Ein AfD-Vater und ein Linkspartei-Sohn zerstreiten sich

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Gespräche über Politik sind längst mehr als Stammtisch oder Small Talk. Sie entzweien Kollegen, Nachbarn, Freunde. Und Familien. Dieser Text handelt von einem Vater und seinem Sohn: Der Sohn wählt die Linke, der Vater die AfD. Kontakt haben sie kaum noch, und jeder Gesprächsversuch endet im Streit. Es ist nur eine Geschichte von vielen, aber sie kommt so oder so ähnlich in allen Teilen Deutschlands vor.

Der Sohn ist Anfang 20, IT-Systemadministrator, ein legerer Typ. Er glaubt nicht an den Kapitalismus, er baut auf die Menschenrechte, will, dass insbesondere die Bedürfnisse der „Menschen mit unterem Einkommen gehört werden“. Seit ein paar Wochen ist er bei der Linken aktiv, will dort mehr über Politik und politische Systeme lernen.

Und er möchte lernen, besser zu diskutieren und zu debattieren, ohne dass ihm die Argumente ausgehen. So wie es ihm zu Hause passiert ist, mit seinem Vater. Nur geht es da längst um mehr. Nicht nur ihre Meinung über einzelne Themen trennt die beiden. Sie sprechen über insgesamt andere Realitäten und lassen die des anderen nicht mehr gelten. Ein Gespräch mit seinem Vater ist für den Sohn, sagt er, daher kaum noch möglich.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Der Vater wohnt etwa eine Stunde entfernt, in einem Reihenendhaus, gemeinsam mit drei Katzen und einem Hund. Er ist Mitte 50, ein Kind der DDR, wie er selbst sagt, und spätestens seit 2021 AfD-Wähler – „aus Überzeugung“. Corona, sagt er, habe sein Leben auf den Kopf gestellt. „Ich habe alles verloren; meine Familie, meine Arbeit, und wenn ich nicht stark aufpasse, werde ich auch mein Dach über dem Kopf verlieren.“

Von der Mutter der drei gemeinsamen Söhne ist er getrennt, bald auch geschieden. Vor zwei Jahren ist sie wieder zu ihren Eltern nach Sachsen gezogen. Mit allen seinen Kindern hat der Vater höchstens sporadisch Kontakt – und wenn, dann auch Streit. 2020 wurde ihm im Zuge des Stellenabbaus seiner Firma der Job gekündigt. Seither lebt der Vater von der Abfindung und von Bürgergeld.

Früher war Politik in der Familie kein großes Thema. Der Sohn sagt: „Das bedeutete für meine Eltern, alle vier Jahre wählen zu gehen.“ Sie wählten SPD, besonders wegen der Familienpolitik, die Mutter auch mal die Linke. Der Vater fühlte sich eigentlich immer bei den Sozialdemokraten zu Hause.

Brandt und Schmidt haben ihn begeistert

Als die Mauer fiel und er seinen Job verlor, ging er als Arbeiter in den Westen, wurde Gewerkschaftsmitglied. „Damals war ich jung und stark und von den Idealen der SPD geprägt – besonders von Willy Brandt und Helmut Schmidt. Sie haben mich beeindruckt, weil sie gezeigt haben, wie sozial eine Gesellschaft wirklich sein kann.“ Heute sieht er vieles anders, sagt er. „Der schöne Schein hat nicht gehalten.“ Die SPD habe sich mit den Jahren immer mehr der CDU angenähert, Arbeiter stünden nicht mehr im Fokus. Aus der Gewerkschaft werde er jetzt austreten.

Den Wandel und die Radikalisierung der Eltern beobachtete der Sohn erstmals im Jahr 2020. Anfangs demonstrierten sie gegen die Regierung. Sie hatten Angst vor einer möglichen Impfpflicht und vor Impfschäden. „Meine Mutter hat sich im Haus zurückgezogen und oft bis spät abends merkwürdige Podcasts gehört“, erinnert sich der Sohn.

Auch sie beginnt, AfD zu wählen, aber der Sohn nimmt sie, auch jetzt noch, als Protestwählerin wahr, als eine, die vom richtigen Weg abgekommen ist. „Bei ihr merke ich manchmal, dass wir noch gemeinsame Werte teilen.“ Trotz tiefer politischer Unterschiede kann der Sohn mit der Mutter noch reden und hofft, sie irgendwann zu überzeugen. „Ich habe ihr zwar gesagt, dass ich eigentlich keinen Kontakt mehr möchte, weil ihre Überzeugungen mit meinem moralischen Kompass nicht vereinbar sind – aber manche Gespräche führe ich noch.“

Anhänger der AfD bei einer Wahlkampfveranstaltung der Partei im Februar im Heidenheimer Konzerthaus
Anhänger der AfD bei einer Wahlkampfveranstaltung der Partei im Februar im Heidenheimer Konzerthausdpa

Auch Weihnachten feiern sie noch gemeinsam. Deutlicher ist der Bruch mit dem Vater. Zu ihm, sagt der Sohn, sei eine Rückkehr nicht möglich: „Er ist inzwischen zu stark radikalisiert und lebt nur noch in seinem eigenen Kosmos, mit seinen eigenen Informationen.“

Das Gleiche wirft der Vater dem Sohn vor. Beide informieren sich vor allem über Onlineplattformen.Der Sohn beschreibt es so, dass sich sein Vater „weiter und weiter in einschlägigen Netzwerken verloren hat, besonders auf X und Telegram“. Der Vater beschreibt die Informationen auf diesen Plattformen dagegen als gewinnbringend, gerade in der Corona-Zeit. Was der Vater als Fakten begrüßt, lehnt der Sohn als Verschwörungen ab.

Aber nicht nur im privaten Raum beobachtete der Sohn, wie sich politische Debatten ins Digitale verlagerten – und dabei die Polarisierung zunahm. Zu sehen, wie es AfD und Neue Rechte schafften, das Internet zu bestimmen, besorgte ihn: „Da habe ich gemerkt, dass ich mich politisch engagieren muss.“ Sein politisches Engagement entwickelte sich als Abgrenzung zu dem des Vaters. Für Jugendforscher wie Simon Schnetzer ein typisches Beispiel für die Pendeltheorie: Je stärker der gesellschaftliche Rechtsruck ausfällt, desto mehr neigen insbesondere junge Menschen dazu, sich politisch am linken Rand zu verorten.

Es geht ihnen um die kleinen Leute

Der Vater erklärt sich das politische Engagement seines Sohnes allerdings so: „Diese Parolen, die in der Linken wiederholt werden, faszinieren ihn.“ Er findet es, geprägt durch seine Erfahrungen in der DDR, lächerlich zu glauben, eine Version des Sozialismus in Deutschland einführen zu können. „Das wird niemals funktionieren“, sagt er. In Wirklichkeit wolle doch jeder nur an der Quelle der Macht sitzen und daraus schöpfen. „Genau das war unser Problem in der DDR: Eine kleine Riege im Zentralkomitee der SED lebte wie Fürsten – wie Könige. Und das auf Kosten der Bevölkerung.“

Wie seinem Sohn geht es dem Vater also um die kleinen Leute. Nur hat der Vater den Sozialismus erlebt und wurde enttäuscht, der Sohn wuchs ohne ihn auf und verbindet mit ihm eine Hoffnung auf Verbesserung. Er sagt: „Es gibt viele kluge Menschen, die sich Gedanken darüber gemacht haben, wie eine gerechtere Gesellschaft aussehen kann – und eben nicht mit einem autoritären System wie damals.“ Der Sohn glaubt aber auch, die Linke müsse nun in einem ersten Schritt helfen, die Demokratie zu retten. Auch wenn das bedeute, mit der CDU zusammenzuarbeiten – gegen die AfD.

Junge Demonstranten stehen im Februar mit Plakaten vor dem Erfurter Hauptbahnhof und protestieren gegen die AfD.
Junge Demonstranten stehen im Februar mit Plakaten vor dem Erfurter Hauptbahnhof und protestieren gegen die AfD.dpa

Gerade das ist es, was den Vater zunehmend besorgt: eine Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition. Denn ohne echte Opposition funktioniere Politik nicht, sagt er. Als die Linke bei der Bundeskanzlerwahl einer Änderung der Geschäftsordnung zustimmte und damit einen schnellen zweiten Wahlgang für Friedrich Merz ermöglichte, bleibt für den Vater etwas anderes hängen: Merz habe sich „mit den Stimmen der Linken zum Bundeskanzler wählen lassen“. So, als habe die Linke auch für Merz gestimmt. Und deshalb sei Deutschland für ihn an einem Punkt, der ihn an 1949 erinnere – „als in der DDR alle Parteien zur Sozialistischen Einheitspartei zusammengeschlossen wurden.“

Der Vater glaubt, dass sich „in diesem Land gewaltig etwas verändert“ hat und seine Stimme nicht mehr zählt. Zugleich fühlt er sich im Privaten von seinem Sohn wie abgehängt, hat das Gefühl, seine Erfahrungen und die Sicht auf die Welt würden nicht nur ignoriert, sondern diskreditiert.

Dass sein Sohn bei der Linken ist, nimmt er nicht ernst. Er interpretiert es nicht als Ausdruck politischer Überzeugung, sondern als Resultat von jugendlichem Leichtsinn und Naivität. Er sagt: „Ich verstehe, dass junge Menschen in dem Alter auf der Suche nach ihrer Richtung, ihrer Linie auch mal Fehler machen und von dem Kurs abkommen.“ Immer wieder sagt der Vater, er habe Angst um die Zukunft seiner Kinder, die nicht mehr mit ihm reden, weil sie sich von einer Propaganda überreden ließen, die keine realistischen Antworten auf die Probleme habe.

Sie wünschen sich einen respektvollen Umgang

Der Sohn wiederum leidet unter dieser Bevormundung des Vaters und sagt: „Er hat mich ausgelacht, wenn ich am Telefon gesagt habe, dass ich zu Parteitreffen gehe. Als mein Vater mich dann wieder belehren wollte, dass die Linke doch nur ein Affenhaufen sei, habe ich ihm gesagt, dass er aufhören soll und wir lieber das Thema wechseln. Aber er hat immer weitergemacht, und dann war für mich eine Grenze erreicht, an der ich aufgelegt habe.“

Vater und Sohn sagen beide, immer noch, dass sie sich einen respektvollen Umgang wünschen, einen, bei dem zugehört und versucht wird, sich gegenseitig zu verstehen. Beide erzählen, dass sie das, was der andere gesagt hat, auch mal nachgoogeln. Bisher hat dies allerdings nichts an ihrer Realitätsauffassung geändert.

Trotzdem: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt der Sohn. „Mein Vater ist eine wichtige Person in meinem Leben, und früher war er mit seiner interessierten, handwerklichen Art lange ein Vorbild für mich.“ Auch der Vater wünscht sich eigentlich, im Kontakt mit seinem Sohn zu bleiben: „Wenn ich an den Kontaktabbruch denke, geht es mir sehr schlecht.“

Er möchte seinen Sohn beschützen. „Die Fehler, die wir früher gemacht haben, muss mein Sohn doch nicht wiederholen.“ Und da ist es wieder, das, was der Sohn nicht hören will. Die Zeiten, sagt er, hätten sich geändert.