Wie China im KI-Rennen aufholt

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Ein neuer KI-Computer aus China übertrifft das Pendant des amerikanischen Marktführers. Die Chinesen finden immer wieder Wege, die US-Exportbeschränkungen auszuhebeln.

Wenn es wirklich ernst wird, legt der Nvidia-CEO Jensen Huang die schwarze Lederjacke ab. Der amerikanische Unternehmer hat in den letzten Monaten intensiv für eine Lockerung der Exportbeschränkungen der USA geworben – mit Erfolg, wie sich jetzt zeigt.

Wenn es wirklich ernst wird, legt der Nvidia-CEO Jensen Huang die schwarze Lederjacke ab. Der amerikanische Unternehmer hat in den letzten Monaten intensiv für eine Lockerung der Exportbeschränkungen der USA geworben – mit Erfolg, wie sich jetzt zeigt.

Ali Haider / EPA

An Tech-Konferenzen, im TV-Interview, selbst auf dem Cover des «Time Magazine» – überall trägt Jensen Huang die schwarze Lederjacke. Sie unterstreicht sein Image als coolster CEO im Silicon Valley. Als Gründer und CEO von Chip-Designer Nvidia, dem erfolgreichsten Unternehmen der KI-Ära, darf sich Huang wohl eine Portion Extravaganz erlauben.

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Doch als er Mitte April in Peking und Schanghai chinesische Politiker und Unternehmer traf, war sein Markenzeichen nirgends zu sehen. Stattdessen erschien Huang in Anzug und Krawatte. Der Ernst des Anlasses diktierte die Kleiderwahl.

Huang war zu einem heiklen Zeitpunkt nach China gekommen. Am Vortag hatte die amerikanische Regierung den Export von Nvidia-Produkten nach China auf unbestimmte Zeit de facto verboten. Selbst das Modell H20, eine stark gedrosselte Version der besten Nvidia-Chips, könnte fortan nur noch mit einer Sonderlizenz in China verkauft werden. Huang wollte mit seinem Besuch offenbar die Chinesen beruhigen: Nvidia würde den chinesischen Markt nicht so schnell aufgeben.

Festhalten am chinesischen Markt

Es war die Fortsetzung des seit 2018 anhaltenden Tech-Kriegs zwischen den beiden Grossmächten. Und der Nvidia-Chef Huang fürchtete nun, das milliardenschwere China-Geschäft endgültig an aufstrebende einheimische Firmen zu verlieren. In den Folgemonaten lobbyierte Huang bei der amerikanischen Regierung mit einer eindringlichen Botschaft: Wenn sich amerikanische Tech-Firmen aus China zurückzögen, werde das die chinesische Konkurrenz zu noch mehr eigener Innovation zwingen. Damit setze man die technologische Vormachtstellung Amerikas aufs Spiel.

Nvidia dominiert den globalen Markt für Grafikprozessoren (GPU) praktisch konkurrenzlos. Und GPU sind für das Entwickeln und Nutzen von KI-Modellen unerlässlich. Das erklärt den Aufstieg des Unternehmens zur wertvollsten Firma der Welt – mit einem noch nie zuvor erreichten Börsenwert von mehr als vier Billionen Dollar.

Mit seinen Argumenten hat sich der Nvidia-Chef offenbar Gehör verschafft. Die amerikanische Regierung habe Nvidia zugesichert, die Lizenzen für den Export der H20-Chips nach China auszustellen, teilte das Unternehmen am Montag mit.

Huawei hat mit einem neuen Computer Nvidia überholt

In China, dem zweitgrössten Markt für KI-Computer, sei Nvidias Marktanteil über die vergangenen vier Jahre von 95 auf 50 Prozent eingebrochen, sagte Huang im April. Daran schuld seien die Exportbeschränkungen der amerikanischen Regierung. Diese verfolgen zwar das Ziel, Chinas Regime vom Zugang zu westlicher Spitzentechnologie auszuschliessen. Für Washington geht es also um die nationale Sicherheit. Gleichzeitig aber, so Huang, schufen die Exportverbote eine Lücke, die chinesische Firmen vermehrt ausfüllten.

Der Nvidia-Chef hatte Grund zur Sorge. Praktisch zeitgleich mit der Verschärfung der amerikanischen Exportregeln präsentierte der chinesische Technologiekonzern Huawei einen neuen KI-Computer namens Cloud Matrix 384, der schneller rechnet als der beste Nvidia-Server.

Die Rechenleistung, also die Anzahl Operationen pro Sekunde, ist das wichtigste Mass im Rennen um den besten KI-Computer. Und der chinesische Rechner führt fast doppelt so viele Berechnungen pro Sekunde aus wie Nvidias bisheriger Computer namens GB200 NVL72. Huawei schafft das, obwohl seine Prozessoren im Einzelnen langsamer rechnen als jene von Nvidia. Die Schwäche seiner Chips macht Huawei wett, indem es seine Stärken als Telekomfirma – konkret: sein Know-how im Bereich Glasfaserleitungen – ausspielt.

Glasfaserkabel statt Kupferleitungen

Im Cloud Matrix 384 rechnen 384 «Ascend»-Prozessoren von Huawei gleichzeitig. Das sind mehr als fünfmal so viele Prozessoren wie beim Nvidia-Pendant. Rechnen so viel mehr Prozessoren gleichzeitig, sollte der Computer schneller werden. Das gilt aber nur, wenn die Prozessoren mit minimaler Verzögerung untereinander kommunizieren. Und genau das ist Huawei gelungen.

Anstatt Kupferkabel setzt Huawei in seinem neuen KI-Computer durchwegs Glasfaserleitungen ein. In diesen übermittelt Licht statt Elektronik die digitale Information. Das beschleunigt den Datenaustausch erheblich.

Glasfaserkabel sind aber auch deutlich teurer als jene aus Kupfer. In Rechenzentren werden sie deshalb nur spärlich verwendet. Nvidia teste zurzeit erst einen Prototyp eines KI-Computers, in dem sämtliche Leitungen aus Glasfasern bestünden, sagt Stefan Schmid. Er ist Professor an der Technischen Universität Berlin und forscht unter anderem an optischen Netzwerk-Schaltern, die in künftigen Rechenzentren zum breiten Einsatz kommen könnten. Dass Huawei Glasfaser bereits in einem kommerziellen Server so umfangreich einsetzt, hält Schmid für «sehr innovativ».

Der Huawei-Server schlägt das Konkurrenzprodukt von Nvidia auch in Sachen Arbeitsspeicher. Dieser ist mindestens so wichtig wie die Rechenleistung. Für das Trainieren und Nutzen eines KI-Modells sind nämlich Abermilliarden von Rechenoperationen notwendig. Deren Zwischenergebnisse müssen nach jedem Rechenschritt im Arbeitsspeicher abgelegt werden, wo sie für den nächsten Rechenschritt zur Verfügung stehen. Deshalb ist es entscheidend, wie gross der Speicher ist und wie schnell sich Daten mit ihm austauschen lassen.

Die höhere Rechenleistung hat allerdings einen Preis. Der Huawei-Computer verbraucht etwa viermal so viel Strom wie jener von Nvidia. Doch für China, wo Energie im Überfluss vorhanden sei, spiele dieser Umstand kaum eine Rolle, schreibt die amerikanische Beratungsfirma Semianalysis in einem Bericht.

Hat Nvidia den chinesischen Markt endgültig verloren?

Hat Huawei nun die Nvidia-Dominanz bei KI-Computern gebrochen? Oder gibt die Lockerung der Exportbeschränkungen Nvidia eine Chance, in China wieder zu wachsen?

Lennart Heim forscht zu Technologie und internationaler Sicherheit bei der amerikanischen Denkfabrik Rand. Er bezweifelt, dass Huawei mit dem neuen Computer die chinesischen KI-Entwickler langfristig für sich gewinnen kann. Diese würden nach wie vor Nvidia-Produkte vorziehen – nicht zuletzt wegen der mit Nvidias Computern mitgelieferten leistungsfähigeren Software.

Allerdings investiere Huawei auch stark in die Verbesserung seiner eigenen Software – und diese komme bei den KI-Ingenieuren immer besser an, sagt der KI-Forscher Jonas Geiping vom Max-Planck-Institut für intelligente Systeme in Tübingen. Die Software sei wichtig, denn sie bestimme, wie viel von der Rechenleistung der Chips in der Praxis abgerufen werden könne. Huawei hat kürzlich gezeigt, dass seine Chips beim Trainieren eines grossen KI-Sprachmodells 30 Prozent der maximalen Rechenleistung abrufen. Das ist laut Geiping noch kein Spitzenwert, aber «gut genug» für diese Anwendung.

Lennart Heim sieht jedoch weitere Hürden für Huawei. Er weist darauf hin, dass die Chips in Huaweis neuem Computer zum grossen Teil in Taiwan von der Firma TSMC illegal gefertigt worden seien. Mit solchen Lieferungen dürfe Huawei in Zukunft aber wohl kaum rechnen. Denn für seine Umgehung der amerikanischen Exportbeschränkungen droht TSMC nun eine Busse in Höhe von mindestens einer Milliarde Dollar. Die Regierung Taiwans reagierte ebenfalls auf den steigenden politischen Druck aus Washington und setzte Huawei und den chinesischen Chiphersteller SMIC Mitte Juni auf eine schwarze Liste verbannter Abnehmer von TSMC-Chips.

China findet immer wieder Umwege

Ohne die Chips von TSMC und ohne die besten Nvidia-Chips wird es für Huawei laut Heim sehr schwierig sein, weiterhin konkurrenzfähige KI-Computer zu bauen. Und die besten Nvidia-Chips sind auch nach der neuesten Lockerung der Exportbeschränkungen in China nach wie vor verboten.

Allerdings ist es fraglich, ob die Exportbeschränkungen sich in der Praxis umsetzen lassen. Chinesische Unternehmen haben es bisher mittels eigener Briefkastenfirmen und undurchsichtiger Partnerschaften im benachbarten Ausland geschafft, die leistungsstärksten amerikanischen Chips nach China zu schmuggeln. Um auch diesen Weg zu versperren, fordern amerikanische Parlamentarier im Senat und im Repräsentantenhaus, diese Top-Prozessoren mit Ortungsgeräten auszustatten. Firmen wie Nvidia müssten es dann der Regierung melden, wenn ihre Chips nach China gelangen.

Doch auch diese Massnahme lässt Schlupflöcher offen. Einerseits können die Chinesen die amerikanischen Prozessoren über die Cloud nutzen. Und das tun sie offenbar vermehrt, wie der schnelle Zuwachs an KI-Rechenzentren in Ländern wie Malaysia erahnen lässt, wo keine nennenswerten KI-Firmen beheimatet sind.

Und wenn auch der Cloud-Zugriff schärfer kontrolliert wird, reisen die Mitarbeiter chinesischer Firmen einfach in Nachbarländer, trainieren dort ihre KI-Modelle und fliegen sie in Koffern voller Festplatten nach China ein, wie ein Bericht im «Wall Street Journal» kürzlich schilderte.

Solche Tricks zeigen: China ist zu allem bereit, um im KI-Wettlauf mitzuhalten. Und wie der neuste Computer von Huawei zeigt, haben chinesische Unternehmen auch noch Innovationen anzubieten. Amerikanische Firmen haben zwar noch einen Vorsprung im KI-Rennen. Bei den einzelnen KI-Chips sind sie den chinesischen Mitbewerbern klar voraus. Aber das hindert Firmen wie Huawei nicht daran, durch bessere Vernetzung der Chips schnellere KI-Computer herzustellen.

Die Konkurrenz, die Nvidia in China erwächst, nimmt Jensen Huang jedenfalls ernst. Im Interview mit Bloomberg sagte er Ende Mai, Huawei insbesondere sei «ein formidables Technologieunternehmen». Aus dem Englischen übersetzt, lässt das Wort «formidable» mehrere Bedeutungen zu – von «beachtlich» bis «furchterregend».