Viele junge Menschen in Deutschland wollen nach der Schule lieber gleich arbeiten und Geld verdienen als eine Berufsausbildung zu machen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Erhebung der Bertelsmann-Stiftung. „Für mehr als ein Viertel aller befragten jungen Menschen im Alter von 14 bis 25 Jahren ist der Wunsch, direkt zu arbeiten, ein wichtiger Grund, der gegen die Aufnahme einer Ausbildung spricht“, teilte die Stiftung am Mittwoch mit. Sie stützt sich auf eine Befragung von rund 1750 Menschen dieser Altersgruppe, deren Ergebnisse in dem Report „Ausbildungsperspektiven 2025“ zusammengefasst sind.
Als Erklärungen führt der Report „vor allem die mangelnde Ausbildungsvergütung und die unzureichende berufliche Orientierung und Vorbereitung“ an. Der Erhebung zufolge bewerteten 48 Prozent der Befragten die Vergütungen für Auszubildende als zu gering. 26 Prozent äußerten explizit, dass sie „lieber gleich arbeiten“ und dafür auf Lehre oder Studium verzichten wollten. Zugleich gaben 43 Prozent an, sich nicht gut auf den Bewerbungsprozess vorbereitet zu fühlen.
Mehr junge Menschen haben keinen Berufsabschluss
Die Autoren des Reports bewerten es als „besorgniserregend“, dass so viele junge Menschen lieber ohne Ausbildung ins Erwerbsleben starten. Sie weisen darauf hin, dass hierzulande ein ohnehin schon steigender Anteil in der Altersgruppe von 20 bis 34 Jahren keinen Berufsabschluss habe. Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) waren dies zuletzt 2,86 Millionen Personen oder 19,1 Prozent der Altersgruppe. Diese im jüngsten Datenreport des Instituts veröffentlichten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2022. Für 2021 hatte es einen Anteil von 17,6 Prozent ermittelt.
Außerdem weist die Bundesagentur für Arbeit regelmäßig auf die besonders hohe Arbeitslosigkeit unter Menschen ohne Berufsabschluss hin. Ihrer Statistik zufolge hat mehr als die Hälfte der knapp drei Millionen Arbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung. Die Arbeitslosenquote von Menschen ohne Berufsabschluss liegt mit 20 Prozent im Westen und 30 Prozent im Osten annähernd viermal so hoch wie die Arbeitslosenquote insgesamt.
Mindestlohn fällt höher aus als manches Ausbildungsgehalt – und setzt falsche Anreize
Die Bertelsmann-Stiftung liefert dazu zwei Ratschläge: Zum einen sei es wichtig, „die jungen Menschen frühzeitig auf die Risiken hinzuweisen, die entstehen, wenn sie langfristig keine berufliche Qualifikation erwerben“. Zum anderen brauchten sie mehr individuelle Unterstützung am Übergang von der Schule zur Ausbildung.
Einen anderen Aspekt, auf den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände hinweisen, erörtert der Bertelsmann-Report hingegen nicht: den Einfluss des gesetzlichen Mindestlohns auf die Entscheidung junger Menschen an der Schwelle zum Erwerbsleben. „Der wachsende Abstand des Mindestlohns zu den Ausbildungsvergütungen, die ihrerseits auch durchaus dynamisch gewachsen sind, entfaltet eine falsche Lenkungswirkung“, warnte Stefan Küpper, Bildungsfachmann und Hauptgeschäftsführungsmitglied der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW). „Für viele junge Menschen steigt dadurch das langfristige Beschäftigungs- und Einkommensrisiko, denn ohne Berufsausbildung sind die Karrierechancen deutlich eingeschränkt.“ An der Spitze der UBW steht Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger.
Wie das BIBB ausweist, lagen die tariflichen Ausbildungsvergütungen 2023 bei monatlich 1066 Euro im Durchschnitt über alle Berufe und Lehrjahre hinweg. Die vereinbarten Vergütungen für Anfänger im ersten Lehrjahr bewegten sich demnach um 934 Euro. Hingegen konnte man 2023 mit Hilfsarbeiten zum Mindestlohn, damals 12 Euro, bei einer 40-Stunden-Woche knapp 2100 Euro erzielen. Außerdem ist es so: Die durchschnittliche Einstiegsvergütung für Auszubildende ist laut BIBB von 2020 bis 2023 um insgesamt 13 Prozent gestiegen, etwas stärker als das allgemeine Lohnniveau. Der gesetzliche Mindestlohn wurde in diesem Zeitraum allerdings sogar um 28 Prozent erhöht.
Gegen Warnungen vor solchen negativen Einflüssen auf die Ausbildungsbereitschaft wird oft eingewandt, dass Jugendliche unter 18 Jahren gar keinen Anspruch auf den Mindestlohn hätten. Wer gerade erst die Haupt- oder Realschule verlässt, bekomme daher gar nicht den Mindeststundensatz. Im Alltag zieht der Mindestlohn allerdings erfahrungsgemäß auch das Lohnniveau solcher Stellen nach oben, für die er formal nicht zwingend gilt. Außerdem entscheiden sich nicht wenige Jugendliche tatsächlich erst mit 20 Jahren für ihren Berufs- oder Ausbildungsweg, wie die Statistik zeigt. Die schwarz-rote Regierung von 2015 hatte die Mindestlohnausnahme für Jugendliche ins Gesetz aufgenommen, da sie schon bei 8,50 Euro Mindestlohn befürchtete, dass dieser Jugendliche in Hilfsjobs locken könnte.