„Du, sehr geehrter Herr Ministerpräsident“, so hat der österreichische Bundeskanzler Christian Stocker seinen Gast Markus Söder während des öffentlichen Auftritts der beiden am Donnerstag in Wien konsequent angeredet. Nicht: „Du, lieber Markus“. Solche feinen Unterschiede werden bei Leuten, die ihre Worte wägen wie Stocker, in der Regel nicht zufällig gemacht.
Hier könnte das bedeutet haben: Als Parteifreunde in der Europäischen Volkspartei sagen wir zueinander Du. Aber ich bin immer noch Bundeskanzler eines Staates, und Du bist Ministerpräsident eines Bundeslandes, mag es sich auch „Freistaat Bayern“ nennen.
In der Sache zeigten sich die beiden Christdemokraten aber überwiegend einig. Die wichtigsten Punkte, über die Bayern mit Österreich verhandeln muss, sind die Migration und der Verkehr. Beim ersten Thema war man sich demonstrativ einig. Söder machte vor dem Gastgeber eine rhetorische Verbeugung: Österreich sei Deutschland da weit voraus gewesen. Stocker verwies darauf, der österreichische Zugang laute, man müsse mit den Herkunftsländern reden. So könnten Fluchtursachen bekämpft, Außengrenzen bewacht, aber auch Rückkehrlösungen gefunden werden. Österreich hat auf Arbeitsebene beispielsweise schon diskrete Kontakte zum Taliban-Regime in Afghanistan geknüpft – Söder verlangte ausdrücklich, dass auch Deutschland mit den Taliban redet.
Stocker zeigt Verständnis für Zurückweisungen an der Grenze
Stocker erwähnte auch die Europäische Menschenrechtskonvention als Thema. Jede Rechtsvorschrift sei in ihrer Auslegung dem Wandel der Zeiten unterlegen. Aber: „Es geht nicht mit Scheinlösungen wie: Ich nehme keinen Asylantrag an.“ Dieser Seitenhieb galt wohl vorderhand seinem innenpolitischen Rivalen Herbert Kickl, dem Chef der rechten FPÖ. Dass Deutschland Asylbewerber an seinen Grenzen, auch der zu Österreich, zurückweist, schloss Stocker nicht ausdrücklich in sein Verdikt gegen Scheinlösungen ein. Er zeigte Verständnis und bemerkte, anhand der tatsächlichen Zahlen, um die es gehe, werde diese Frage viel zu heiß in der Öffentlichkeit diskutiert.
Heikler ist das Thema Verkehr. Hier geht es vor allem um den Transit über den Brenner im österreichischen Bundesland Tirol. Der hat so sehr überhandgenommen, dass Tirol Gegenmaßnahmen ergriffen hat wie eine Blockabfertigung, was gewaltige Stauungen zur Folge hat. Zudem hat Tirol Ausweichverkehr über die Ortschaften unterbunden und teilweise ein Nachtfahrverbot verhängt.
All das ist für die Transportwirtschaft und den Reiseverkehr vor allem, aber keineswegs nur aus dem benachbarten Bayern von Bedeutung. Auch Italien ist erbost und hat Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Die Österreicher verweisen auf Versäumnisse auf deutscher Seite, vor allem was den Ausbau von Zulaufstrecken für den im Bau befindlichen Brenner-Basistunnel betrifft.
Söder gestand Versäumnisse ein, deren Ursachen natürlich in Berlin zu suchen seien, und zwar bei angeblich desinteressierten früheren Bundesregierungen. Er werde jetzt Druck machen auf Priorisierung und Bereitstellung von Mitteln. Die Blockabfertigung kritisierte er allerdings und zeigte Verständnis für die italienische Klage. Söders Schlagwort lautet „Slotverfahren“. Praktische Abhilfe auf kurze Sicht könne nur eine digital unterstützte Regelung zur Zuteilung von Durchfahrtsrechten schaffen.
Bislang seien – siehe oben – Berlin, aber auch Rom gegen diesen Vorschlag gewesen, „wahrscheinlich weil er von uns kam“. Jetzt solle gemeinsam mit Wien ein neuer Anlauf unternommen werden. Stocker bestätigte seine grundsätzliche Unterstützung für eine solche Lösung und verwies auf seinen für nächste Woche geplanten Besuch in Rom bei der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.