Studie zeigt: Ernährung ist beim Abnehmen wichtiger als Sport

9

Stand: 21.07.2025 17:00 Uhr

Bewegung ist gesund – aber wer abnehmen will, muss vor allem im Blick haben, was auf den Teller kommt. Eine neue Studie zeigt: Ernährung trägt zehnmal stärker zum Anstieg von Adipositas bei als Bewegungsmangel.

Es ist eine einfache Formel, die Menschen mit Übergewicht oft präsentiert wird: “Wer mehr Kalorien isst, als er verbrennt, nimmt zu.” Diese Annahme nennt die Ernährungswissenschaft das “Energiebilanz-Modell”. Aber seit einigen Jahren gibt es Zweifel an dieser simplen Gleichung. Eine neue internationale Studie hat weitere Erkenntnisse vorgelegt, die nicht zum klassischen Energiebilanz-Modell passen.

Zu viel Essen oder zu wenig Bewegung?

Die Forschenden wollten herausfinden, inwiefern Ernährung und Bewegung für die Entwicklung von Adipositas wirklich ausschlaggebend sind. Bisher wisse niemand so genau, wie bedeutsam beide Faktoren tatsächlich sind, schreiben die Studienautoren. Deswegen analysierten die Forschenden internationale Gesundheitsdaten – von Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften genauso wie von landwirtschaftlich geprägten Gesellschaften und von Bewohnern von Industrienationen.

Insgesamt wurden Daten von über 4.000 erwachsenen Personen zwischen 18 und 60 Jahren aus 34 Bevölkerungsgruppen auf sechs Kontinenten ausgewertet. Die Wissenschaftler verglichen Gesamtenergieverbrauch, Grundumsatz und körperliche Aktivität, Körperfettanteil und Body-Mass-Index.

Unterschiedliche Lebensstile – gleicher Energieverbrauch

Die Forschenden verglichen unter anderem den Stoffwechsel von Menschen in den USA mit dem der Hadza, einem Jäger-und-Sammler-Volk in Ostafrika. Überraschend: Die Aktivitätsenergie beider Gruppen war ähnlich hoch – trotz der deutlich verschiedenen Lebensstile. Wie kann das sein?

“Der Körper hat über 24 Stunden hinweg einen relativ stabilen Gesamtenergieverbrauch”, erklärt Tim Hollstein vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH). “Wenn wir uns mehr bewegen, spart er an anderer Stelle – etwa beim Grundumsatz, also bei der Energie für Funktionen wie Atmung, Organtätigkeit oder Hirnleistung.” Wer weniger aktiv ist, könne hingegen mehr Kalorien in den Grundumsatz investieren. Das bedeutet: Sport erhöht zwar kurzfristig den Verbrauch – langfristig bleibt die Bilanz oft gleich.

“Bewegung allein hilft kaum”

Welchen Anteil hat also Bewegung tatsächlich an der Entstehung von Übergewicht? Nach Berechnungen der Forschenden trägt Ernährung etwa zehnmal stärker zum Anstieg von Adipositas bei als Bewegungsmangel. Für Hollstein ist das nichts wirklich Neues: “Wir wissen schon lange, dass Bewegung allein kaum hilft”, sagt er.

Auch frühere Studien haben bereits gezeigt, dass körperliche Aktivität allein beim Abnehmen wenig bewirkt. Dennoch könnte Bewegung eine sehr wichtige Rolle beim Gewichtsmanagement haben. Hollstein verweist auf die Studie von Anja Bosy-Westphal von der Uni Kiel, die Probanden in eine Stoffwechselkammer setzte: “Die, die sich viel bewegt hatten, haben intuitiv genau so viel gegessen, wie sie verbraucht haben. Die Couch-Potatoes hingegen deutlich zu viel.” Der Körper verliere durch Bewegungsmangel möglicherweise die Fähigkeit, Hunger und Energiebedarf richtig einzuschätzen – und neige so zur Überernährung.

Viele Kohlenhydrate, viel Körperfett

Dazu kommt, dass die Entstehung von Übergewicht und Adipositas auch mit der Zusammensetzung der Nahrung zu tun haben könnte, so die Autoren der Studie. Als sie die Zusammensetzung der Mahlzeiten in den jeweiligen Ländern genauer unter die Lupe nahmen, stellten sie fest, dass “der prozentuale Anteil von hochverarbeiteten Lebensmitteln in der Ernährung positiv mit dem Körperfettanteil korreliert” war.

Auch ein hoher Kohlenhydratanteil in der Nahrung könnte zum Aufbau von übermäßigem Körperfett beitragen. Denn zur Energiegewinnung aus Kohlenhydraten braucht der Körper das Hormon Insulin. Allerdings wird durch Insulin auch Körperfett aufgebaut und Körperfettabbau verhindert.

Darauf wiesen die beiden Medizin-Nobelpreisträger Solomon Berson und Rosalyn Yalow bereits in einem Artikel aus dem Jahr 1965 hin: “Wir können Insulin als die wichtigste Stellschraube des Fettstoffwechsels betrachten.” Diese Erkenntnisse stellen das klassische Energiebilanz-Modell in Frage.

Nicht die gleiche Therapie für alle

Sind Kalorien also in Wahrheit unwichtig? “Beide Modelle haben ihre Berechtigung”, so Hollstein. “Ich bin eher Anhänger der Kalorienbilanz, aber zu viele Kohlenhydrate – vor allem Zucker – sind definitiv problematisch. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte.”

Sicher ist er sich, dass man den bisherigen Ansatz in der Adipositastherapie dringend ändern muss. “Wir konnten zeigen, dass es verschiedene Stoffwechseltypen gibt, da ist es nicht zielführend, dass man allen Betroffenen die gleiche Therapie verordnet.”