Die große Diskrepanz am deutschen Finanzmarkt

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Es gab Zeiten, in denen bewerteten Börsianer einen positiven Arbeitsmarktbericht in den Vereinigten Staaten negativ. Dieses Paradoxon hatte damit zu tun, dass die Aktienmärkte in Zeiten der expansiven Geldpolitik wie ein Drogensüchtiger auf weiteren Stoff warteten, der in noch großzügigeren Anleihenkäufen der Notenbanken bestand. Positive Konjunktursignale wirkten in dieser Logik kontraproduktiv. Doch nach Jahren der unorthodoxen monetären Intervention hat sich das inzwischen normalisiert. Als am Donnerstag der Arbeitsmarkt in den USA bekannt gegeben wurde, marschierten die Händler in Asien, Europa und Amerika wieder in eine Richtung.

Der deutsche Börsenindex Dax steht bei etwas weniger als 24.000 Punkten. Damit ist er nicht weit entfernt von seinem Rekordstand im Juni und überschritt ihn zwischenzeitlich in dieser Woche kurzzeitig. Auch die anderen internationalen Indizes wie die US-amerikanischen Dow Jones und Nasdaq Composite notieren unweit ihrer Höchststände. Trotzdem war auch in dieser Woche wieder einmal von einem ungünstigen Umfeld die Rede. Einer, der das so formulierte, ist Rainer Birkenbach, der Vorstandsvorsitzende des Medizintechnik-Softwareherstellers Brainlab . Dieser sagte am Dienstag seinen länger geplanten Börsengang ab.

Börsengänge müssen warten

Unternehmen, die ein IPO versuchen, spüren die Bedingungen an den Märkten natürlich unmittelbarer als solche, die schon längst börsennotiert sind, oder als Investoren, die nur ihren Ausschnitt des Marktes kennen. Offenbar ließ sich rund um die eigene Börsengeschichte keine Begeisterung entfachen. Unsicherheiten wirkten sich auf Kapitalmärkte aus, schrieb Birkenbach in seiner E-Mail an die Mitarbeiter, in der er die Absage begründete. Das Umfeld sei nicht optimal. Hingegen habe es beträchtliches Interesse an dem Unternehmen gegeben.

Angesichts der ohnehin seltenen Börsengänge in Deutschland war Brainlab ein Hoffnungsträger. Zuvor hatte schon Autodoc sein Vorhaben gestoppt, neue Investoren für die Expansion zu suchen. Wie andere Unternehmen dieses Umfeld wahrnehmen, wird sich zeigen, wenn der Pharmakonzern Stada, der Prothesen-Produzent Ottobock, der Börsendienstleister ISS Stoxx und der Netzbetreiber Tennet an ihren Plänen für einen Börsengang festhalten.

Steuergesetz und auslaufende Zoll-First lassen Anleger abwarten

Zur Unsicherheit trägt seit Monaten die Zollpolitik der Vereinigten Staaten bei. In dieser Woche war der Aktienhandel geprägt von einer Abwartehaltung. Die Frist, die US-Präsident Donald Trump etwa 100 Ländern und auch den Mitgliedern der Europäischen Union gesetzt hat, bis er neue Zollsätze verhängen will, läuft bis zum 9. Juli, dem kommenden Mittwoch. An zwei Tagen gingen die Kurse international tendenziell zurück. Ab Mitte der Woche legten sie etwas zu, um dann am Freitag wieder zurückzufallen. In den USA wurde wegen des Nationalfeiertags nicht gehandelt.

Auch die anderen großen Themenfelder, die Geldpolitik und die amerikanische Steuerpolitik, wirkten eher dämpfend auf die Börsen. Notenbankpräsident Jerome Powell hat Signale gesendet, dass es für Zinssenkungen zunächst keinen Anlass gibt. Trumps großes Steuerpaket, im Senat mit denkbar knapper Mehrheit beschlossen, lässt sich in seiner Wirkung noch nicht klar analysieren.

Über dieses Gesetzesvorhaben war es zum Bruch Trumps mit dem Unternehmer Elon Musk gekommen, der sich gegen Steuervergünstigungen ausgesprochen und auf weitere Subventionen für seine zentralen Handlungsfelder gehofft hatte. Für die Bewertung seines Unternehmens Tesla spielt das Geschäft mit elektronisch betriebenen Autos längst nicht mehr die wichtigste Rolle. Vielmehr haben sich Tesla-Aktien als ein Hoffnungswert für den Fortschritt des autonomen Fahrens verkaufen lassen. Zwar liegt die Tesla-Aktie auf Sechs-Monats-Sicht noch mit einem Drittel im Minus. Der Rückgang war allerdings auch schon deutlich höher, als Musk in seiner Rolle für das „Department of Government Efficiency“ der Regierung noch permanent im öffentlichen Fokus stand.

In dieser Woche veröffentlichte das Unternehmen Quartalszahlen. In diesen steht nun schwarz auf weiß, wie stark das Interesse an Tesla nachgelassen hat. Im Frühjahr verkaufte der Konzern 13,5 Prozent weniger Fahrzeuge als im selben Zeitraum des Vorjahrs. Dass in wenigen Wochen erste Exemplare des neuen Modells Y ausgeliefert werden, nährt noch nicht allzu viel Hoffnung für Investoren. Kompensiert wird das durch das ungebrochene Vertrauen darin, dass Robotaxis, die seit Kurzem im texanischen Austin im Probebetrieb getestet werden, ein disruptives neues Verkehrsmittel werden könnten und Tesla dabei weit vorn in der Entwicklung liegt.

Bei 23.745 Punkten lag in dieser Woche die 21-Tage-Linie für den Dax, aus der sich kurzfristige Trends ablesen lassen. Sie wurde von unten durchstoßen. Mit den positiven Konjunkturzahlen und den Kursen nahe Höchstständen lässt sich nicht so recht ausmachen, dass das Umfeld derzeit generell schwierig sei. Aber für Börsengänge gelten seit einiger Zeit andere Regeln. Eine Handvoll deutscher Unternehmen wird sie in den kommenden Monaten austesten. Womöglich wird noch einiges zu hören sein über die Diskrepanz zwischen boomenden Finanzmärkten und bescheidenen Chancen für Börsenneulinge.