Der Zickzackkurs der Regierung muss aufhören

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Die Ampelkoalition hat mit dem Bürgergeld und angelagerten Projekten drei Jahre lang eine besonders abstoßende Form affektgesteuerter Sozialpolitik vorgeführt. Statt schlüssiger Konzepte folgte sie einem Zickzackkurs, mal in Richtung bedingungsloser Sozialtransfers, dann wieder ein Stück zurück. Am Ende konnte sie es niemandem mehr erklären, nicht einmal den eigenen Leuten. Erst dadurch wurde das Wahlversprechen von CDU und CSU so populär, das Bürgergeld „abzuschaffen“ und den Sozialstaat wieder „in Ordnung“ zu bringen.

Nun aber muss die Union zeigen, dass sie es mit eigenen Konzepten (und der SPD als Partner) besser kann. Davon ist bisher jedoch wenig zu erkennen. Vielmehr droht sich die neue Koalition in neuem Wirrwarr zu verfangen, falls sie die Klüfte zwischen Schlagworten und Realität, Affekt und Sachzwang nicht bald schließt. Bisher sieht es zum Beispiel so aus: Der Druck auf deutsche Bürgergeldbezieher soll steigen, damit sie künftig ­rascher Arbeit aufnehmen – aber Men­­­schen aus der Ukraine, die Sozial­trans­fers beziehen, werden vom För­dern und Fordern der Jobcenter befreit.

Diese Aussage spitzt den Sachverhalt zugegebenermaßen ein wenig zu. Aber im Kern ergibt sich genau dies aus zwei Vorhaben, die CDU und CSU im Koalitionsvertrag verankert haben. Zum einen wollen sie das Bürgergeld zu einer Grundsicherung reformieren, die wieder klar dem Grundsatz des Förderns und Forderns folgt. Zum anderen wollen sie Flüchtlingen aus der Ukraine die monatliche Geldleistung kürzen, weil die ihnen bisher zustehenden Regelsätze im Bürgergeld höher sind als ähnliche Leistungen in Nachbarländern. Das Ziel mag plausibel klingen, aber wer ihm ohne Umsicht folgt, gerät selbst ohne Zutun der SPD in widriges Gestrüpp.

Bezieher von Asyl­be­wer­ber­­leis­tungen haben im Job­­cen­ter nichts zu suchen

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass neu ankommende Ukrainer künftig „Leistungen nach dem Asyl­be­wer­ber­­leis­tungs­­gesetz“ er­halten; sie sind rund 20 Prozent niedriger als das Bürgergeld und erfüllen insoweit in der Tat das Ziel. Nur hat dieser „Rechtskreiswechsel“ Ne­ben­folgen: Bezieher von Asyl­be­wer­ber­­leis­tungen haben im Job­­cen­ter nichts zu suchen. Und selbst wenn es einen Willen gäbe, diese mit Fördern, Fordern und Sanktionen für zuständig zu erklären, es wäre verfassungsrechtlich kaum möglich.

Dabei war die geplante Leistungskürzung doch ursprünglich mit einer zu schleppend wirkenden Arbeitsmarktintegration von Ukrainern begründet worden. Wie belastbar dieser Befund war, darüber lässt sich streiten. Aber nichts spricht dafür, dass es besser klappt, wenn man sie gar nicht mehr verbindlich fördert und fordert.

Zwar ist Beziehern von Asylbewerberleistungen das Arbeiten in aller Regel nicht verboten. Und wer sich aus eigenem Antrieb um Arbeit bemüht, kann sich von der beitragsfinanzierten Arbeitsagentur helfen lassen. Wer das aber nicht tut, erhält seine Asylbewerberleistung dennoch ungekürzt. Verbindliche Integ­ra­tion sieht dieses System schon deshalb nicht vor, weil es ja eigentlich nur Durchgangsstation sein soll – bis die Behörde den Asylantrag positiv oder negativ beschieden hat. Ukrainer aber durchlaufen kein Asylverfahren. Für sie würde dieser Status zum Dauerzustand, solange wie Putin Krieg führt. Ar­beitsmarkt- und inte­grationspolitisch schlüssig ist das nicht.

Umgefärbte Variation rot-grün-gelber Zickzackpolitik?

Angeblich wird in der Koalition nun geprüft, ob man die bisher freiwillige Beratung für Asylbewerber verbindlicher machen kann. Doch das Wie bleibt rätselhaft. Denn für die (im Verweigerungsfall zu kürzende) Geldleistung ist die Arbeitsagentur nicht zuständig. Allerdings entstehen ihr neue Kosten, wenn sie Beratung für eine Gruppe leistet, die zuletzt um jährlich etwa 100.000 Personen gewachsen ist.

Letzteres nährt sogar den Verdacht, dass die gesamte Operation „Rechtskreiswechsel“ gar nicht in erster Linie integrations- oder migrationspolitisch begründet ist, sondern eine fiskalisch motivierte Zahlenschieberei. Tatsächlich ist es so: Von den Milliardenbeträgen, die im Bürgergeldetat des Bundes – angeblich – bald eingespart werden sollen, entfällt ein Großteil nicht etwa auf die geplante große Reform des Grundsicherungssystems. Es sind bloße Kostenverlagerungen. Bezahlt man Leistungen für Ukrainer aus den Etats für Asylbewerber und der beitragsfinanzierten Arbeitsagentur, fallen sie nicht mehr in den Bürgergeldetat.

Noch kann man der schwarz-roten Regierung keine groben Fehlentscheidungen auf diesem Politikfeld vorwerfen. Denn abgesehen vom Koalitionsvertrag hat sie in dieser Sache noch nichts entschieden. Aber die Union und Kanzler Friedrich Merz wollen damit nach der Sommerpause zügig loslegen. Sie sollten die Pause nutzen, um noch einmal genau zu klären, wohin die Reise geht. Derzeit deutet allzu viel auf eine umgefärbte Variation rot-grün-gelber Zickzackpolitik hin.