Shitstorm für CDU Hessen: Kritik an geplantem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz

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CDU und SPD planen eine Reform des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes. Das soll laut CDU die Versorgung und Unterstützung psychisch erkrankter Menschen in Hessen verbessern und das Land sicherer machen. Doch die Reformplänen stoßen nicht nur bei Experten auf massive Ablehnung.

Der Gesetzentwurf von CDU und SPD sieht vor, dass Personen, die aus einer Psychiatrie entlassen werden, den Ordnungsbehörden gemeldet werden sollen – vorausgesetzt, sie befanden sich in Behandlung, weil sie eine Gefahr für andere waren und auch nach der Entlassung „aus medizinischer Sicht die Sorge besteht“, dass „ohne weitere ärztliche Behandlung eine Fremdgefährdung ausgehen könnte“. Außerdem sollen auch von „Suchtstoffen“ Abhängige als psychisch krank gelten. Die Änderung des Gesetzes ist laut Entwurf von CDU und SPD eine Reaktion auf „Vorkommnisse wie in Aschaffenburg, Hamburg oder Hanau“. Die Parteien wollen damit auf „effektive Gefahrenabwehr“ hinwirken.

In Aschaffenburg hatte Anfang des Jahres ein 28 Jahre alter Mann, der sich in psychiatrischer Behandlung befand, einen Jungen und einen Mann bei einem Messerangriff getötet, drei andere wurden verletzt. Im Mai hatte am Hamburger Hauptbahnhof eine Frau fast 20 Menschen mit einem Messer verletzt. Bei der Frau gab es laut Ermittlerin Hinwiese auf eine psychische Erkrankung. Und auch bei dem rassistischen Anschlag in Hanau im Februar 2020 litt der Täter einem Gutachten zufolge an einer psychischen Erkrankung.

Mehr als 3000 negative Kommentare zu CDU-Video

Die CDU hatte ihre Pläne zur Reform am 26. Juni in einem Video auf Instagram vorgestellt. Darin sagt der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Ralf-Norbert Bartelt: „Es gibt Menschen, die sind schwer psychiatrisch erkrankt, sie sind eine Gefahr für sich selbst und die Gemeinschaft. Da müssen wir vom Staat etwas tun.“ Weiter erklärt er: „Deshalb bringen wir einen Gesetzentwurf ein, der vorsieht, dass diese Personen den Ordnungsbehörden gemeldet werden müssen. Zusammengefasst: Es geht um den Schutz der betroffenen Menschen und der Gemeinschaft.“

Die CDU titelt das Video mit „Psychische Gesundheit: Hilfe ausbauen, Sicherheit stärken“. Knapp dreißig Sekunden dauert das Video, mehr als 3000 negative Kommentare hat die CDU bekommen. Nicht nur Nutzer von Instagram äußerten sich kritisch, auch Experten und Psychiater zeigten sich alarmiert.

DSGVO Platzhalter

Viele, die unter dem Video kommentierten, kritisierten die Partei für ihre Aussagen, bezeichneten sie als „menschenverachtend“ oder hinterfragten den Sinn der geplanten Meldepflicht. Manche Nutzer zogen Vergleiche zur Zeit der Nationalsozialisten, in der psychiatrische Kliniken Patienten melden mussten und Menschen mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen nicht nur zwangssterilisiert, sondern auch ermordet wurden.

Nur „äußerst geringe Fallzahl“ betroffen

Die SPD-Fraktion trägt den Gesetzentwurf zur Änderung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes mit, findet es aber „außerordentlich misslich, wenn die Darstellung des Gesetzesvorhabens der besonderen Sensibilität des Themas nicht gerecht geworden ist“. Zumal es im Wesentlichen um eine Präzisierung der bereits bestehenden Gesetzeslage gehe. Betroffen sei nur „eine äußerst geringe Fallzahl“.

Auf das Video selbst hat die SPD nicht reagiert, aber einen Faktencheck zur geplanten Reform auf Instagram gepostet. Mittlerweile hat die CDU ein weiteres Video veröffentlicht, in dem sie die geplanten Änderungen präzisiert. Die CDU stellt auf Anfrage klar, dass sie kein allgemeines Melderegister für psychisch Erkrankte anstrebe, sondern eine „eng begrenzte Ausnahmeregelung für sehr spezielle Einzelfälle“.

Derweil hat sich die Unabhängige Beschwerdestelle Psychiatrie Marburg in einem Schreiben geäußert, das sie bereits vor Bekanntwerden der Pläne von CDU und SPD verfasst hat, „weil uns die ständige Erwähnung psychischer Krankheit bei Gewalttaten alarmiert hat“. Es passe aber ebenso zu den Plänen der Reform, sagt Psychiater Reinhard Naumann, der das Schreiben unterzeichnet hat.

Man wolle dem Eindruck entgegentreten, dass von Menschen mit psychischen Erkrankungen eine besondere Gefahr ausgehe, heißt es im Brief. Das Gegenteil sei der Fall: „Psychisch kranke Menschen leben mit einem deutlich erhöhten Risiko, selbst Opfer von Gewalt zu werden.“

Keine Belege für eine erhöhte Gewaltbereitschaft psychisch Kranker

Es existierten keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege für eine signifikant erhöhte Gewaltbereitschaft psychisch erkrankter Männer oder Frauen, heißt es in dem von dem Psychiater Reinhard Naumann unterzeichneten Brief. Die Gewaltbereitschaft hänge von unterschiedlichen Faktoren ab. Das sieht auch der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) so und warnt vor einer Stigmatisierung der „vulnerablen Gruppe von Menschen mit psychischen Erkrankungen“.

Eine Stigmatisierung psychisch Erkrankter und die Aufweichung des Datenschutzes leisteten keinen Beitrag bei der Eindämmung von Gewalttaten in Deutschland. Für eine effektive langfristige Gewalttatprävention verweist die stellvertretende BDP-Präsidentin Susanne Berwanger auf Faktoren wie gesellschaftliche Teilhabe, Förderung sozialer Gleichheit und intakte Versorgungsstrukturen.

Keine Entlassung aus Psychiatrie bei Fremdgefährdung

Psychiater Martin Finger hält den Gesetzentwurf „auf Menschenrechtsbasis für sehr problematisch“. Finger ist Arzt in Frankfurt und Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte des Landesverbands Hessen. Wenn eine akute Fremdgefährdung bestehe, könne eine Person nicht aus der Psychiatrie entlassen werden, erklärt Finger. Dann müsse der behandelnde Arzt beim zuständigen Gericht einen Antrag auf Unterbringung stellen. Entweder werde die Person dann weiter untergebracht oder eben nicht. „Sich dann noch einmal bei den Behörden zu melden, tut doch nicht Not“, sagt Finger. „Den Staat hat man dann ja schließlich schon hinzugezogen.“

DSGVO Platzhalter

Finger hält das Gesetz für populistisch. Es könne nicht Aufgabe der Ärzte sein, kranke Menschen bei der Polizei zu melden. „Da geht das Vertrauensverhältnis zum Patienten verloren.“ Psychisch Erkrankte seien ohnehin mit einer Umwelt konfrontiert, die ihnen in der Regel „nicht wohlgesonnen“ sei. „Wir Psychiater sind die einzigen, die noch Fürsorge walten lassen. Sonst erfahren diese Menschen nur Ablehnung“, sagt Finger. „Wenn wir uns jetzt auch noch zum Büttel für den Staat machen, dann ist das mehr als kritisch anzusehen.“ Das sieht auch Naumann so. Er fürchtet, dass Betroffene dann nicht mehr zum Arzt gingen, wenn sie Sorge haben müssten, bei Behörden gemeldet zu werden. Und die Hürde, sich Hilfe zu suchen, sei noch einmal größer.

„Richter sollten mehr auf Ärzte hören“

Die Ärzte und der BDP sind sich einig, dass die derzeitige Gesetzeslage, die es erlaubt, Gefährder auch zwangsweise in einer psychiatrischen Einrichtung unterzubringen, ausreichend ist. „Die Regelung muss nur konsequent eingehalten werden“, sagt Finger. Richter hätten bei ihren Entscheidungen Interpretationsspielraum, ob sie jemanden in eine Psychiatrie unterbringen oder nicht. „Da sollten sie mehr auf die Ärzte hören“, findet Finger.

Im Hessischen Landtag ist über den Gesetzentwurf diskutiert worden, die Debatte der Fraktionen verlief dabei sachlich. Marcus Bocklet, sozialpolitischer Sprecher der Grünen, sagte, er frage sich, wie jemand, der als gefährlich gelte, überhaupt entlassen werden könne. Aber schon aus Gründen des Datenschutzes bewerte er das von der schwarz-roten Koalition geplante Vorgehen kritisch.

DSGVO Platzhalter

Wie die Grünen will die AfD die vorgesehene Anhörung der Experten abwarten. Der Abgeordnete Volker Richter hebt hervor, dass es auf keinen Fall eine Liste geben dürfe, auf der Menschen, die in psychiatrischer Behandlung seien, erfasst würden. Auch dürften die ärztliche Schweigepflicht und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

Auch die FDP hat Bedenken. So fragt der gesundheitspolitische Sprecher Yanki Pürsün, wer entscheide, wann die Sorge der Ärzte begründet sei und was mit den weitergegebenen Informationen geschehe. „Auch wenn die Abwehr möglicher Gefahren wichtig ist, dürfen der Schutz vor unverhältnismäßigen Eingriffen durch den Staat und das Recht auf informelle Selbstbestimmung nicht in den Hintergrund rücken“, sagt Pürsün.