Richard Lutz unter Druck: Bahn-Chef auf Abruf

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Es sind nur noch wenige Tage für Richard Lutz. Dann schaut wieder ganz Deutschland auf den Bahn-Chef. Am 31. Juli wird er die Halbjahreszahlen des finanziell angeschlagenen DB-Konzerns präsentieren – in einer für ihn äußerst brenzligen Situation. Er muss endlich erste Zeichen einer Wende zum Besseren geben, sonst ist er seinen Job vielleicht schon bald los.

Seit der Koalitionsvertrag unterschrieben wurde, tobt eine Debatte um seine Zukunft. Ein Satz aus dem Papier hat alles ausgelöst: Es solle eine „Neuaufstellung von Aufsichtsrat und Vorstand erfolgen, mit dem Ziel, mehr Fachkompetenz abzubilden und eine Verschlankung zu erreichen“, heißt es dort. Es ist ungewöhnlich, dass solche personellen Veränderungen in einem Koalitionsvertrag auftauchen, und das macht die Forderung noch brisanter. Sie ist plausibel. Denn die Bahn ist nicht nur historisch unpünktlich, sondern sie macht seit einigen Jahren auch keinen Gewinn mehr, die Schulden sind immens. Die Verantwortung dafür trägt letztlich der Chef. Der heißt seit acht Jahren Richard Lutz.

Besseres erstes Halbjahr

Deswegen sind die Halbjahreszahlen so wichtig für ihn. Im ersten Quartal waren die Finanzzahlen mies: Fern- und Güterverkehr lagen im Minus, der Regionalverkehr warf Gewinn ab. Und die Pünktlichkeit wurde noch schlechter. Jetzt verbreitet Lutz Optimismus: „Bei der Wirtschaftlichkeit kamen wir im ersten Halbjahr besser als erwartet voran, weil wir die Kosten in den Griff bekommen haben“, sagte er gegenüber der F.A.S. Und mit der Infrastruktur geht es offenbar auch besser voran als erwartet. Die Zahl der Langsamfahrstellen sei schneller als geplant gesunken, mehr Stellwerke als vorgesehen seien modernisiert worden, heißt es von der Bahn.

Das klingt erst mal ganz ordentlich. Und doch: Am Ende wird Richard Lutz Verluste bei fast allen Tochtergesellschaften und dem Gesamtkonzern vermelden müssen. Von Pünktlichkeit kann keine Rede mehr sein. Die Werte waren schon desaströs und werden noch schlimmer. Im Juni kamen im Fernverkehr nur 57 Prozent der Züge rechtzeitig an – noch weniger als in den sowieso schon bescheidenen Zielen. Das muss Richard Lutz einräumen. „Die Pünktlichkeit ist nicht akzeptabel.“

Weniger Vorstände, mehr externe Aufsichtsräte

Einen Stimmungsumschwung dürfte Lutz also mit den neuen Geschäftszahlen nicht auslösen. Er wird weiter im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Das kann er selbst auch nicht mehr leugnen. „Von der Debatte um meine Person lasse ich mich nicht ablenken, ich habe eine Aufgabe, darauf lenke ich meine volle Aufmerksamkeit“, sagt Lutz der F.A.S. nüchtern. Was soll er auch anderes sagen.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


In der ganzen Führung der Bahn stehen größere Veränderungen an. Im Gespräch ist auch, ob es weniger Vorstände geben soll und ob im Aufsichtsrat künftig weniger Ministerialbeamte sitzen sollen, dafür mehr Aufseher aus privaten Unternehmen. Bisher sind drei Unternehmensberater die einzigen nicht-staatlichen Eigentümervertreter in dem 20 Mitglieder zählenden Gremium.

Strategiepapier zur Bahn Ende August

Ende August will Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) seine Pläne für die Bahn vorstellen. Wenn die Strategie im Groben feststeht, will er eine personelle Neuordnung angehen. Lutz’ aktueller Vertrag läuft bis 2027 – es hängt jetzt vom Tempo des Verkehrsministers ab, ob Lutz noch so lange bleibt.

Entscheidend wird sein, wie Schnieder die Bahn künftig aufstellen will. Die Union will den Konzern in zwei Teile zerlegen: einen Teil für den Betrieb der Züge und einen anderen Teil, möglichst unabhängig, der das Schienennetz betreibt und saniert, die heutige InfraGo. Bisher sind die Teile unter dem Konzerndach integriert. Kritiker behaupten, diese Struktur habe intransparente Finanzströme zur Folge, Verlustbringer würden im Konzern indirekt mit dem öffentlichen Geld subventioniert, das eigentlich für die Infrastruktur vorgesehen ist. So würden die Milliarden aus dem neuen Sondervermögen nicht vollständig in die Sanierung und den Ausbau des Netzes fließen. Schnieder sagt dazu nur: „Das Geld, das wir in die Schiene investieren wollen, soll auch dort ankommen, wo es gebraucht wird.“

Wieviel Unabhängigkeit soll die Netzsparte bekommen?

Eine solche Teilung des Konzerns will auch die Monopolkommission und Forderungen des Bundesrechnungshofs laufen darauf hinaus. Sogar die Lokführer-Gewerkschaft GDL ist dafür. Die größte Bahngewerkschaft hingegen, die EVG, fordert den Erhalt des integrierten Konzerns, aus Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen. Auch die gewerkschaftsnahe SPD ist gegen die Zerschlagung. Der Kompromiss im Koalitionsvertrag ist nun etwas mehr Autonomie für die Netzsparte.

Für Lutz’ Zukunft wird wichtig sein, wie viel Unabhängigkeit Schnieder der Netzsparte einräumen will. Denn auch der Bahn-Chef will keine Zerschlagung. „Erfolgreiche Bahnen wie in der Schweiz, Österreich und Japan sind alles integrierte Konzerne“, wirbt er. Für eine große Reform wäre Lutz der Falsche.

Lutz ist kein Sanierer

Kritiker bezweifeln allerdings auch, ob er selbst ohne große Veränderungen der geeignete Chef ist, um den Konzern wieder in Schuss zu bringen. Die CDU forderte ihn schon im vergangenen Jahr nach dem Verspätungschaos während der Europameisterschaft zum Rücktritt auf. Die ewig rebellierende GDL wünscht sich auch jetzt einen neuen Bahn-Chef. „Ich habe menschlich kein Problem mit ihm, er ist fair im Umgang und gerade als Finanzer gut im Thema. Aber er ist kein Bahn-Vorstand, den wir für die aktuelle Situation dringend brauchen, kein Sanierer, er hat in der Vergangenheit die Bahn maßgeblich dorthin gebracht, wo sie heute steht, er sollte abgelöst werden“, sagt GDL-Vorsitzender Mario Reiß.

In der Tat ist der promovierte Di­plom-Kaufmann Lutz vor allem ein Zahlenmensch, er leitete erst das Konzerncontrolling unter dem allzu selbstbewussten Hartmut Mehdorn und wurde dann Finanzvorstand. Er ist allerdings auch der erste Vorsitzende der Deutschen Bahn, der intern aufgestiegen ist. Er ist seit 1994 bei der Bahn und Sohn einer Eisenbahnerfamilie aus Rheinland-Pfalz. Als begeisterter Schachspieler, der einmal in der zweiten Bundesliga aktiv war, weiß er ein paar Züge im Voraus zu denken.

„Schwerwiegende Management-Fehler“

Beobachter kritisieren an Lutz unter anderem, dass untere Ebenen zu wenig Eigenverantwortung bekommen, dass er zu spät ein Sanierungsprogramm aufgelegt hat und an der falschen Stelle Personal abbaut, nämlich im täglichen Betrieb und nicht nur in der Verwaltung und im Vertrieb wie eigentlich vorgesehen. Die Gewerkschaft EVG hält das Sanierungsprogramm im Konzern sogar für puren Aktionismus: „Es dient dem Hinwegtäuschen über eigene schwerwiegende Management-Fehler durch inkonsequentes, nicht nachhaltiges und der Politik gegenüber willfähriges Verhalten“, heißt es in einem Brief der EVG an den Bahn-Vorstand. „Die Beschäftigten erwarten von einem Vorstand: dem Eigentümer fachlich fundiert und unmissverständlich darzulegen, was machbar ist und was nicht – unabhängig von den möglichen Auswirkungen auf die eigene berufliche Laufbahn.“

Die Kritik, Lutz trete zu vorsichtig gegenüber dem Bund als Bahn-Eigentümer auf, wird an mehreren Stellen geäußert. Das räumt er sogar selbst ein: „Ich hätte vor ein paar Jahren deutlicher machen müssen, dass die Haushaltsmittel für die Schiene nicht ausreichen, um alles zu machen, was notwendig ist.“ Das will er jetzt ändern. Denn auch jetzt zeichnet sich ab, dass trotz Sondervermögens in ein paar Jahren für die Bahn zu wenig Geld da sein wird. „Die jetzt geplanten Mittel für die Bahn sind ein ordentlicher Zuwachs. Bis 2026 sind wir damit auskömmlich finanziert. Ab 2027 fehlt dann aber Geld. Ich werde in den laufenden Haushaltsberatungen darum kämpfen, dass die Mittel ab 2027 noch aufgestockt werden.“ Das Geld würde sonst nur für die Sanierung reichen, nicht aber für den Neubau von Strecken, heißt es.

Schuld hat die Infrastruktur, behauptet Lutz

Dass auch die Strukturen im Konzern zu den Verspätungen beitragen, wie Kritiker monieren, das streitet Lutz weitgehend ab. Mindestens 80 Prozent der Unpünktlichkeit seien auf die Infrastrukturprobleme zurückzuführen. „Auf einem Kartoffelacker kann man nicht gut Fußball spielen“, bringt er es auf den Punkt.

Aus dem Aufsichtsrat gibt es derzeit keine Stimmen, die öffentlich seine Ablösung fordern. Unterstützen will ihn aber auch niemand. Aufsichtsratsvorsitzender Werner Gatzer will sich nicht äußern, sein Stellvertreter Martin Burkert, Vorsitzender der Bahngewerkschaft EVG, bleibt neutral: „Die Auswahl des Bahn-Managements ist Sache des Eigentümers. Der Minister muss entscheiden, mit welchen Vorständen er vertrauensvoll zusammenarbeiten kann.“

Keinen Draht zum Kanzler

Wie er entscheidet, ist völlig offen. Am Ende wird er wohl auch nicht allein darüber beschließen. Der Job ist so politisch, dass Kanzler und Vizekanzler einen Vorschlag unterstützen müssen. Mit Friedrich Merz ist Richard Lutz nicht vernetzt, sie haben sich persönlich bisher kaum gesehen, mit Schnieder hat er immerhin schon ein paarmal kurz gesprochen. Er ist aber auch schon einmal kräftig mit ihm aneinandergeraten. Als der Konzern drei neue Vorstände für die Infrastruktur-Sparte installieren wollte, fühlte sich Schnieder übergangen und stoppte die Wahl.

Am Ende könnte die Politik auch dazu gezwungen sein, mit Lutz weiterzumachen. Denn mögliche Nachfolger drängen sich nicht auf. Unter den internen Kandidaten wird dem Infrastruktur-Vorstand Berthold Huber das schlechte Baustellenmanagement vorgeworfen, Technikvorständin Daniela Gerd tom Markotten die täglichen Probleme im Betrieb. Güterverkehrschefin Sigrid Nikutta führt die Sanierung ihrer Sparte nicht zum Erfolg, Fernverkehrsvorstand Michael Peterson verantwortet eine niedrige Auslastung der ICE und Verluste in seinem Bereich. Der bisherige Finanzvorstand Levin Holle, der mal als Nachfolgekandidat für Lutz galt, wurde ins Kanzleramt befördert.

Palla als Nachfolgekandidatin

Als interne Kandidatin drängt sich derzeit allenfalls Evelyn Palla auf, die erfolgreich den Regionalverkehr der Bahn verantwortet und dort Gewinne einfährt. Sie hat gerade ihren Lokführerschein gemacht und damit Sympathien bei der Belegschaft gewonnen. Die Südtirolerin gilt aber als zu wenig vernetzt in der Politik.

Und Kandidaten von außen, so wie die Lutz-Vorgänger Rüdiger Grube und Hartmut Mehdorn? Die sind schwer zu finden. Die Aufgabe an der Bahn-Spitze ist vergleichsweise schlecht bezahlt und naturgemäß hochpolitisch. Jedes Problem der Bahn regt Millionen Bundesbürger auf und wird oft auf ihren Chef projiziert. Nur Lutz hat es bisher geschafft, den Ärger elegant an den Konzerneigentümer weiterzureichen.

Kleine Lösung: Vorstandsposten zusammenlegen

Sollte Lutz weitermachen dürfen, dann könnte das als Niederlage der Regierung gedeutet werden, denn mit der Formulierung im Koalitionsvertrag hat sie sich selbst unnötig unter Druck gesetzt. Vielleicht rettet sie sich aber auch mit einer kleinen Lösung: Eine Verkleinerung des Vorstands scheint in Aufsichtsrat und Politik mehrheitsfähig. Bisher sind es acht, wenn alle Stellen besetzt sind, das ist viel für einen Konzern von der Größe der Bahn und gilt Kritikern als ein weiteres Indiz dafür, dass die Bahn einen großen Wasserkopf finanziert. Denkbar wäre, die Posten für Regional- und Fernverkehr und für Infrastruktur und Technik zusammenzuführen. Falls die Infrastruktur-Sparte unabhängiger würde, brauchte sie keinen Vorstandsposten mehr im Restkonzern.

Im Aufsichtsrat könnte der eine oder andere Ministeriumsvertreter durch externe Fachleute aus der Wirtschaft ersetzt werden. Wobei der im Koalitionsvertrag angedeutete Vorwurf, in dem Gremium fehle die Fachkompetenz, dort nicht ganz überraschend für große Empörung sorgt: „Im Aufsichtsrat fehlt keine Fachkompetenz. Diese Andeutung ärgert uns“, sagt der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Martin Burkert. Ohne Streit können Personalien aber auch nicht geregelt werden. Ob Lutz die Neuordnung überlebt, wird sich schon nach dem Sommer andeuten.