Die Abgeordneten des Landtags Mecklenburg-Vorpommern sind zu vielem bereit, um nur endlich Gerhard Schröder zu vernehmen. Der gesamte Untersuchungsausschuss könnte aus Schwerin zum früheren Bundeskanzler nach Hannover fahren, um ihn dort zu befragen. Man könnte die Befragung auch stündlich unterbrechen, damit Schröder sich zwischendurch erholen und beispielsweise spazieren gehen kann. Oder die Abgeordneten könnten die Befragung online durchführen, zur allergrößten Not sogar schriftlich. Hauptsache, der frühere Bundeskanzler sagt endlich vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Klimastiftung aus.
Die Klimastiftung wurde 2021 vom Land Mecklenburg-Vorpommern gegründet. Vordergründig diente sie dem Schutz der Umwelt, tatsächlich aber vor allem dazu, mit vielen Millionen Euro aus Moskau die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 fertigzustellen. Der Ausschuss hat viele Ungereimtheiten rund um das umstrittene Projekt aufgedeckt. Aber die Kernfragen, warum sich die Landesregierung damals so vehement für das Projekt einsetzte und inwiefern sie dabei von Moskau gesteuert wurde, sind immer noch unbeantwortet.
Schröder könnte hier eventuell Antworten liefern. Er war damals öfters in Schwerin. Als Bundeskanzler hatte er das Pipeline-Projekt gefördert; kurz nach seiner Abwahl wechselte er zur Nord Stream AG, seit 2016 ist er Vorsitzender des Verwaltungsrats der Nord Stream 2 AG.
Ende Januar war Schröder als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss geladen. Aus gesundheitlichen Gründen sagte kurzfristig ab, später noch einmal. Kürzlich hat der Ausschuss ihn für den 17. Oktober abermals vorgeladen. Selbst die SPD-Abgeordneten stimmten dafür. Nun muss Schröder ein amtsärztliches Gutachten vorlegen. Daraus soll hervorgehen, ob und wenn ja in welcher Form er vernehmbar ist.
Es kursieren viele Erzählungen über Schröder
In Hannover bildet der frühere Bundeskanzler seit jeher ein beliebtes Gesprächsthema. In welchen Cafés und Restaurants Schröder gerne verkehrt oder wo er Sport treibt und wie fit er dabei wirkt, verbreitet sich rasch in der Stadtgesellschaft, in der sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sicherlich einige, aber längst nicht alle Freunde von ihm abgewandt haben.
Der 81 Jahre alte Schröder tritt in Hannover auch weiterhin von Zeit zu Zeit öffentlich in Erscheinung, zuletzt vor sechs Wochen im Niedersächsischen Landtag, wo er der Wahl von Olaf Lies zum Ministerpräsidenten beiwohnte. Der frühere SPD-Bundesvorsitzende machte dabei in Begleitung seiner Ehefrau Soyeon Schröder-Kim auf Beobachter einen fröhlichen und durchaus frischen Eindruck, was natürlich umgehend die Frage aufwarf, warum er nicht vor dem Untersuchungsausschuss aussagt.
An diesen hatte Schröder im April einen Brief gerichtet, in dem er sein Nichterscheinen mit „gesundheitlichen Gründen“ erklärte. Auch er, der nicht dafür bekannt sei, unangenehmen Aufgaben auszuweichen, müsse angesichts seines Alters der „gesundheitlichen Realität Tribut zollen“, schrieb Schröder. Bei ihm sei eine „Burnout-Symptomatik“ diagnostiziert worden, von der er sich „nur mit großer Geduld und keineswegs sicher in diesem Jahr“ erholen werde. Bis dahin müsse er Stresssituationen meiden, die länger als eine Stunde dauern. Wegen dieser Burnout-Diagnose weilte Schröder auch zeitweilig in der Klinik.
Parallel dazu kursieren in Hannover stark voneinander abweichende Erzählungen. Dabei ist allerdings stets mitzuberücksichtigen, dass diese Erzählungen interessengeleitet sein könnten und sich die Interessen selbst in seinem näheren Umfeld stark voneinander unterscheiden dürften: Der eine möchte den befreundeten Altkanzler möglichst agil erscheinen lassen, der Nächste ihm über Bande vielleicht eine Warnung zukommen lassen. Die große Bandbreite könnte aber auch darin ihre Ursache haben, dass nicht nur die Angaben über Schröders Gesundheitszustand schwanken, sondern auch der Zustand selbst.
In dem Brief an die Abgeordneten verteidigt Schröder das Pipeline-Projekt. „Natürlich“ habe er auch mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) darüber gesprochen. Der Landtagsabgeordnete Hannes Damm, Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, sieht hier einen Widerspruch zu den Angaben der Landesregierung. Denen zufolge gab es zwischen Schwesig und Schröder nur ein Abendessen, 2020 nach einem Konzert in Peenemünde. Mit dabei war damals auch Matthias Warnig, einst Stasi-Spion, später Putin-Vertrauter und Geschäftsführer der Nord Stream AG.
Steuerunterlagen wurden verbrannt
Schröder schrieb in dem Brief weiter, er wisse nicht mehr, mit wem er alles gesprochen habe, um das Pipeline-Projekt zu fördern. Dass er es überdies immer noch positiv sehe. Gesprochen habe er über den Bau „natürlich!“ auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Wegen der Stiftung eher nein“. Sebastian Ehlers (CDU), der dem Untersuchungsausschuss vorsitzt, sagt dazu, der Brief reiche nicht aus, Schröder bleibe darin oft vage. „Eine unaufgefordert eingesandte Stellungnahme ersetzt keine Vernehmung.“ Ehlers hatte einst so wie alle Abgeordneten im Parlament der Gründung der Stiftung zugestimmt. Aus seiner Sicht wurden der Landtag und die Öffentlichkeit damals „hinter die Fichte geführt“: Man habe angenommen, die Stiftung diene als Warenlager zur Fertigstellung der Pipeline. Dass dann aber die Größenordnung eine sehr andere wurde, die Stiftung beim Bau der Pipeline viele Millionen Euro umsetzte und unter anderem ein Schiff kaufte, sei mit keiner Silbe erwähnt worden.
Der Ausschuss hat bisher einige bemerkenswerte Vorgänge ans Licht gebracht, darunter die massenhafte Löschung von E-Mails des damaligen Energie- und heutigen Innenministers Christian Pegel (SPD), dessen Rolle bei der Stiftungsgründung noch immer unklar ist. Weiterhin Steuerunterlagen der Stiftung, die im Kamin verbrannt wurden. Zudem große Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Genehmigungsverfahrens zur Freigabe der Pipeline. Und nicht zuletzt Hinweise darauf, dass nicht Schwesigs Landesregierung, wie von ihr behauptet, sondern Moskau der Initiator für die Gründung der Stiftung war.
Doch all das führte in der rot-roten Landesregierung bisher zu keinerlei personellen Konsequenzen. Was aus Sicht des Abgeordneten Damm auch daran liegt, dass sich in Mecklenburg-Vorpommern die mediale Öffentlichkeit (so es sie aufgrund der Zeitungskonzentration überhaupt noch gibt) und die Bevölkerung wenig an den Vorgängen stören. „Ein Untersuchungsausschuss ist als Schwert nur so lange scharf, wie es Aufmerksamkeit dafür gibt“, sagt Damm.
Viel Zeit für die Aufklärung bleibt nun nicht mehr, im Herbst 2026 wird der Landtag neu gewählt. Schwesig wird Anfang Dezember als vermutlich letzte Zeugin vernommen werden, davor sind Pegel, aber auch der einstige Ministerpräsident und spätere Stiftungschef Erwin Sellering und der frühere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (alle SPD) dran. Und natürlich eventuell Schröder.