Auch im vergangenen Jahr sind in Deutschland wieder weniger Kinder zur Welt gekommen als im Vorjahr. Vor allem aber sind wieder weniger Kinder zur Welt gekommen, als die Menschen gern bekommen hätten. Errechnet man aus der Anzahl der Neugeborenen, wie viele Kinder alle Frauen zwischen 15 und 49 im Lauf ihres Lebens im Durchschnitt kriegen, kommt man auf eine Geburtenrate von 1,35. In Befragungen geben Männer und Frauen aber seit Jahren konstant an, dass sie rund 1,8 Kinder bekommen möchten.
Es ist gut, dass Frauen heutzutage nicht mehr Kinder zur Welt bringen, als sie wollen. Besser wäre es, wenn es auch nicht weniger wären. Das gilt nicht nur für sie selbst und ihre Partner, sondern auch für das Land. Denn niedrige Geburtenraten bedeuten eine alternde und schrumpfende Bevölkerung – und wachsende Probleme. Zu wenige Fachkräfte und sinkende Renten trotz höherer Beiträge zum Beispiel und damit weniger Wohlstand und mehr Zustimmung für extreme Parteien.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Die Parteien wünschen sich deshalb, dass die Geburtenrate wieder steigt. Das sagen die meisten aber nicht so deutlich, damit es nicht an China oder Russland erinnert oder an die deutsche Vergangenheit, Stichwort Mutterkreuz. Sie versprechen stattdessen, die Umsetzung von Kinderwünschen zu erleichtern. Das klingt technisch. Letztlich bedeutet es aber nur, sich zu fragen, was junge Erwachsene brauchen, um eine Familie zu gründen oder zu vergrößern und die entsprechenden Bedingungen zu schaffen.
Dass das funktionieren kann, zeigt ein Blick in die jüngere Vergangenheit. In den Zehnerjahren stieg die Geburtenrate, die davor lange um 1,4 gelegen hatte, auf rund 1,6 an. Jedes Jahr kamen damals rund 100.000 Kinder mehr auf die Welt, als es zu Beginn des Jahrtausends gewesen waren und inzwischen wieder sind. Und zwar nicht nur, aber auch aufgrund kluger familienpolitischer Maßnahmen.
Der Kitaausbau kommt nicht schnell genug voran
Dank des Elterngelds, das von 2007 an als Lohnersatzleistung das lohnunabhängige Erziehungsgeld ersetzte, ging die Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen zurück. Besonders wichtig, über alle Schichten hinweg, war der Ausbau der Kinderbetreuung. Das zeigen Studien – und zwar solche, die nicht auf Selbsteinschätzung beruhen, sondern auf Analysen von regionalen Mikrodatensätzen, die Kinderwünsche, Geburten und den Kitaausbau abbilden.
Dass nun seit drei Jahren in Folge wieder jedes Jahr weniger Kinder zur Welt kommen als im Vorjahr, hat verschiedene Gründe. Krisen wie die Pandemie, Kriege, Inflation und die Erderwärmung spielen eine Rolle. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine werden in ganz Europa weniger Kinder geboren, nicht bloß in Deutschland. Denn in unsicheren Zeiten kriegen Menschen weniger Kinder.
Das Elterngeld muss reformiert werden
Einige der Unsicherheiten für Familien sind aber auch hausgemacht. Das Elterngeld ist seit seiner Einführung nicht erhöht worden, wodurch es laut einer Studie fast 40 Prozent seiner Kaufkraft eingebüßt hat. Zuletzt wurde die Höhe des Einkommens, ab der Eltern keinen Anspruch darauf haben, herabgesetzt. Vor allem aber kommt der Kitaausbau der steigenden Nachfrage nicht hinterher. Auch weil die Familienpolitik der Ampel hauptsächlich daraus bestand, über die Kindergrundsicherung zu streiten.
In vielen Regionen Deutschlands gibt es heute trotz Rechtsanspruchs Hunderttausende Eltern, die keinen Kitaplatz für ihr Kind finden. Und die, die einen ergattert haben, können sich zu oft trotzdem nicht auf die Betreuung verlassen, denn es mangelt an Erzieherinnen – eine Folge der niedrigen Geburtenraten vor 20, 30 und 40 Jahren. Wird eine krank, gibt es keinen Ersatz. Dann schließt die Kita früher oder bleibt gleich ganz zu.
Es muss also mehr in den Ausbau von Kitas investiert werden und in den von Ganztagsschulen. Außerdem muss das Elterngeld reformiert werden. Das weiß auch die Politik. Schwarz-Rot will es so umgestalten, dass Männer mehr Elternmonate nehmen. Denkbar wäre ein individueller Anspruch auf Elternzeit, der nicht auf die Partnerin übertragen werden kann. Das ist nicht übergriffig oder bevormundend, sondern sinnvoll. Denn zu oft sind es ausschließlich oder hauptsächlich Frauen, für die Kinder Karriereeinbußen bedeuten.
Welche Folgen das hat, zeigt sich umso deutlicher, wenn man nicht nur auf Deutschland blickt, sondern auch ins Ausland. In Ländern, in denen mangelnde Vereinbarkeit gut ausgebildete Frauen im Beruf ausbremst, bekommen sie weniger Kinder. Beispiele hierfür sind etwa Italien, wo die Geburtenrate 2022 bei 1,2 lag, Polen (1,3) oder Südkorea (0,8). Gegenbeispiele gibt es auch: Dänemark (1,6), Australien (1,6) oder Frankreich (1,8). Familienfreundlichkeit und Gleichberechtigung zahlen sich also aus: Das ist, inmitten der demographischen Krise, auch eine gute Nachricht.