Nationalspielerin Alisha Lehmann ist ein Phänomen. Ihre Doppelrolle nimmt sie jedoch nicht an und polarisiert damit.
Aus Zürich berichtet Kim Steinke
Etwas mehr als 81 Minuten waren bereits gespielt worden, als auf der Anzeigetafel an der Seitenlinie eine rote 19 und eine grüne 23 aufleuchteten. Die Schweizer Nationaltrainerin Pia Sundhage wollte wechseln. Beim Stand von 0:1 stand der EM-Gastgeber im Stadion von Genf gegen Finnland vor dem Aus. Ein Tor fehlte, um das Viertelfinale zu erreichen. Also entschied sich Sundhage für einen weiteren Impuls. Neben den Augen der rund 30.000 Zuschauer im Stadion war auch bei Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden, Smartphone-Kameras auf der Tribüne der Fokus auf die Seitenlinie. Denn die Rückennummer 23 gehört Alisha Lehmann.
Lehmann ist der bekannteste Name des Teams. Nicht, weil sie sich sportlich von allen abhebt, sondern weil sie ein internationaler Star ist. Mit mehr als 16 Millionen Followern auf Instagram und 12 Millionen auf TikTok ist sie auf gleich zwei Bühnen präsent: der sportlichen und der digitalen.
Deshalb scheiden sich bei ihr auch die Geister. Alisha Lehmann polarisiert, eben weil sie mehr ist als nur eine Fußballerin. Kritiker stören sich an ihrem zweiten Standbein, behaupten, der Fußball sei ihr weniger wichtig als Social Media. Sie selbst weist die Kritik von sich, will allein an ihrer sportlichen Leistung gemessen werden. Doch das fällt vielen angesichts ihrer Internetpräsenz gar nicht leicht.
Hat sie sich so selbst Steine in den Weg gelegt?
Sieben Jahre sind vergangen, seit Lehmanns Internetkarriere gestartet ist. Sie lud damals ein Video mit ihrer damaligen Partnerin und Profispielerin Ramona Bachmann hoch. Sie spielten Fußball im Bikini. Der Schweizer Sportjournalist Nils Hänggi (“20 Minuten”) erinnert sich: “Das Video ging viral – und hat sie (Lehmann, Anm. d. Red.) berühmt gemacht.” Inzwischen ist der Beitrag gelöscht.
2020 knackte Lehmann die Eine-Millionen-Marke auf Instagram. Seither wächst die Anzahl an Followern stetig weiter. Lehmann teilt auf ihrem Profil Fotos von ihren Fußballspielen, präsentiert ihre Outfits und wirbt für Bikinis und Getränke. Ihre digitale Reichweite nutzt sie aber nicht nur zur Selbstinszenierung, sondern auch als Plattform, um für mehr Sichtbarkeit im Frauenfußball zu werben. Nils Hänggi erklärt: “Sie sieht sich nur als Fußballerin.” Sie ist Botschafterin und Stimme einer neuen Generation. Doch nicht allen gefällt das. Gerade in ihrer Heimat.
Video | Fußballstar Alisha Lehmann: So sah sie früher aus
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Gemeckert wird vor allem über ihr Aussehen, sie gilt als “künstlich” und “zu viel”. Hänggi ordnet ein: “Die Hater kritisieren ihre Schminke, ihre langen Fingernägel und dass sie in den sozialen Netzwerken so viele Follower hat”, erklärt er. “Sie sehen Lehmann nicht als Fußballerin.”
Sie selbst ist das gewohnt. Im Podcast ihres Klubs Juventus Turin sagte sie vor wenigen Wochen: “Die Leute kritisieren mich ständig. Aber das interessiert mich nicht. Wenn meine Mutter mir sagt, dass etwas nicht gut ist, nehme ich das ernst. Aber was alle anderen denken? Verstehe ich oft nicht.” Stören lässt sie sich davon nicht. “Manchmal genieße ich es, wenn sie (ihre Kritiker, Anm. d. Red.) wütend sind. Dann trage ich mehr Lippenstift auf, weil sie gesagt haben, dass es ihnen nicht gefällt. Jetzt ist es ihre Schuld. Je mehr ihr sagt, desto mehr Lippenstift.” Eine selbstbewusste Einstellung, die den Ärger um sie aber auch nicht unbedingt beruhigt. Dem ist sich Lehmann bewusst.