„Es droht der Verlust technologischer Souveränität“

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Die Kernfusion stößt als Zukunftstechnologie in Deutschland derzeit auf viel Aufmerksamkeit. Es gibt hierzulande viele Unternehmen, die an der als sicher geltenden Variante der Kernenergie tüfteln: Marvel Fusion aus München, Focused Energy aus Darmstadt oder Gauss Fusion aus Hanau. Vorne dabei ist auch das vor zwei Jahren gegründete Start-up Proxima Fusion, mit dem ehrgeizigen Ziel, bis 2031 den ersten Demoreaktor als Schritt zum ersten kommerziellen Fusionskraftwerk zu bauen. Doch die beiden Gründer Francesco Sciortino und Lucio Milanese schlagen im Gespräch mit der F.A.Z. Alarm, weil sie Nachteile gegenüber der Konkurrenz aus den USA oder China fürchten.

Zum einen dauere der behördliche Genehmigungsprozess für die Planung und den Bau von Produktionsanlagen viel zu lange und sei zu umständlich, kritisiert Vorstandschef Sciortino. „So gut gemeint der Grundgedanke in den entsprechenden Gesetzen auch war, möglichst jedes Detail umfassend im Vorhinein zu prüfen, um so im Wortsinn wirklich jede denkbare Perspektive auf Fortschrittsprojekte zu berücksichtigen, so standortunfreundlich ist dies zwischenzeitlich für Deutschland geworden“, fügt er hinzu.

„Genehmigungs-Turbo für Deep-Tech“

Das beeinträchtigt seiner Ansicht nach den Fortschritt und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. „Ein Umdenken ist erforderlich“, fordert Sciortino. Er und Vorstandskollege Milanese fordern einen „Genehmigungs-Turbo für Deep-Tech“. Ob Fusionsforschung, Quantenchips oder KI-Infrastruktur, wer zu lange plane, werde vom globalen Wettbewerb überholt, warnt der Proxima-Chef. Die USA und China setzten längst das Tempo. „Deutschland muss beschleunigen, wenn es im Rennen um technologische Souveränität vorne bleiben will“, lautet die Botschaft von Sciortino.

Für Milanese, der im Vorstand als Chief Operating Officer auch die Kontakte zur öffentlichen Hand verantwortet, dauert der Prozess für die Genehmigungen, die für die Errichtung einer Kernfusionsanlage nötig sind, in Deutschland viel zu lange: „Was in den USA oder in China in sieben bis acht Monaten möglich ist, braucht in Deutschland mindestens zwei Jahre.“ Hier werde im Wettbewerb um Zukunftstechnologien wertvolle Zeit verloren.

„Ohne tiefgreifende Reformen droht der Verlust technologischer Souveränität, auch durch Standortverlagerungen ins Ausland“, warnt Milanese. Den Zeitunterschied von 15 Monaten zwischen Antrag und Genehmigung hält er für entscheidend: „Wer als erstes bauen kann, gewinnt.“ Das gelte insbesondere für die nötigen Gelder von Finanzinvestoren, die es neben der guten staatlichen Förderung brauche.

Konkurrenten mit mehr Mitteln

Sciortino verweist auf die Konkurrenz in den USA und in China, die mit deutlich mehr Mitteln ausgestattet sind: Das US-Unternehmen Commonwealth Fusion Systems habe schon mehr als zwei Milliarden Dollar an Finanzierung eingesammelt. In China komme die staatlich kontrollierte Energy Singularity auf mehr als eine Milliarde Dollar. Zum Vergleich: Proxima Fusion hat kürzlich in der größten privaten Finanzierungsrunde Europas im Bereich der Fusionsenergie 130 Millionen Euro eingesammelt.

„Wir müssen vorwärtskommen und brauchen schnellere Genehmigungsverfahren, um unseren technologischen Vorsprung ausspielen zu können“, betont Sciortino. Andernfalls werde dieser Vorteil verspielt, denn ausländische Investoren überlegten es sich gut, wo sie ihr Geld anlegten. „Der Fall darf nicht eintreten, dass ein Unternehmen deshalb Europa verlassen muss und seinen Sitz in die USA verlagert.“

Das hat Proxima Fusion nach Aussage von Sciortino nicht vor. Das Start-up will in Europa bleiben. Trotzdem müssen für den Vorstandschef die Rahmenbedingungen angepasst werden.

„Es kann nicht sein, dass ein Projekt für den Umwelt- und Klimaschutz an bürokratisch bedingten Auflagen einer Kommune scheitert. Wir müssen schneller werden, um an der Wertschöpfung aus den Zukunftstechnologien teilhaben zu können“, sagt er. Der Mangel an Digitalisierung in den öffentlichen Genehmigungsverfahren sei unglaublich zäh und herausfordernd.

„Zielgerichteter Bürokratieabbau“

Das aus dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik hervorgegangene Start-up beschäftigt sich derzeit mit der Standortsuche für den Bau des Demoreaktors. „Und da erleben wir mitunter ganz Erstaunliches“, berichtet Milanese. Oftmals hätten die betroffenen Kommunen unterschiedliche Vorgaben zum Umweltschutz, die gleichzeitig beachtet und erfüllt werden müssten. Das zeigt für ihn: „Die Verfahren müssen entschlackt und beschleunigt werden.“

Ziel sei keine Abschwächung von Umwelt- oder Gesundheitsschutz, sondern ein zielgerichteter Bürokratieabbau. „Rechtsstaatlichkeit und Beschleunigung schließen sich nicht aus“, sagt Milanese. Er und Sciortino verweisen auf den „Wohnungsbau-Turbo“, der ähnlich wie das Beschleunigungsgesetz für die Bundeswehr politische Handlungsfähigkeit beweise.

Als sinnvolles drittes Element einer modernen Infrastrukturpolitik wünschen sie sich den „Bauturbo für Zukunftstechnologien“. Die Politik müsse Klimaresilienz, wirtschaftliche Innovationsfähigkeit und Standortsicherung für Deep-Tech in Deutschland zum Ziel haben.

„Wir haben Proxima Fusion in Deutschland nicht wegen des guten Wetters gegründet, sondern wegen des Technologievorsprungs“, sagt Sciortino. „Deutschland ist in der Forschung und Entwicklung der Kernfusion am weitesten vorn, deshalb muss unser Unternehmen hier vor Ort sein.“ Um den technologischen Vorsprung in der Fusionsforschung in eine industrielle Führungsrolle von morgen zu übersetzen, braucht es nach Ansicht der beiden Proxima-Gründer jetzt klare politische Rahmenbedingungen und deutlich beschleunigte, zügige Genehmigungsverfahren.