem ist Sulejman Geremejew, Adam Kadyrows mutmaßlicher Schwiegervater, ein Onkel des Nationalgardisten Ruslan Geremejew, der im März 2015 wegen des Mordes an dem Oppositionellen Boris Nemzow in Moskau zur Fahndung ausgeschrieben, aber nie auch nur verhört wurde. Derlei Straflosigkeit gehört zu Putins Rundum-sorglos-Paket für die Mächtigen von Grosnyj.
Aber Fitness muss sein. Die Heiratsverflechtung der Clans dürfte, wie die Rückbindung an Putin, dazu gedacht sein, die Sicherheit der Nachkommen zu gewährleisten, nicht nur materiell: Die grotesk privilegierte Schicht um Kadyrow, die ihre Macht mit extremer Gewalt sichert, hat viele Feinde, nicht allein im Nordkaukasus. Kadyrow verbreitet auf Telegram ständig Aufnahmen, die zeigen sollen, wie seine Leute Ukrainer töten. Zwischendurch hob er nun hervor, zur Hochzeit seien die Botschafter Irans, der Vereinigten Arabischen Emirate, der Türkei und Kasachstans angereist sowie etliche russische Funktionäre, deren Anwesenheit Journalisten aber in mindestens drei Fällen bezweifelten.
Der Tschetschenenführer selbst hat jüngst erklärt, ob 50, 60 oder 70 Jahre, er werde so lange leben, „wie mir vorgeschrieben ist, und niemand wird mir auch nur einen Tag wegnehmen“; der Tod sei „der Weg eines jeden Menschen“. Als noch unabhängige Medien und Menschenrechtsschützer in Russland wirken konnten, stellten sie die Clan- und Gewaltherrschaft von Grosnyj als Vorzeichen für das ganze Land dar. Jetzt könnte die Konzentrierung der Macht auf Putin Kadyrow auch in der Moskauer Nachfolgefrage eines Tages als Wegbereiter erscheinen lassen.