Sexuelle Belästigung ist “ein Teil der Wahrheit”

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Von außen sieht alles perfekt aus: gute Stimmung im Team, sportlicher Erfolg, Tausende Follower auf Social Media. Doch es gibt auch unschöne Seiten im Leben der DFB-Frauen.

Es sind nicht nur Fouls oder umstrittene Schiedsrichterentscheidungen, die Profispielerinnen bisweilen aus dem Tritt bringen. Es ist auch der Kampf um mehr Sichtbarkeit im Frauenfußball – ohne dabei ins Zentrum von sexueller Belästigung zu geraten.

Die frühere Nationalspielerin und heutige TV-Expertin Julia Šimić erinnert sich in diesem Zusammenhang an eine Situation aus ihrer aktiven Karriere zurück: “Ich hatte teilweise Erfahrungen mit einem Stalker”, offenbart sie im Gespräch mit t-online. Es war, wie sie sagt, “nie so schlimm, dass ich zur Polizei musste. Aber einmal war es kurz davor, weil der auch in Mailand aufgetaucht ist.” Von 2020 bis 2021 spielte Šimić in der italienischen Metropole bei der AC Mailand.

Auch Männer seien im Fußball von Grenzüberschreitungen betroffen, als Frau sei es aber noch einmal anders “und nicht zu vergleichen, weil man rein physisch das schwächere Geschlecht ist”, so die 36-Jährige weiter.

Übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen im Fußball ist kein Einzelfall. Zwei Beispiele: Der sambische Nationaltrainer Bruce Mwape fasste Medienberichten zufolge während der Frauen-WM 2023 einer Spielerin an die Brüste. Und der frühere spanische Fußballverbandspräsident Luis Rubiales küsste die Spielerin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung nach dem WM-Titel vor zwei Jahren ungefragt auf den Mund.

Erfahrungen wie diese sind keine Ausnahme. Sexuelle Belästigung ist für viele Spielerinnen der Alltag. Es ist ein strukturelles und gesellschaftliches Problem, das sich durch die sozialen Netzwerke verschärft hat – und zum Thema in der deutschen Nationalmannschaft der Frauen geworden ist. DFB-Kapitänin Giulia Gwinn und Teamkollegin Lena Oberdorf haben ihre Erfahrungen mit Grenzüberschreitungen gemacht und öffentlich geteilt.

Gwinn, die sich im EM-Auftaktspiel gegen Polen (2:0) eine schwere Knieverletzung zugezogen hat, erklärte in ihrem jüngst erschienenen Buch “Write your own story”: “Ich bekomme immer wieder Nacktbilder von Männern zugesendet. Sogenannte ‘Dickpics’, auf denen ihr Geschlechtsteil zu sehen ist.” Die Bilder kämen von anonymen Accounts und würden alle paar Tage auf Instagram bei ihr eintrudeln. Gwinns Reaktion: Sie löscht, meldet und blockiert. “Es ist einfach eine geschmacklose Belästigung”, schreibt sie.

Oberdorf erregte Anfang des Jahres mit einer Anekdote zum Thema sexuelle Belästigung Aufsehen. Die Spielerin des FC Bayern, die nach ihrem Kreuzbandriss für die EM noch nicht fit genug war, diskutierte in ihrem Podcast “Popcorn & Panenka” mit Co-Moderatorin Rena Schwabl, warum Frauen nach Fouls schneller aufstehen als Männer – und offenbarte eine Theorie.

“Weil dann ganz viele Leute ranzoomen, wenn man liegt”, so Oberdorf. Sie schilderte eine konkrete Szene, die sie besonders verstört hat: “Ich hatte mal ein Video, da saß in Wolfsburg ein Typ auf der Tribüne, der mit seinem Handy rangezoomt hat, als sich die Girls gedehnt haben.” Oberdorf fühle sich auf dem Spielfeld mehreren Blicken ausgesetzt, darunter auch von Spannern, und erklärte: “Ich denke mir manchmal, wenn ich auf dem Boden liege: Das ist eine unvorteilhafte Position.”

Die 23-Jährige beschreibt damit eine für sie offenbar überaus reale und belastende Erfahrung. Denn sexuelle Belästigung ist definitionsgemäß jede Form unerwünschter Annäherung – verbal, nonverbal oder physisch. Die Vorfälle im Fußball beschränken sich dabei nicht nur auf das Spielfeld.