Wie Händler in Deutschland niederländische Kriminelle mit Sprengstoff versorgen

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Nachts gegen halb drei schlug der Hund der Fa­milie plötzlich an. Laute Geräusche hatten ihn geweckt, draußen in Nieuwkuijk, einem Dorf in den Niederlanden, bekannt, wie könnte es auch anders sein, für seine historische Windmühle. Die Mutter, eine fünfzigjährige Altenpflegerin, ging nach unten. Als sie vor der Haustür stand, explodierte diese mit einem ohrenbetäubenden Knall.

Im ganzen Haus zersprangen Scheiben. Auf dem Dach lösten sich Ziegel. Ein Trümmerteil der Haustür durchschlug am Ende des Flurs die Toilettentür. Andere zerfetzten die Unterschenkel der Frau. Um zu verhindern, dass sie verblutete, halfen die beiden Kinder ihrem Vater, die Beine der Mutter mit Gürteln abzuschnüren. „Ich dachte, mein Leben ist vorbei“, schrieb die Frau später in einem Brief an Opsporing Verzocht, der niederländischen Version der Fernsehsendung Aktenzeichen XY. „Mit dieser Angst bin ich in einen tiefen Schlaf gefallen.“

Explosionen wie diese sind in den Niederlanden alltäglich geworden. Mehr als 1100 zählte die Polizei im vergangenen Jahr. Und knallt es weiter so wie in den ersten sechs Monaten, wird 2025 der nächste Höchststand folgen. Drogenbanden und Kleinkriminelle sprengen Briefkästen, Türen und ganze Häuser weg, um Konkurrenten zu drohen. In der Stadt ’s-Hertogenbosch trifft es immer wieder Lieferwagen und Betriebe derselben Berufsgruppe: Vom Dachdeckerkrieg ist dort die Rede. Sogar Alltagsstreitigkeiten – die Niederländer sagen wörtlich übersetzt auch Haus-Garten-und-Küchen-Konflikte – werden mit Sprengsätzen ausgetragen.

Der Unterschenkel musste amputiert werden

Die Altenpflegerin in Nieuwkuijk verlor durch die Explosion ihren rechten Unterschenkel. Er musste noch in der Nacht im Krankenhaus amputiert werden. In ihrem Fall hatte sich der Täter offenbar in der Tür geirrt. Die Polizei geht davon aus, dass er eigentlich das Haus nebenan treffen wollte. Dort lebt die Ex-Freundin des mutmaßlichen Auftraggebers.

Ein Großteil der Anschläge wird mit Böllern verübt, die Cobra 8, Super Mario oder Dumbum heißen. Mit Knallerbsen haben die wenig zu tun. Experten vergleichen ihre Sprengkraft mit der von Handgranaten. In den Niederlanden dürfen sie nur von professionellen Pyrotechnikern genutzt werden. Auf dem Schwarzmarkt aber sind sie für jeden verfügbar. Und dabei spielen, das zeigen gemeinsame Recherchen des niederländischen Senders RTL Nieuws und der F.A.Z., Großhändler in Deutschland eine wichtige Rolle.

Beschlagnahmt: Cobra-Böller sind so stark, dass sie schwere bis lebensgefährliche Verletzungen verursachen können.
Beschlagnahmt: Cobra-Böller sind so stark, dass sie schwere bis lebensgefährliche Verletzungen verursachen können.Picture Alliance

Gezielt nutzen diese Händler die lockereren Gesetze, das Wirrwarr der Zuständigkeiten und den fehlenden Austausch unter den Behörden aus, um viel Geld mit der explosiven Ware zu verdienen. Deutschen Ermittlern sind dabei oft die Hände gebunden. Keiner wisse, sagt eine von ihnen, was in den Lagern und Bunkern entlang der deutsch-niederländischen Grenze so alles schlummere.

Dabei explodieren auch in Deutschland regelmäßig Sprengsätze, die Pulver aus Feuerwerkskörpern enthalten. Geldautomatensprenger setzen seit einigen Jahren fast nichts anderes mehr ein, jedenfalls diejenigen, die aus den Niederlanden über die Grenze kommen. „Alle anderen sind Nachahmer oder Dilettanten“, sagt ein Ermittler. Je nach Größe der Böller reichen vier oder fünf, um einen Geldautomaten in die Luft zu jagen.

Auch eine ganze Anschlagsserie gab es schon: im vergangenen Sommer in Nordrhein-Westfalen. Innerhalb weniger Wochen explodierten dort 14 „unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen“, wie es im Behördenjargon heißt, unter anderem vor einem Modegeschäft und einem Nachtclub in Köln, vor Wohnhäusern in Engelskirchen und Düsseldorf. Auslöser war laut den Ermittlungen Streit unter Drogenhändlern um eine geraubte Cannabislieferung. Kölner Kriminelle beauftragten demnach Attentäter aus den Niederlanden. Einige von ihnen waren noch nicht einmal erwachsen. Im Juni ließ ein Siebzehnjähriger vor einem Fitnessstudio in Solingen einen Sprengsatz fallen, zusammengebastelt aus einer Flasche voll Brandbeschleuniger und einem Böller. Die Explosion war so heftig, dass vier Passanten verletzt wurden. Der Täter starb im Krankenhaus.

Ab Silvester 2026 ist privates Feuerwerk in den Niederlanden verboten

Für Kriminelle, sagt Tolga Koklu, Polizeichef in Rotterdam und zuständig für Sprengstoffattacken, seien die Böller sehr attraktiv: billig, leicht verfügbar, und wer damit erwischt werde, komme glimpflich davon. „Ich möchte die deutsche Polizei ernsthaft warnen“, sagt er. „Wir müssen in Europa zusammenarbeiten und alle Kräfte mobilisieren, damit es in anderen Ländern nicht zu diesem Ausmaß an Explosionen kommt wie bei uns.“

In den Niederlanden sind die entsprechenden Gesetze schon seit Anfang der Neunzigerjahre immer strenger geworden. Damals flog in Enschede eine Feuerwerksfabrik in die Luft und tötete 23 Menschen. Ab Silvester 2026 wird privates Feuerwerk komplett verboten sein, das hat das niederländische Parlament gerade erst entschieden. Der Begeisterung der Niederländer für Raketen und Böller aber hat das bislang keinen Abbruch getan. Der illegale Handel mit Feuerwerk hat laut einer Studie des niederländischen Justizministeriums einen Umfang von 150 bis 216 Millionen Euro jährlich. Außerdem fahren jedes Jahr vor Silvester Tausende Niederländer nach Deutschland, um hier einzukaufen.

Gewaltige Explosionen: Auch bei Geldautomatensprengungen, wie hier in Kierspe in Nordrhein-Westfalen, kommen Sprengsätze aus Böllern zum Einsatz.
Gewaltige Explosionen: Auch bei Geldautomatensprengungen, wie hier in Kierspe in Nordrhein-Westfalen, kommen Sprengsätze aus Böllern zum Einsatz.dpa

Entlang der niederländischen Grenze gibt es deshalb besonders viele Händler. Und viele von ihnen haben nicht nur Publikumsfeuerwerk im Angebot, sondern auch professionelle Pyrotechnik. So sind allein im Regierungsbezirk Münster rund 30 Händler gemeldet, die entsprechende Feuerwerkskörper verkaufen dürfen. Zum Vergleich: Im Regierungsbezirk Schwaben gibt es gerade einmal zwei, in Tübingen keinen einzigen. Auffällig ist außerdem: Viele der Händler im Grenzgebiet sind selbst Niederländer.

Um in Deutschland die Erlaubnis für den Handel mit professionellem Feuerwerk zu bekommen, müssen Antragsteller nachweisen, dass sie zuverlässig sind. So steht es im Sprengstoffgesetz. Als nicht zuverlässig gilt, wer etwa wegen eines Verbrechens oder wegen Straftaten im Zusammenhang mit explosiven Stoffen verurteilt worden ist. Bei deutschen Antragstellern prüft das die Polizei. Ausländische müssen ein Führungszeugnis aus ihrer Heimat vorlegen. Direkten Kontakt unter den Behörden gibt es nicht. Das öffnet große Schlupflöcher. RTL Nieuws und die F.A.Z. stießen bei ihren Recherchen auf mindestens sieben niederländische Händler mit einschlägigen Vorstrafen.

Statt einer digitalen Datenbank gibt es Papier-Dokumente

Dabei ist nicht nur der fehlende internationale Austausch ein Problem. „Wer in Niedersachsen keine Genehmigung bekommt, der versucht es einfach in Nordrhein-Westfalen“, sagt ein deutscher Ermittler. „Die Chancen stehen gut, da noch eine zu bekommen.“ Dasselbe gilt für die Erlaubnis, die notwendig ist, um professionelles Feuerwerk wie Cobras oder Dumbums kaufen und zünden zu dürfen. Auch bei Privatleuten wird dafür die Zuverlässigkeit überprüft, dann ist der Schein recht einfach zu bekommen. Eine zentrale Datenbank gibt es nicht, stattdessen unterschiedliche Papier-Dokumente von den Tausenden Ordnungsämtern. „Jedem, der eine Erlaubnis mit einem Stempel darauf vorzeigt, wird in neun von zehn Fällen geglaubt“, sagt ein Polizist. Dabei hätten Ermittlungen gezeigt, dass diese Papiere oft gefälscht seien.

Natürlich heißt das nicht, dass alle Pyrotechnik-Händler im deutsch-niederländischen Grenzgebiet kriminell sind. Polizeichef Koklu aus Rotterdam aber sagt: „Uns liegen Erkenntnisse vor, dass der legale und der illegale Feuerwerkshandel Hand in Hand gehen.“ Und natürlich wissen auch die Händler, dass es in den Niederlanden im Grunde keinen legalen Markt für schwere Böller gibt. Trotzdem preisen viele von ihnen die gefährliche Ware auf ihren Internetseiten auf Niederländisch an.

Explosionsgefahr in der Scheune: Bei Razzien in NRW und Niedersachsen beschlagnahmte die Polizei 2022 rund 350 Tonnen Feuerwerk.
Explosionsgefahr in der Scheune: Bei Razzien in NRW und Niedersachsen beschlagnahmte die Polizei 2022 rund 350 Tonnen Feuerwerk.Polizei Osnabrück

Die Studie im Auftrag des Justizministeriums und ein Bericht der niederländischen Polizei zeigen, wie sich das Geschäft mit illegalem Feuerwerk in den vergangenen Jahren professionalisiert hat: Wie im Drogenhandel gibt es Zehntausende Dealer, oft Jugendliche, die Böller im eigenen Umfeld und über soziale Medien wie Snapchat oder Telegram verkaufen. Für einen Cobra sind Preise von sechs bis zehn Euro üblich. Versorgt werden sie von Zwischenhändlern, die das Feuerwerk kistenweise in Garagen und Autos lagern. Nationale Großhändler organisieren den Schmuggel lieferwagenweise. Viele von ihnen haben Kontakte in die organisierte Rauschgiftkriminalität. Und an der Spitze der Pyramide stehen: internationale Großhändler.

Auf der Grundlage von Ermittlungen schätzt die niederländische Polizei, dass es sich um eine Gruppe von fünf bis zehn Personen handelt, die mit ihren Netzwerken den illegalen Feuerwerkshandel in den Niederlanden kontrolliert. Die meisten von ihnen sind einschlägig vorbestraft. „Das sind Leute, die verrückt sind nach Feuerwerk“, sagt eine Ermittlerin RTL Nieuws und der F.A.Z. „Die machen nach dem Gefängnis einfach weiter.“ Die Großhändler haben Kontakt zu Herstellern in China, Polen, Italien und Albanien. Von dort lassen sie das Feuerwerk laut der niederländischen Polizei dann hauptsächlich an Lagerstätten in Deutschland liefern.

Vier Cobras verwüsten ein Kinderzimmer

Im Zweiten Weltkrieg und während des Kalten Krieges wurden entlang der deutsch-niederländischen Grenze unzählige Bunker gebaut. Viele stehen heute leer oder werden vermietet. Bei Feuerwerkshändlern sind sie beliebt, weil sie darin auch große Mengen vorschriftsgemäß lagern können. Im Herbst 2022 rückten niederländische und deutsche Ermittler zu einer gemeinsamen Razzia aus. Entschlüsselte Nachrichten des Kryptodienstes EncroChat, der sonst vor allem von Drogenhändlern genutzt wurde, hatten sie auf die Spur gebracht. Die Polizei beschlagnahmte 350 Tonnen Pyrotechnik. Das meiste davon lag in ehemaligen NATO-Bunkern. Rund 50 Tonnen aber stapelten sich auch hinter Strohballen in einer Scheune, direkt neben einem bewohnten Bauernhof.

Anders als etwa Chinaböller, die an Silvester auch ohne Erlaubnisschein ­gezündet werden dürfen, enthalten Feuerwerkskörper wie der Cobra kein Schwarzpulver, sondern einen sogenannten Blitzknallsatz. Dieses Gemisch besteht aus einem Oxidationsmittel wie Kaliumperchlorat und feinem Metallpulver. Es ist stärker, reagiert aber auch sehr empfindlich. Und es ist massenexplosiv, das heißt, wenn mehrere Böller nebeneinanderliegen, können sie gleichzeitig in die Luft gehen. Wie gefährlich das ist, zeigt ein Fall aus dem niederländischen Örtchen Hapert: Ein Sechzehnjähriger hatte dort vier Cobras in seinem Schreibtisch versteckt. Die Böller explodierten von allein und verwüsteten nicht nur das Kinderzimmer. Das ganze Haus war ­vorübergehend unbewohnbar. Das lässt auch erahnen, was tonnenweise unachtsam gelagerte Böller anrichten können.

Anschlagsserie: Im Sommer 2024 explodierten auch in Nordrhein-Westfalen 14 Sprengsätze - nach Streitigkeiten unter Drogenhändlern.
Anschlagsserie: Im Sommer 2024 explodierten auch in Nordrhein-Westfalen 14 Sprengsätze – nach Streitigkeiten unter Drogenhändlern.dpa

Mehrere Beschuldigte im Fall der 350 Tonnen Pyrotechnik, der in Deutschland unter dem Decknamen „Operation Cobra“ geführt wurde, waren nach Informationen von RTL Nieuws und F.A.Z. vorbestraft. Einer von ihnen war schon 2012 erwischt worden, wie er im Kleinbus seines Vaters Tausende Böller und Kugelbomben schmuggelte. Zwei Brüder wurden 2018 von einem niederländischen Gericht verurteilt, weil sie aus Bunkern in Deutschland tonnenweise illegales Feuerwerk verkauft hatten. Trotzdem hatten die Männer offenbar kein Problem, 2020 im nordrhein-westfälischen Kranenburg gemeinsam einen Pyrotechnikhandel zu gründen. Inzwischen warten sie in den Niederlanden auf den Beginn ihres Prozesses.

An dem 350-Tonnen-Fall lässt sich außerdem zeigen, weshalb niederländische Ermittler regelmäßig an der deutschen Gesetzgebung verzweifeln. Wenn sie sich mit Hinweisen an Kollegen in Deutschland wenden, heißt es oft: „Wo ist der Verdacht auf eine Straftat auf deutschem Boden?“ Wenn sich die Händler geschickt anstellen, hat die Polizei kaum eine Chance. Beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen heißt es dazu: Wegen der Geldautomatensprengungen und besonders nach der Anschlagsserie in Köln sei das Thema in den Fokus gerückt. Allerdings seien Blitzknallsätze an sich nicht illegal. „Illegal wird das Feuerwerk erst, wenn es in die falschen Hände gerät.“ Und weil das oft erst durch den Schmuggel über die Grenze geschieht, gilt in Deutschland: kein Verdacht auf eine Straftat, keine Ermittlung.

Und selbst wenn es konkrete Hinweise gibt, dass Feuerwerkshändler in großem Stil und illegal arbeiten, haben deutsche Ermittler ein Problem: Die Verstöße nach dem Sprengstoffgesetz zählen bisher nicht zu den sogenannten Katalogstraftaten, das heißt, die Polizei kann die Telefone der Verdächtigen nicht abhören, kann keine Handydaten oder Funkzellen auswerten. Ohne diese verdeckten Maßnahmen führen viele Verfahren zu nichts. „Kein Täter erzählt uns was, wenn wir an seiner Tür klingeln und nachfragen“, sagt ein Polizist resigniert.

„So, wie es bisher ist, ist es total untauglich“

Bei „Operation Cobra“ musste die Staatsanwaltschaft Osnabrück zu einem Trick greifen – der deutlich macht, wie absurd die Gesetzeslage in Deutschland mitunter ist. Durch Ermittlungen in den Niederlanden gab es Hinweise, dass die Verdächtigen auch mit Ammoniumnitrat zu tun hatten. Die Chemikalie wird als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt, aber es kann auch Sprengstoff daraus hergestellt werden. Ammoniumnitrat fällt deshalb unter das Ausgangsstoffgesetz. Und das ermöglichte es den Osnabrücker Ermittlern, die Telefone der Händler abzuhören. Allein der Verdacht auf illegales Feuerwerk hätte dafür nicht gereicht – obwohl in Böllern wie dem Cobra ja fertiger Sprengstoff steckt, mit dem ganze Häuser in die Luft gejagt werden können.

Auch beim Landeskriminalamt Niedersachsen sind es vor allem die Geldautomatensprengungen, die den Feuerwerkshandel in den Fokus gerückt haben. Weil von den Blitzknallsätzen massive Gefahren ausgingen, werde dem Thema ein hoher Stellenwert beigemessen, sagt LKA-Präsident Thorsten Massinger. Aber auch er betont, wie schwer es seinen Leuten fällt, „Ermittlungsansätze zu generieren“. Bislang lägen „nur wenig gesicherte Informationen über die Herkunft des genutzten Sprengstoffs vor, weshalb dieser Bereich weiter aufgehellt werden soll“.

Ein bisschen einfacher könnten die Ermittlungen bald werden. Anfang Juli hat das schwarz-rote Kabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, den es noch von der Ampelregierung geerbt hatte. Neben höheren Strafen für Automatensprenger ist auch geplant, dass es künftig möglich sein soll, bei „gewerbs- und bandenmäßigem“ Handel mit illegalem Feuerwerk die Kommunikation der Verdächtigen zu überwachen. Dass die Ermittler auch rückblickend Handydaten oder Funkzellen auswerten, ist in dem Entwurf nicht vorgesehen. „Besser als nichts“, sagt deshalb eine Staatsanwältin, die sich tief in das Thema eingearbeitet hat.

Ihre Kritik ist grundlegend: „Es wird hier an einer Stellschraube gedreht, da an einer Stellschraube gedreht“, sagt sie. „Statt sich das Ganze einmal anzuschauen und anzuerkennen: So, wie es bisher ist, ist es total untauglich.“ Die Vorschriften, die den illegalen Handel mit Feuerwerk betreffen, sind komplex, auf Nebengesetze verteilt und von unzähligen Genehmigungen, Erlaubnissen und Aus­nahmen abhängig. Selbst die Juristin kritisiert: „Es ist beinahe unmöglich, zu sagen, ob es sich in einem Fall um strafbares Verhalten handelt oder nicht.“ Allzu oft laufe es auf eine Ordnungswidrigkeit hinaus. Und wenn doch eine entsprechende Straftat nachgewiesen werden könne, sei die Strafe, die es in Deutschland dafür gebe, geradezu „lächerlich“ im Verhältnis zu dem Gewinn, der mit dem illegalen Feuerwerk gemacht werde. Ihr Vorschlag deshalb: Sprengsätze ab einer bestimmten Explosionskraft sollten komplett verboten werden. „Noch hätten wir die Möglichkeit dazu“, sagt sie, „bevor die Umstände im kriminellen Milieu eskalieren wie in den Niederlanden.“

Auch die EU-Kommission ist gerade dabei, die gemeinsame Pyrotechnik-Richtlinie zu evaluieren. Die Bürgermeister mehrerer europäischer Städte haben deshalb einen Brief an die Kommission und das EU-Parlament geschrieben, in dem sie neben weiteren Verschärfungen auch ein Verbot von Böllern mit Blitzknallsätzen befürworten. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, aber auch Stadtoberhäupter aus Frankreich und Schweden, wo die Zahl der Sprengattacken ebenfalls, man muss es leider so sagen, explodiert. Aus den Niederlanden ist neben dem gesamten Städtetag auch der Bürgermeister von Den Haag dabei. Dort hatte es im Dezember einen besonders schlimmen Anschlag gegeben.

Ein 33 Jahre alter Mann wollte sich an seiner ehemaligen Freundin rächen und deren Brautmodeladen verwüsten. Neben Cobra-Böllern nutzten er und seine Komplizen Hunderte Liter Benzin. Die Verpuffung war so gewaltig, dass die beiden Stockwerke über dem Ladengeschäft einstürzten wie nach einem Bombenangriff. Die Rettungskräfte bargen sechs Tote aus den Trümmern. Ein acht Jahre alter Junge verlor seine Schwester und seine Eltern. Als der Knall der Explosion ihn weckte, hatte sein Zimmer keine Tür mehr. Er habe seinen Vater noch um Hilfe schreien hören, sagte der Junge später der Polizei. Kurz habe er gedacht, er sei im Traum aus dem Bett gefallen.