Droht der Reform der Schuldenregel in einigen Monaten ein ähnliches Schicksal wie der Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht? Letztere musste am Freitag trotz vorheriger Absprache von der Tagesordnung des Bundestags genommen werden, weil die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf in der Unionsfraktion auf zu großen Widerstand gestoßen war. Zwar billigte der wenig entfernt tagende Bundesrat etwa zur selben Zeit, als der Bundestag seine Beratung für Krisensitzungen der Fraktionen unterbrechen musste, das erste Steuergesetz der Koalition, das immerhin Entlastungen von rund 46 Milliarden Euro über die nächsten Jahre vorsieht („Investitionsbooster“ oder „Wachstumsbooster“). Aber das konnte das schwarz-rote Krisenbild nicht mehr drehen.
In diesem Umfeld dringt Lars Klingbeil in seiner Doppelrolle als Finanzminister und SPD-Vorsitzender auf eine neuerliche Korrektur der Schuldenbremse. In einer internen Runde mit den wichtigsten Finanz- und Haushaltspolitikern der Koalitionsfraktionen skizzierte er diese Woche, wie er sich das Prozedere vorstellt. In der Union wächst die Sorge, dass es auf weitere Verschuldungsmöglichkeiten hinausläuft – obwohl Union und SPD mit Unterstützung von Grünen und Linksfraktion schon kurz nach der Wahl das Grundgesetz geändert haben, um sicherheitspolitische Ausgaben jenseits der Schuldenregel und Sonderschulden von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur und die Klimaneutralität zu ermöglichen.
Finanzministerium plant mit 850 Milliarden Euro zusätzlicher Neuverschuldung
Was die Neuregelung praktisch heißt, wurde mit den Eckwerten für den bis zum Jahr 2029 reichenden Finanzplan deutlich: Das Finanzministerium plant mit 850 Milliarden Euro zusätzlicher Neuverschuldung. Dies würde die über 75 Jahre aufgebaute Schuldenlast Deutschlands in weniger als fünf Jahren um 50 Prozent erhöhen – mit allen Konsequenzen. Die Zinsausgaben des Bundes werden sich bis Ende des Jahrzehnts auf 60 Milliarden Euro verdoppeln.
Klingbeils Leute haben vor wenigen Tagen ihre Stoßrichtung für die Reform in einem Eckpunktepapier notiert. Eine Kommission soll sie vorbereiten. Sie soll sich darauf fokussieren, zusätzliche Investitionen im Bundeshaushalt zu ermöglichen – nicht zuletzt über die zwölf Jahre reichende Laufzeit des aktuellen „Sondervermögens“ (ein spezieller Finanzierungstopf außerhalb des regulären Haushalts) hinaus.
„Eine solche Regelung muss auf die Verstetigung eines höheren Investitionsniveaus relativ zur Wirtschaftsleistung abzielen, um eine Vernachlässigung der Infrastruktur in Zukunft wirksam auszuschließen“, heißt es in dem Papier, das der F.A.Z. vorliegt. Weiter wird postuliert: Die Verstetigung massiver Investitionen sei der Schlüssel, mit dem eine dauerhafte Erhöhung des Wachstumspotentials der deutschen Volkswirtschaft gelingen könne.
Große Skepsis bei der Union
In der Union stößt dieses Ansinnen auf massive Vorbehalte. Dort sieht man die rasant steigende Verschuldung mit wachsender Skepsis, beobachtet mit Sorge, dass nicht jede Investition aus dem neuen Finanztopf zusätzlich sein dürfte, registriert resigniert, dass nicht alles, was so finanziert werden soll, tatsächlich wachstumsfördernd sein dürfte. So haben Länder und Kommunen erreicht, dass die ihnen zugedachten 100 Milliarden Euro für längst geplante Projekte genutzt und sogar Freizeiteinrichtungen damit finanziert werden können: Anders als Klingbeil glauben machen wollte, wäre damit kein höheres Wachstumspotential der Volkswirtschaft verbunden.
Der SPD-Politiker kann auf den Koalitionsvertrag verweisen. So heißt es eingangs im Eckpunktepapier: „Wir werden eine Expertenkommission unter Beteiligung des Deutschen Bundestages und der Länder einsetzen, die einen Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenbremse entwickelt, die dauerhaft zusätzliche Investitionen in die Stärkung unseres Landes ermöglicht. Auf dieser Grundlage wollen wir die Gesetzgebung bis Ende 2025 abschließen.“ Angesichts des engen Terminkalenders denkt man nun an einen Abschluss Ende März 2026.
Auch die Besetzung der Kommission stößt auf Bedenken. Vorgesehen ist, dass jeweils fünf Mitglieder berufen werden, die Union und SPD dort sehen wollen, zudem sollen die Grünen und die Linksfraktion mit jeweils einem Fachmann bedacht werden. Es sollen Experten aus der Wissenschaft sein, vornehmlich Juristen und Ökonomen. Außerdem sollen CDU, CSU und SPD einen Politiker benennen können, gedacht wird an „Elder Statesmen“. Damit käme die Union auf sieben ihr Wohlgesonnene, die Parteien links der Mitte auf acht.
So könnte auch die Abstimmung über eine neue Schuldenbremse am Widerstand von CDU/CSU scheitern. In Unionskreisen wird nicht ausgeschlossen, dass nur der Übergang nach Notlagenjahren zur normalen Haushaltsführung neu geregelt wird. Oder sogar nur die Konjunkturkomponente. In dem Fall dürfte der Bund in schlechten Zeiten etwas mehr Schulden machen, aber in besseren Jahren weniger.