Ende 2026 sollen erste Züge fahren

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Die Bahnprojektgesellschaft, die das Milliardenprojekt Stuttgart 21 verantwortet, und die Stadt Stuttgart, die auf dem frei werdenden Gleisvorfeld des alten Kopfbahnhofs einen neuen Stadtteil bauen will, bedienten sich vor ein paar Tagen eines alten Tricks: Sie verkündeten gute Nachrichten, bevor sie eine abermalige schlechte Nachricht über das angeblich am besten geplante Bahnprojekt Deutschlands verbreiten mussten. Einer von vier gläsernen Eingängen zum neuen Durchgangsbahnhof ist schon begehbar und nachts wunderbar blau illuminiert. Und der Gemeinderat verabschiedete für ein Teilgebiet des neuen Stadtteils einen Beschluss zur Vorbereitung des Bebauungsplans.

Die schlechten Nachrichten verkündete die Bahn mit ihren Projektpartnern am frühen Freitagabend nach einer Sitzung des Lenkungskreises zur Steuerung des elf Milliarden Euro teuren Bahnprojekts: Eine vollumfängliche Eröffnung und Inbetriebnahme des neuen Bahnknotens wird es im Dezember 2026 nicht geben. Geplant ist eine „gestaffelte Inbetriebnahme“. Ursprünglich war die Inbetriebnahme für den Herbst 2024 vorgesehen.

Die Bahn will nun von Ende 2026 an Fernzüge und ICEs durch den neuen Tiefbahnhof fahren lassen und mit der neuen digitalen Technik abfertigen. Doch für Fernzüge in Richtung Bodensee und Schweiz auf der Gäubahn klappt das noch nicht. Zu dem Kompromiss, den ei­ne eigens eingesetzte Arbeitsgruppe erarbeitete, gehört auch, dass Regionalzüge – etwa aus Aalen oder Schwäbisch Gmünd – den alten Kopfbahnhof bis Ende 2027 noch weiter benutzen müssen. Die Räumung des Gleisvorfelds und der Baubeginn des wegen des Wohnungsmangels dringend benötigten Stadtquartiers könnten sich also noch einmal verzögern. Mit der „gestaffelten Eröffnung“ will die Bahn zu große Belastungen für die Fahrgäste und „überlagernde Streckensperrungen“ vermeiden. Stuttgart 21 stehe für die Verkehrswende im Südwesten, sagte Berthold Huber, der Infrastrukturvorstand der Bahn. Aber man müsse den Fahrgästen „noch einmal einige Unannehmlichkeiten zumuten“.

100 Prozent Fernverkehr bis Ende 2026

Im Grunde hat die Bahn die Inbetriebnahme noch einmal völlig neu geplant. Eine vollständige Verschiebung sollte aus Kostengründen ebenso vermieden werden wie hohe Zusatzkosten für Schienenersatzverkehr. Natürlich sollte auch verhindert werden, dass nach mehr als ei­nem Jahrzehnt des Ärgers noch einmal eine Wutwelle auf das Unternehmen zurollt. Was jetzt geplant sei, heißt es im Lenkungskreis, sei „anstrengend, aber beherrschbar“. Ende 2026 soll der Fernverkehr zu hundert Prozent im neuen Bahnhof abgefertigt werden, der Regionalverkehr aber nur zu etwa 50 Prozent. Züge, für die Stuttgart der Endbahnhof ist, fahren vorerst nicht in den Durchgangsbahnhof ein.

Mit einer vergleichbaren Umstellung eines Bahnknotens haben Manager und Ingenieure auch im europäischen Raum überhaupt keine Erfahrungen. Denn es geht nicht nur darum, auf dem unterir­dischen Hallenbahnhof des Architekten Christoph Ingenhoven ein rotes Band zu durchschneiden: In Dienst gestellt wird ein technisch und logistisch hochkomplexer, technologisch neuartiger Bahnknoten. Die Hauptachse des Bahnhofs wird um 90 Prozent gedreht, Tunnel müssen freigegeben werden, die neue digitale Steuerungs- und Stellwerkstechnik ETCS muss auf den Gleisen, in den Stellwerken und auf den Führerständen der Züge funktionieren.

Es geht nicht nur um den Tiefbahnhof

In Betrieb genommen werden in sechs Stufen vom Februar 2026 bis November 2027 nicht nur der Durchgangsbahnhof, sondern auch der ICE-Bahnhof am Flughafen, die großen Tunnelbauwerke, die dann digitalisierte S-Bahn-Stammstrecke und der für den reibungslosen Betrieb wichtige Abstellbahnhof in Untertürkheim. Die Bahn will mindestens in den ersten zwölf Monaten der Umstellung ihr Personal verdoppeln. Über die Kosten des logistischen Großvorhabens schweigt die Projektgesellschaft. Man werde den Kostenrahmen einhalten können, heißt es.

Auch wenn die Bahn unermüdlich beteuert, es gehe ihr darum, den Abschluss der Arbeiten „fahrgastfreundlicher“ zu gestalten, wird es 2026 und 2027 wieder zu erheblichen Behinderungen des S-Bahn- und Bahnbetriebs im Großraum Stuttgart kommen: Im nächsten Sommer wird die S-Bahnstrecke zwischen Untertürkheim und Bad Cannstatt gesperrt; im Frühjahr 2027 werden die Strecken zwischen Filderstadt und Stuttgart sowie zwischen Böblingen und Stuttgart für etwa vier Wochen gesperrt. Ebenfalls im Frühjahr 2027 muss die S-Bahn-Strecke zwischen Stuttgart-Vaihingen und dem neuen Hauptbahnhof für zwölf Wochen unterbrochen werden, und im Bahnhof Bad Cannstatt werden mehrere Gleise für den Regional- und S-Bahnverkehr gesperrt.

Die Reaktionen auf das neue Konzept sind verhalten: Der Stuttgarter Ober­bürgermeister Frank Nopper (CDU) sagte, der Weg bis zur Inbetriebnahme werde „steinig und beschwerlich“, er wäre aber noch schwieriger, wenn die Bahn bei ih­ren ursprünglichen Plänen geblieben wäre. Immerhin bekomme die Stadt „einen der architektonisch schönsten Bahnhöfe der Welt“ und mit dem Flughafen-Fernbahnhof eine der „attraktivsten Verkehrsdrehscheiben“ Deutschlands.

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sagte über die ursprünglichen Planungen: „Für das letzte Baujahr drohte ein monatelanger Stillstand im Knoten Stuttgart. Die Berufspendlerinnen und -pendler können nicht über Monate einfach zu Hause bleiben oder das Auto nutzen. Vieles war zu kurzfristig, zu durcheinander – und das auf Kosten der Fahrgäste.“ Die Bahn habe nun die Kritik aufgenommen und gehandelt. „Fertig ist das Ganze erst, wenn es funktioniert.“