Der Wind weht nicht, die Sonne scheint nicht, der Stromverbrauch in Deutschland ist hoch – und die Preise an der Strombörse schießen in die Höhe. Trotzdem sind energieintensive Unternehmen gezwungen, Strom zu verbrauchen – zumindest wenn sie am Ende von hohen Subventionen profitieren wollen. So geschehen in der vergangenen Woche, als die Dunkelflaute Rekordstrompreise am Spotmarkt verursachte. Das ergebe weder betriebs- noch volkswirtschaftlich Sinn, kritisieren die Denkfabriken Agora Industrie und Agora Energiewende, und machen nun in einem noch unveröffentlichten Gutachten Vorschläge für eine Reform.
Hintergrund ist das sogenannte Bandlastprivileg, welches Unternehmen, die kontinuierlich viel Strom beziehen, mit hohen Rabatten auf die Netzentgelte belohnt. Verbrauchen sie mehr als 7000 Stunden im Jahr Strom (von 8760 Stunden im Jahr insgesamt), bekommen sie bis zu 80 Prozent der eigentlich fälligen Netzentgelte erstattet; bei noch mehr Stunden gibt es noch mehr Rabatt. Davon profitieren aktuell etwa 400 Betriebe, die Agora-Angaben zufolge etwa 50 Prozent des deutschen Industriestrombedarfs beziehen, insgesamt 90 Terawattstunden im Jahr. Die Regel stammt noch aus einer Zeit, in der stetig Strom produzierende Kernkraft- und Kohlekraftwerke für einen Großteil der Erzeugung verantwortlich waren. Kontinuierlicher Strombezug hielt tendenziell die Systemkosten niedrig.
„Absurd“
Die aktuell hohen Rabatte passen nach Einschätzung vieler Fachleute aber nicht mehr in eine Zeit, in der die erneuerbaren Energien für einen großen Teil der Stromerzeugung verantwortlich sind. Strom soll in Zukunft möglichst dann verbraucht werden, wenn er erzeugt wird, so das Credo. Und wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, wie vergangene Woche, dann soll eben weniger Strom verbraucht werden – auch damit die Preise nicht allzu sehr steigen.
Die bestehende Rabattregelung sei „für einzelne Unternehmen attraktiv, setzt aber für das Gesamtsystem Fehlanreize und erhöht so die Systemkosten unnötig“, heißt es in dem Gutachten der Agora-Denkfabriken. Energieökonom Lion Hirth fasste die Problematik in dieser Woche in der F.A.Z. so zusammen: „Wenn ein energieintensives Unternehmen am Donnerstag die Produktion gedrosselt hätte – was erstens betriebswirtschaftlich absolut sinnvoll wäre und zweitens uns allen genützt hätte, weil es damit die Preisspitze dämpfen würde –, würden wir ihm zur Belohnung eine Subvention wegnehmen.“ Das sei „absurd“. Die Bundesnetzagentur möchte die Regel reformieren, bekommt dafür aber viel Gegenwind.
Union gegen zusätzliche Belastung von Großverbrauchern
Eine Unterstützung der Industrie halten die Agora-Berater weiterhin für notwendig, um sie in der grünen Transformation nicht zu überfordern. Sie schlagen vor, die aktuelle Regelung abzuschaffen und die Gewährung von Rabatten auf die Netzentgelte schrittweise an einen flexibleren Strombezug zu koppeln. Dazu sollen die Netzbetreiber zunächst innerhalb eines Monats oder eines Quartals anhand von Prognosen zur lokalen Einspeisung und zu dem lokalen Verbrauch Zeitfenster ausweisen, in denen das Netz stark oder wenig ausgelastet ist. Wollen energieintensive Unternehmen die Rabatte erhalten, müssten sie dann zum Beispiel in Hochlastfenstern ihre Last im Vergleich zu ihrer Durchschnittslast um einen bestimmten Prozentsatz reduzieren. Dies soll dazu dienen, die Spitzenlasten im Netz zu verringern und damit die vorhandenen Kapazitäten besser auszulasten. Erfüllen Unternehmen die Anforderungen in einem bestimmten Monat nicht, soll ihr Anspruch auf Rabatte nur in diesem Monat entfallen.
Im Durchschnitt werde die Gruppe der heutigen Bandlastverbraucher weder zusätzlich be- noch entlastet, versichert Agora. Über die Zeit würden die Rabatte jedoch von weniger flexiblen hin zu flexibleren Unternehmen umverteilt. Bei der Union dürfte dieser Vorschlag nicht auf Gegenliebe stoßen: Sie schreibt in ihrem Wahlprogramm, sie lehne eine „zusätzliche Netzentgeltbelastung für industrielle Großverbraucher, die nicht flexibel produzieren können“, ab. Die FDP hingegen möchte dynamische Netzentgelte einführen, die Netzengpässe im Preis abbilden. Union, Grüne und SPD versprechen zusätzlich eine Senkung.
Grundsätzlich wird kontrovers diskutiert, wie praktikabel solche Flexibilität für die energieintensive Industrie grundsätzlich ist. „Viele Betriebe können heute nur wenig Last verschieben, weil wir sie jahrzehntelang dazu erzogen haben, es bloß nicht zu probieren“, sagt Energieökonom Hirth. In dem Gutachten heißt es, für eine Abrufdauer von bis zu vier Stunden könnten deutschlandweit rund neun Gigawatt Last reduziert oder erhöht werden. Das entspricht knapp einem Fünftel der durchschnittlichen Stromlast hierzulande. Dem Branchenverband BDEW zufolge zahlen industrielle Großabnehmer aktuell knapp 14 Cent je Kilowattstunde für Strom – bei privaten Haushalten sind es knapp 41 Cent.