Der Luxemburger Plagiatsexperte Jochen Zenthöfer hat bei der Prüfung der Dissertation der Bundestagsabgeordneten Saskia Ludwig (CDU) zahlreiche Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis festgestellt. Die Dissertation wurde im Dezember 2007 von der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam angenommen und trägt den Titel „Die Aufgabenauslagerung in Landesbetriebe im Bundesland Brandenburg und anderen ausgewählten Bundesländern“. Promoviert wurde damals Saskia Funck, heute Saskia Ludwig. Sie war von 2010 bis 2012 Landesvorsitzende der CDU Brandenburg und von 2004 bis 2025 Abgeordnete im Potsdamer Landtag.
Zenthöfer hat auf eigene Initiative gehandelt und wurde nicht dazu beauftragt, auch nicht von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „In der Arbeit fallen zahlreiche ungekennzeichnete Textübernahmen auf“, sagt Zenthöfer der F.A.Z., so verwende die Verfasserin etwa die Gedanken Dritter, ohne auf die Quelle hinzuweisen. Meist werde die Originalquelle an einer späteren Stelle genannt, allerdings nur als Fußnote, die sich auf einen einzigen Satz oder auch nur ein Wort bezieht. Zenthöfer hat sich nach eigener Aussage nur die ersten 113 der 368 Seiten umfassenden Dissertation angesehen und darauf schon 86 nicht gekennzeichnete Übernahmen festgestellt.
Die Verfasserin nenne zwar die Quellen im Literaturverzeichnis an der ein oder anderen Stelle, unterlasse es aber bei den meisten Übernahmen. Zenthöfer spricht von sogenannten Bauernopfer-Zitaten. Teilweise gebe es aber auch wörtliche Übernahmen. Würden Formulierungen leicht verändert, liege dagegen nur eine Übernahme der Gedankengänge vor. „Die Verfasserin hangelt sich mithin seitenweise an anderen Quellen entlang, formuliert deren Gedanken mal mehr, mal weniger um, übernimmt die Belege, nennt die tatsächlich verwendete Quelle spät und nur punktuell“, konstatiert der Jurist, der seit vielen Jahren freier Mitarbeiter der F.A.Z. ist.
Ludwig veröffentlicht F.A.Z.-Anfrage auf X
Eine Anfrage dieser Zeitung an Frau Ludwig mit der Bitte um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen am vergangenen Donnerstag veröffentlichte die Politikerin noch am selben Abend auf der Plattform X. Sie verlinkte ihre Dissertation in dem Post und schrieb: „Jeder kann sich so sein eigenes Bild machen!“
Am Freitagmorgen kündigte der österreichische Plagiatssucher Stefan Weber an, die Arbeit ebenfalls überprüfen zu wollen, und kam zum gleichen Ergebnis wie Zenthöfer: Nach einer Schnellanalyse könne er aber noch nichts zum wahren Ausmaß der Bauernopfer-Zitate sagen, so Weber auf X: „Sicher ist, dass wieder einmal nicht lege artis zitiert wurde. 2008 hätte die Arbeit bereits durch Plagiatssoftware laufen können. Schon wieder ein Versagen der Universität Potsdam.“
Die Universität Potsdam hat inzwischen bestätigt, Zenthöfers Verdachtsanzeige erhalten zu haben. Zenthöfer verweist darauf, an der Aufarbeitung der Angelegenheit bestehe ein öffentliches Interesse. Frau Ludwig äußere sich selbst dezidiert zu Plagiatsvorwürfen. So schrieb sie auf X über die Potsdamer Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf: „Solange die Plagiatsvorwürfe gegen die Professorin aus Potsdam nicht restlos ausgeräumt sind, muß sie ihr Amt am Lehrstuhl für öffentliches Recht der Uni Potsdam ruhen lassen! Präsident Prof. Günther sollte sofort handeln.“
Uni Potsdam muss mutmaßliche Verstöße bewerten
Inzwischen hat auch die ehrenamtlich betriebene Plattform „VroniPlag Wiki“ den ersten Teil der Arbeit untersucht und zahlreiche Plagiate gefunden, also größere Textübernahmen ohne Quellennachweis. Die Plattform „VroniPlag Wiki“ versteht sich selbst als „ein wissenschaftliches Projekt ohne politische oder kommerzielle Interessen“. Es stehe in keinem Zusammenhang mit der im Juni 2011 angemeldeten Wortmarke „Vroniplag“ des Kaufmanns Martin Heidingsfelder, der dauerhaft von der Mitarbeit bei „VroniPlag Wiki“ ausgeschlossen wurde, bekräftigen die Betreiber der Plattform.
Die sogenannten Fragmente mit den wörtlichen Textübernahmen sind auf der Plattform unter der Buchstabenkombination „Fsl“ dokumentiert, noch nicht unter dem Klarnamen der Autorin, weil die Untersuchung andauert. Insgesamt sind es mit seinen eigenen Recherchen laut Zenthöfer etwa einhundert Stellen im ersten Teil der Arbeit. Der zweite Teil der Dissertation besteht vor allem aus einer Zusammenstellung empirischer Daten, Statistiken und Gesetzestexte. Es folgt ein dritter Teil („Vergleiche und Schlüsse“), der knapp vierzig Seiten umfasst.
Ob die Schlussfolgerungen als eigenständige wissenschaftliche Leistung ausreichen und wie die mutmaßlichen Verstöße quantitativ und qualitativ zu bewerten sind, wird die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Potsdam entscheiden müssen.