Bis zum Gipfel der indonesischen Insel Piaynemo sind 300 Stufen zu erklimmen. Oben angekommen, geht der Blick auf grün überwucherte Karsttürme, die sich dramatisch aus der türkisfarbenen Lagune erheben. Nirgendwo auf der Erde sei das Leben vielfältiger als hier, heißt es. 3000 Fischarten zählt die Unterwasserwelt von Raja Ampat. In dem Archipel vor Westpapua finden sich drei Viertel aller bekannten Korallenspezies. Weil sich in dem Mosaik miteinander verbundener, aber einzigartiger Riffe gemusterte Teppichhaie, blau geringelte Kraken und vier der sieben verbliebenen Arten von Meeresschildkröten verstecken, wählen Fachzeitschriften die kristallklaren Gewässer regelmäßig zum besten Tauchrevier auf dem Planeten. Zweitausend Dollar inklusive Tauchgänge zahlen Touristen für eine Woche, die teure Anreise nicht inbegriffen.
Das Naturwunder wurde vor zwei Jahren von der UNESCO zum „Geopark“ ernannt. Es ziert Indonesiens 100.000-Rupiah-Schein, der fünf Euro entspricht und die wertvollste Banknote des südostasiatischen Landes ist. Auf der Insel feiert ein Schriftzug den Stolz der Nation: „Willkommen im Paradies“.
Dreißig Kilometer westlich hat die Zerstörung des Paradieses begonnen. Dort lässt Indonesiens Staat auf der Insel Gag Nickelerz aus dem Berg schlagen. Früher wurde das Schwermetall vor allem für die Herstellung von Edelstahl verwendet. Heute braucht man Nickel für den Schutz des Weltklimas. In diesem Jahr könnten nach Prognosen global 22 Millionen Elektroautos verkauft werden. Die Mehrheit davon fährt mit Batterien, in denen im Schnitt 25 Kilo Nickel verbaut sind. Nickel liefert eine unerreicht hohe Energiedichte und beschert E-Autos große Reichweiten. Aus den Batterien der meisten Elektroautos ist das Metall erst einmal nicht wegzudenken. PT Gag heißt das Unternehmen, das Nickelerz auf der Insel abbaut. Am Flughafen von Sorong, dem Einflugort für das Tauchparadies, wirbt PT Gag auf Tafeln mit dem Schutz von Meeresschildkröten.
Dilemma auf dem Weg zu mehr Wohlstand
Raja Ampat verdeutlicht wie kaum ein anderer Ort das Dilemma Indonesiens auf dem Weg zu mehr Wohlstand. Das Land zählt 17.000 Inseln, darunter Traumziele wie Komodo mit seinen Waranen, das kulturelle Zentrum Java und die Götterinsel Bali. Aber mit Tourismus allein wird Indonesien nicht reich. Im Schnitt verdienen die 280 Millionen Menschen 5000 Dollar im Jahr, oft in unproduktiven Jobs unter schlechten Bedingungen und ohne Rechte. „Informelle Arbeit“ heißt die Kategorie, in die in West-Papua 85 Prozent aller Beschäftigten fallen. Als „Nation im Wartezustand“ wird das Land mit der viertgrößten Bevölkerung schon seit Jahrzehnten beschrieben. Wenn das Land sein Potential heben will, muss es die Wertschöpfungskette hinaufklettern. Da scheint es zu passen, dass Indonesien auf einem Schatz sitzt: Ein Viertel der globalen Nickelvorkommen liegt hier.
2014 verbot Indonesien den Export des Metalls. Schon damals zeichnete sich ein Aufschwung der Elektroautos ab, und die Regierung beschloss, dass das Land daran teilhaben sollte. Die Indonesier wollten nicht mehr, dass China das Metall in seine eigenen Hüttenwerke verschiffte und es dort zu Batterien verarbeitete. Stattdessen sollte China in Indonesien eine neue E-Industrie aufbauen.
China, das Nickel auch für die Herstellung von Edelstahl und für große Wind- und Solarparks benötigte, verstand schnell. Während die Europäische Union sich bitter über das Exportverbot beklagte und vor die Welthandelsorganisation zog, hatten drei Pekinger Staatsbanken mit dem Edelstahlkonzern Tsingshan längst auf der Insel Sulawesi für Hunderte Millionen Dollar mit dem Bau einer großen Nickelschmelze und zwei Kohlekraftwerken begonnen. Die Indonesier, die den Rohstoff besaßen, erhielten an dem Industriepark in Weda Bay einen Anteil von einem Drittel. Die Chinesen, die das Wissen und das Kapital für die Verarbeitung mitbrachten, bekamen den Rest. Fast über Nacht stieg China in Indonesiens Nickelindustrie vom größten Käufer zum größten Investor auf. Bis 2024 flossen nach Schätzungen 30 Milliarden Dollar aus der Volksrepublik in Zechen, Schmelzen und Kraftwerke auf die Inseln am Äquator.
Schaden für Mensch und Natur
Das Ergebnis der Allianz kann sich sehen lassen. Im vergangenen Jahr produzierte Indonesien 60 Prozent des globalen Nickelangebots. Schon in drei Jahren könnten es drei Viertel sein. Das Metall soll das Schwellenland bis 2045 in eine der größten Volkswirtschaften der Erde verwandelt haben. Das ist die Vision der Regierung, die dafür viel in Kauf nimmt. In Raja Ampat bieten die riesigen braunen Sandflächen der Insel Kawe, auf der vormals Bäume standen, den Touristen ein schauriges Fotomotiv.
Auch anderswo in Indonesien nehmen Mensch und Natur durch den Nickelabbau Schaden. Auf der Insel Kabaena vor Sulawesi haben die Nickelwerte den gesetzlichen Grenzwert um das 69-Fache übertroffen und die Fischbestände vernichtet. In Weda Bay in Maluku, wo Tsingshan Nickel abbaut, wies bei einem Test die Hälfte der örtlichen Bevölkerung Quecksilber- und Arsenwerte in krebsgefährdender Höhe auf. Auf der Insel Obi, auf der im vergangenen Jahr sechs Prozent der global produzierten Nickelmenge abgebaut wurde, hat der Abbau über zehn Jahre lang das Trinkwasser vergiftet. Weil sie keine andere Wahl hatten, tranken die Bewohner es trotzdem. Der Minenbetreiber beliefert chinesische Hersteller, die Batterien für BMW und Mercedes bauen.
Einen Aufruhr in den sozialen Medien haben all diese Fälle nicht verursacht – anders der Hashtag #SaveRajaAmpat, der im vergangenen Monat rund um den Erdball viral ging. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace brachte die drohende Zerstörung des Taucherparadieses ins Internet, nachdem Ureinwohner aus Raja Ampat bei einer Nickel-Konferenz in Jakarta gegen die Zerstörung ihrer Heimat protestiert hatten.

„Schlammpfütze“, sagt ein Mann
Eigentlich verbietet die indonesische Verfassung, dass auf sehr kleinen Inseln wie im Archipel vor Papua Bergbau betrieben wird. Im Laufe der Jahre aber hatte der Staat trotzdem 16 Abbaulizenzen erteilt, von denen zuletzt noch sechs gültig waren. Nach der Protestwelle entzog Indonesiens Präsident Prabowo Subianto die Abbaulizenzen für fünf der sechs Inseln. Der Präsident soll seine Minister scharf zur Rede gestellt haben, warum der illegale Abbau in Raja Ampat überhaupt jemals erlaubt worden war.
PT Gag, das Unternehmen auf der Insel hinter den Karsttürmen, durfte seine Lizenz behalten. Vom Tauchboot aus sieht die Insel noch recht grün aus. Drohnenbilder verraten, dass hier in den vergangenen Jahren 300 Hektar Wald gerodet wurden. Wie viele Meeresschildkröten noch vor der Insel leben, ist schwer zu sagen. Ausflüsse haben das Meer stellenweise mit einer rötlich-orangenen Schicht überzogen. „Schlammpfütze“, sagt der Mann im Bug des Taucherboots. Im Hafen von Gag liegt ein Frachtkahn, beladen mit Nickelerz, abfahrbereit Richtung Schmelzwerk. Seit dem Protest in Jakarta gebe es hier keine Bewegung mehr, berichtet der Ausguck.
In die Wut über die Zerstörung des Paradieses mischt sich Unmut darüber, ob Indonesien mit seinem großem Nickelplan an der Ausbeutung der Vorkommen verdient. In Sorong, der Stadt mit dem Flughafen, geht es aus dem Zentrum heraus an der Kaserne des Infanterieregiments 762 vorbei über Schlaglöcher durch den Dschungel. Eistee am Wegesrand kostet 5000 Rupiah, umgerechnet 25 Cent. Bei manchen der Behausungen scheint nach Fertigstellung des Erdgeschosses das Geld ausgegangen zu sein. Die zweite Etage ist aus Bambus gebastelt mit Lücken, durch die ein Kleinkind passt. Eine Gruppe Männer in Trikots amerikanischer Basketballstars hat einen Baumstamm als Barrikade über die Straße gelegt und verlangt Wegzoll.
Ausländer auf Nickelmission
Nach dreißig Kilometern steht auf dem Mittelstreifen eine Säule mit rot-gelber Verzierung und einem Schild: „Willkommen in der Sonderwirtschaftszone“. Hier führte vor einem Jahr eine Delegation der Lokalregierung den Chinesen Ru Guo Sheng über das Gelände. Ru, Manager des Minenbetreibers Shengwei New Energy , wollte in Sorong eine Nickelschmelze bauen. Zusammen mit einer Stahlhütte sollten 3000 Arbeitsplätze entstehen. Anders als Erz aus Sulawesi, das wegen seiner geringen Qualität nur für Edelstahl gut ist, weist das Erz von Raja Ampats Inseln in Indonesien die höchste Konzentration von Nickel auf, eine Bedingung für die Legierung in Batterien. Bisher musste das Gestein Hunderte Seemeilen in die Schmelze in Weda Bay geschifft werden. Hätte Raja Ampat ein eigenes Werk, wäre sein Nickel noch attraktiver. Einen halben Kilometer hinter dem Tor kommen Wächter auf das Auto zu. Die Chinesen seien zuletzt vor ein paar Monaten hier gewesen, sagen die Männer. Dann wollen sie wissen, was man hier eigentlich zu suchen habe.
Es reisen jetzt öfter Ausländer nach Indonesien auf Nickelmission. Ende Mai kam Emmanuel Macron. Die Aufregung darüber, ob die Gattin Frankreichs Präsident bei der Ankunft in Jakarta geschlagen hatte, ließ untergehen, dass der Pariser Bergbaukonzern Eramet mit den Gastgebern vereinbarte, einen Einstieg der Franzosen in Indonesiens Nickelindustrie auszuloten. Europäische Banken wie Santander und ING haben bereits begonnen, in Indonesien Nickelprojekte zu finanzieren. Man wolle die Chinesen nicht aus dem Land drängen, heißt es in Indonesien. Doch sich aus Chinas Klammergriff zu lösen, ist schon erwünscht. Die künftigen Wachstumsmärkte für Nickel für Batterien und Windräder liegen möglicherweise weniger im schwächelnden China, sondern im Westen. Indonesien wäre gerne der Hauptlieferant.
Leicht wird das nicht. Drei Tage vor Macron hatte Chinas Ministerpräsident Li Qiang Jakarta besucht und brachte Investitionszusagen in Milliardenhöhe mit. Eramet aus Frankreich hatte hingegen ein Jahr zuvor eine mit BASF geplante Investition in den Nickelindustriepark in Weda Bay aus Angst vor Schlagzeilen über die Umweltverschmutzung wieder abgesagt. Der Park wird von Tsingshan gemanagt. 75 Prozent der indonesischen Minen und Schmelzen sind in chinesischer Hand, hat die Denkfabrik „Center for Advanced Defense Studies“ in Washington ausgerechnet. Gemäß dem Bericht haben Tsingshan und der Edelstahlkonzern Jiangsu Delong Nickel Industry die Nickelindustrie des Inselstaats praktisch untereinander aufgeteilt. Damit kontrollieren sie auch den Weltmarkt. Der Westen ist so ein weiteres Mal von China abhängig.
Gewinne gehen nach China
„Für Indonesien ist es ein Unglück“, sagt Muhammad Zulifikar Rakhmat. Der Direktor des China-Referats im Zentrum für Wirtschafts- und Rechtsstudien in Jakarta berät Lokalregierungen dabei, sich beim Nickelabbau von chinesischen Minengesellschaften nicht über den Tisch ziehen zu lassen. Es könne schon sein, dass bei Indonesiens Nickelkampagne auch ein paar Stellen für die Einheimischen abfielen, sagt Rakhmat. „Doch die Mehrheit der Gewinne geht nach China.“ Oft brächten die chinesischen Betreiber ihre eigenen Arbeiter mit. „Wir sehen nicht, dass unsere eigene Wirtschaft profitiert. Es ist traurig.“
Rakhmat ist überzeugt, dass der Nickelabbau in Raja Ampat weitergehen wird, und verweist auf das korrupte Umfeld: „Sogar Mitglieder von Prabowos Kabinett haben Geschäftsverbindungen zu Unternehmen, die Nickel abbauen.“ Mit dem Entzug der Lizenzen auf fünf der Inseln sei die Umweltzerstörung nicht gestoppt. „Es wird Verhandlungen geben“, sagt Rakhmat. „ Danach werden die Minenbetreiber in einem gewissen Umfang weitermachen dürfen.“ Die Nickelschmelze im Taucherparadies – auch sie hält er noch für möglich.