Würde eine Migrantenquote an Schulen helfen?

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Kürzlich waren viele Menschen über Bildungsministerin Karin Prien empört, weil sie eine Migrantenquote an Schulen als „denkbares Modell“ bezeichnet hatte. Das wurde als realitätsfern, populistisch, gar rassistisch bezeichnet. Die Idee finden manche aber gar nicht so dumm. Gerlinde Kohl zum Beispiel, die Vorsitzende des katholischen Lehrerverbands KEG. Sie verweist auf die extrem ungleiche Verteilung von Kindern mit Migrationshintergrund. In Berlin beispielsweise gibt es Schulen, an denen ihr Anteil 95 Prozent beträgt, etwa in Neukölln, und solche, an denen es bloß fünf Prozent sind, etwa in Charlottenburg-Wilmersdorf. Und ein Viertel der Kinder an Grundschulen hat große Defizite im Deutschen.

Kohl ist überzeugt, dass Kinder, die schlecht Deutsch sprechen, einheimische Mitschüler brauchen – auch wenn das einen längeren Schulweg bedeutet: „Da müsste Überzeugungsarbeit geleistet werden, dass sich das lohnt!“, sagt Kohl.

Offen für eine Migrantenquote: Bundesbildungsministerin Karin Prien im Mai in Hamburg
Offen für eine Migrantenquote: Bundesbildungsministerin Karin Prien im Mai in Hamburgdpa

In der Praxis gibt es längst eine Mi­grantenquote, zumindest innerhalb von Schulen. Ein Geschichtslehrer an einem Gymnasium in Baden-Württemberg erzählt, wie sie eine Weile vermieden, Mitschüler aus der Grundschule voneinander zu trennen. So entstand eine Klasse mit vielen Kindern aus Syrien, die inoffiziell „Kopftuchklasse“ hieß. Bei einer Aktionswoche für Vielfalt seien Plakate von den Wänden des Klassenzimmers gerissen worden. Die Schüler fanden: Homosexualität sei eine Sünde. „Da wäre eine größere Durchmischung besser gewesen“, sagt der Geschichtslehrer.

Die Lehrer achten also darauf, dass deutsche und ausländische Nachnamen gleichmäßig auf die Klassen verteilt werden. „Ich kenne niemanden, der das nicht macht“, sagt Gerlinde Kohl. Warum sollten die Lehrer zulassen, dass in der einen Klasse alle deutschen Kinder sind und in der anderen alle ausländischen? Also mischen sie und schließen vom Namen eines Kindes auf seine Deutschkenntnisse.

Es geht nicht darum, ob ein Kind Murat, Miguel oder Michael heißt

Das kann schiefgehen. Olaf Köller ist Bildungsforscher und Ko-Vorsitzender der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission. Aus seiner Forschung weiß er schon lange: Wenn man Bildung und Einkommen der Eltern berücksichtigt, verschwindet der Unterschied in den Sprachkenntnissen und der Leistung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund.

Es geht also nicht darum, ob ein Kind Murat, Miguel oder Michael heißt, sondern darum, ob in seinem Elternhaus Bücher stehen oder ob ständig der Fernseher läuft und ob ihm die Ruhe für Hausaufgaben fehlt, weil es sich ein Zimmer mit jüngeren Geschwistern teilt. Das kann deutschen Kindern aus der Unterschicht genauso gehen. Wichtiger wäre also eine so­ziale Durchmischung.

In Dänemark gibt es Quoten für die Durchmischung von Stadtvierteln, die unter anderem den Anteil von Erwach­senen mit geringer Bildung und ohne Ar­beit regulieren und sich dann auch bei den Kindern in den Schulen widerspiegeln. Das geht mit Abriss, Nachverdichtung und Umsiedlungen einher. In Deutschland fordert niemand etwas Vergleichbares. Ein anderes Beispiel ist Amerika, wo Kinder seit Jahrzehnten mit dem Ziel der Durchmischung an Schulen in andere Viertel gebracht werden.
Bildungsforscher Olaf Köller, hier im Dezember 2024 bei Markus Lanz, weiß: Es kommt auf Bildung und Einkommen der Eltern an.
Bildungsforscher Olaf Köller, hier im Dezember 2024 bei Markus Lanz, weiß: Es kommt auf Bildung und Einkommen der Eltern an.Picture Alliance

In den Siebzigern sollte so die Segregation zwischen schwarzen und weißen Kindern beendet werden. Bis heute gibt es solche „Busing“-Programme in gerin­gerem Umfang auch, um die soziale Durchmischung zu fördern.

Studien zeigen: „Busing“ kann die Leistungen benachteiligter Kinder verbessern, ohne dass Kinder aus wohlhabenderen Familien Nachteile haben. Die Effekte sind aber moderat. Und sie hängen davon ab, ob die Schule den benachteiligten Kindern offen begegnet oder sie ausgrenzt. Lässt sich das auf Deutschland übertragen?

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Der Präsident des deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, glaubt das nicht. In Amerika fahren Kinder ohnehin täglich mit dem Schulbus. In Deutschland gibt es ein solches System nicht, man müsste es aufbauen – in einer Zeit, in der schon reguläre Busse wegen Personalmangels seltener fahren. Außerdem würden die Eltern das gar nicht mitmachen, glaubt Düll. Bevor sie ihren Kindern lange Wege zu womöglich schlechteren Schulen zumuten, würden sie Privatschulen wählen.

Auch an durchmischten Schulen bilden sich Gruppen

Und noch etwas: An den Integrierten Sekundarschulen in Berlin etwa, die dort seit 15 Jahren Haupt-, Real- und Gesamtschule ersetzen, haben stärkere Schüler die schwächeren nicht „mitgezogen“, im Ge­genteil: Das Niveau wurde insgesamt niedriger.

Darauf verweist auch Bildungsforscher Köller. Er sagt: „Die Versuche stärkerer Durchmischung bringen nicht die Erfolge, die man sich wünscht.“ Zumal sich auch in einer durchmischten Schule wieder Gruppen bilden: hier die Syrer, da die Ukrainer, dort die Deutschen. „Die Hoffnung, dass Kinder wechselseitig voneinander profitieren, ist ein ungedeckter Scheck“, sagt Köller.

Stefan Düll ist Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes und glaubt, dass Eltern bei einer Quote nicht mitmachen würden.
Stefan Düll ist Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes und glaubt, dass Eltern bei einer Quote nicht mitmachen würden.© Andreas Gebert

Deutlich größere Effekte hatte in Amerika eine andere Maßnahme: die frühe Förderung benachteiligter Kinder. In den Sechzigern wurden in Michigan 123 benachteiligte Kinder in zwei Gruppen aufgeteilt. 58 von ihnen wurden ein Jahr gezielt gefördert, etwa durch den täglichen Besuch einer Vorschule, die anderen 65 nicht.

Mit 27 Jahren hatten die geförderten Kinder höhere Abschlüsse und Einkommen, waren seltener kriminell geworden und hatten seltener im Jugendalter Kinder bekommen, waren seltener von Sozialhilfe abhängig und lebten in stabileren Familienbeziehungen.

Aktuellere Studien mit mehr Teilnehmern gibt es praktisch nicht – auch weil es ethisch problematisch ist, eine Kontrollgruppe nicht zu fördern und in den Folgejahren ihr Scheitern zu dokumentieren. In Deutschland ist so etwas nie gemacht worden; hier gibt es keine vergleichbaren Da­ten. Frühkindliche Bildung gilt trotzdem als Goldstandard. Und anders als die Idee, Kinder jeden Tag von Neukölln nach Wilmersdorf zu fahren, hat sie keinerlei unerwünschte Nebeneffekte.

Künftig sollen Tests und Sprachförderung verpflichtend sein

Ministerin Prien ist auch für die frühe Förderung. In dem Interview, in dem sie eine Quote als „denkbar“ bezeichnete, sagte sie auch, entscheidender als die Zusammensetzung von Klassen seien die Sprachkenntnisse. Die müssten vor der Einschulung erworben werden, mit drei bis sechs Jahren – durch gezielte Förderung.

Eine solche Sprachförderung soll künftig in ganz Deutschland Standard werden. Im Koalitionsvertrag ist die „verpflichtende Teilnahme aller Vierjährigen an einer flächendeckenden, mit den Ländern vereinbarten Diagnostik des Sprach- und Entwicklungsstands“ geplant. Die Länder sollen sich dann um die Fördermaßnahmen kümmern.

Als Beispiel wird immer wieder Hamburg genannt. Hier gibt es schon seit Jahren Sprachtests für alle Viereinhalbjährigen. Schneiden sie schlecht ab, werden sie verpflichtend gefördert. Solche Tests sind schon heute in vielen Bundesländern Pflicht. Eine der Ausnahmen ist Thüringen. Dennoch landete Thüringen beim Bildungsmonitor 2024 auf dem viertbesten Platz.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Woran das liegt, ist schwer zu sagen: Systematische Unter­suchungen, welche Verfahren warum bessere Effekte erzielen, gibt es nicht. Die wenigen Studien, die es zur Sprachför­derung gibt, konnten laut einer Expertise im Auftrag des Familienministeriums auch „überwiegend keine Effekte auf die kindlichen Sprachkompetenzen und die schriftsprachliche Entwicklung belegen“. Mögliche Ursachen: eine zu kurze oder zu späte Förderung, vielleicht auch mangelnde Qualifizierung der Pädagogen.

Peter Cloos, Pädagogik-Professor in Hildesheim, hält eine andere Erklärung für wahrscheinlicher. In Niedersachsen et­wa wurden Kinder im Rahmen des Programms „Fit in Deutsch“ einmal die Woche aus der Kita abgeholt, für anderthalb Stunden gefördert und dann wieder zurückgebracht. Die Maßnahme war nicht erfolgreich, weil die noch sehr jungen Kinder aus ihrer Umgebung gerissen und von ihren Erzieherinnen getrennt wurden, sagt Cloos.

Zusätzliche Fachkräfte in bestimmten Kitas

Was stattdessen funktioniert: alltagsintegrierte Sprachförderung. Das bedeutet, dass eine Erzieherin einem Kind nicht wortlos die Jacke anzieht, sondern zum Beispiel sagt: „So, jetzt ziehen wir dir deine Jacke an. Schau mal, was hat die denn da? Eine Kapuze! Das ist ja su­per, weil es gerade regnet.“ Dafür braucht es viel gut ausgebildetes Personal, genau das also, was fehlt.

Damit sich das ändert, will die Regierung zusätzliche Fachkräfte in Kitas mit vielen ausländischen Kindern schicken – im Rahmen eines Programms namens „Sprach-Kitas“, dessen Förderung die Ampel eingestellt hatte, um zu sparen. Allerdings will Schwarz-Rot zugleich Erzieher aus dem Ausland anwerben. Das ist für die Sprachförderung natürlich weniger hilfreich.

Kinder in einer Kita in Frankfurt (Oder) – im besten Fall wird die Sprachförderung in den Alltag integriert.
Kinder in einer Kita in Frankfurt (Oder) – im besten Fall wird die Sprachförderung in den Alltag integriert.picture alliance / dpa

Es kommt nicht nur auf den Personalschlüssel an, sondern auch auf den Willen. Ein Erzieher aus einer Kita in Offenbach hat erlebt, dass es an dem teils mangelt. „Sicherlich haben alle schon mal gehört, dass man Alltagssituationen zur Sprachförderung nutzen soll, aber es wird dann doch selten umgesetzt“, erzählt er. Sage ein Kind „Wasser!“, werde ihm schnell wortlos ein Glas eingeschenkt, anstatt zu sagen: „Du hast also Durst, ja?“

Er glaubt, dass es gut wäre, wenn die Kinder mehr Deutsch hören würden, auch von anderen Kindern. Bei einem Migrantenanteil von 80 Prozent, wie es ihn in seiner Kita gibt, sei das aber schwer.

Generell ist die Migrantenquote an Ki­tas geringer als an Schulen. Hier sieht der Pädagoge Cloos einen Hebel. Zu oft gingen ausländische Eltern bei der Kitaplatzsuche leer aus. Etwa weil sie denken, sie müssten sich bloß auf eine Liste setzen lassen und sich nicht persönlich vorstellen oder nachhaken. Aber auch weil die Kitas sich aussuchen können, wen sie aufnehmen, und teils davon ausgehen, dass ein Kind mit deutschem Namen im Kitaalltag weniger Reibung verursacht.

Mehrsprachigkeit ist auch eine Kompetenz

Wer über die Probleme redet, übersieht manchmal die Vorteile. Kinder, die heute schlecht Deutsch sprechen, sind später im Leben mehrsprachig. Sophie Koch vom Sozialverband Volkssolidarität hat zu „interkulturell-kommunikativen Kompetenzen von Erziehern“ promoviert. Sie sagt: Sprachscreenings schauten nur auf die Defizite und nicht auf die Kompetenzen. Kein einziges der verschiedenen Testverfahren der Länder berücksichtige etwa Mehrsprachigkeit.

Natürlich spreche ein dreijähriges Kind, das mit Deutsch, Französisch und Arabisch aufwächst, anders Deutsch. Unter einer echten Sprachentwicklungsstörung leide aber nur ein einstelliger Prozentteil aller Kinder. Einen Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit gebe es dabei nicht.

Für Lehrerverbandspräsident Düll ändert das Argument nichts. Mehrsprachigkeit hin oder her, sagt er: Ein Kind, das in die Grundschule kommt, muss auf einem gewissen Niveau Deutsch sprechen, weil der Unterricht auf Deutsch stattfindet. Damit das klappt, muss auch die Büro­kratie besser werden.

Behörden dürfen Eltern oft nur per Brief auffordern, ihr Kind zum Test zu schicken. Reagieren die Eltern nicht, müssen sie noch einen Brief schicken. Versäumen Eltern dann verpflichtende Termine, gibt es oft keine Sanktionsmöglichkeiten. Und dort, wo es sie gibt, fehlt das Personal, sie durchzu­setzen. Von solchen Details war in der Aufregung über Karin Prien aber keine Rede.