Putin nimmt Trumps Zolldrohungen zur Ukraine nicht ernst

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Wenn Dmitrij Medwedjew sich über westliche Politiker äußert, wirft er in der Regel mit vulgären Schimpfwörtern um sich. Für Donald Trump hingegen hat der rhetorische Scharfmacher in der russischen Führung bisher allenfalls sanften Spott übrig: „Der Amerikaner schaukelt wieder auf seiner politischen Lieblingsschaukel“, schrieb Medwedjew Anfang Juli auf Telegram. Die Schaukel ist sein Bild für das Hin und Her des amerikanischen Präsidenten im Verhältnis zu Russland und zur Ukraine: Trump hat sich über den russischen Machthaber Wladimir Putin in höchsten Tönen und tief enttäuscht geäußert, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gedemütigt und wenig später für seinen Mut gelobt, der Ukraine die Unterstützung entzogen und dann wieder gewährt.

Die Position des Kremls ist während all diesen Washingtoner Volten unverändert geblieben. Was auch immer Trump sagte oder tat, Putin und seine Umgebung äußerten an ihm persönlich keine direkte Kritik. Das galt sogar, als der amerikanische Präsident Moskaus „strategischen Partner“ Iran bombardieren ließ. Auch nach Trumps Drohung mit massiven Sanktionen gegen Russlands wichtigste Handelspartner vorige Woche hat sich daran nichts geändert.

Ein offensichtlicher Grund dafür ist die Sprunghaftigkeit Trumps. Die russische Führung glaubt nicht, dass er dauerhaft an der Seite der Ukraine stehen wird. Seine Zolldrohungen werden in Moskau nicht ernst genommen. Die Regimemedien legen ausführlich dar, warum Trump es nicht wagen werde, Strafzölle gegen die Hauptabnehmer russischen Öls, China und Indien, zu verhängen. Und die Frist von fünfzig Tagen, die Trump Putin für die Beendigung des Krieges gegeben hat, wird von Propagandisten höhnisch zum Freibrief für eine Sommeroffensive erklärt.

Moskau hofft, dass Trump das westliche Bündnis zerlegt

Doch der eigentliche Grund für das Verhalten der russischen Führung gegenüber Trump liegt tiefer. Während Trump den Kontakt zu Putin gesucht hat, um den Krieg in der Ukraine zu beenden, war für den russischen Herrscher die Ukraine nie der eigentliche Gegenstand der russisch-amerikanischen Gespräche in den vergangenen Monaten. In den Verlautbarungen des Kremls zu den Telefonaten der beiden Präsidenten wird die Ukraine stets beiläufig als eines von mehreren Gesprächsthemen erwähnt. Von Anfang an hat die russische Führung deutlich gemacht, dass sie über nichts anderes verhandeln wird als über die Kapitulation der Ukraine. Wie Trump dazu steht, ist aus russischer Sicht zwar nicht bedeutungslos, aber zweitrangig. Verschafft der amerikanische Präsident Russland einen Vorteil, indem er ­Kiew unter Druck setzt, wird das in Moskau wohlwollend registriert. Tut er das Gegenteil, ändert das nichts an der Entschlossenheit des Kremls, die unabhängige Ukraine zu zerstören. Putin baut darauf, dass er bereit ist, für die Niederwerfung des Landes einen höheren Preis zu zahlen als der Westen für dessen Verteidigung.

Die für ihn entscheidende Veränderung der amerikanischen Politik unter Trump ist die Disruption im westlichen Bündnis. Viele Jahre hat sich Russland vergeblich bemüht, einen Keil zwischen Europa und die USA zu treiben. Nun sieht es die Chance, dass das transatlantische Bündnis von Washington aus zerlegt wird. Selbst wenn es gerade den Anschein hat, als würden Amerikaner und Europäer wieder näher zusammenrücken, sind die USA für Europa kein rundum verlässlicher Partner mehr. Schon allein das betrachtet Putins Regime als Gewinn.

Russlands Wunsch “Normalisierung“ der Großmachtpolitik

In Moskau ist derzeit viel von einem Neuanfang in den Beziehungen zwischen Russland und den USA die Rede. Dabei wird auch Trumps Amerika von Moskau in erster Linie als Konkurrent betrachtet. Die „Normalisierung“, die sich die russische Führung wünscht, besteht darin, dass die Großmächte ihre Konflikte über die Köpfe der anderen hinweg austragen – und sie auf deren Kosten lösen. Es ist bezeichnend, wie oft in Russland gerade an die Suezkrise des Jahres 1956 erinnert wird, in der sich die Sowjetunion und die USA mitten im Kalten Krieg gemeinsam gegen Großbritannien und Frankreich gestellt hatten.

Die Kreml-Propaganda will glauben machen, dass Russland in diesem neuen Konzert der Großmächte im Vorteil sei: an der Seite Chinas, getragen vom Wohlwollen des globalen Südens. Es ist schwer einzuschätzen, ob das der tatsächlichen Wahrnehmung Putins entspricht. Denkbar ist es: Auch vor dem Überfall auf die Ukraine hat er die eigene Stärke über- und die Widerstandskraft der Ukraine unterschätzt. Falls es sich nun wieder so verhielte, wäre es gefährlich, wenn Trump weiter auf seiner Lieblingsschaukel hin und her schaukelte. Der Kreml könnte das als Ermutigung für die nächste Eskalation des Konflikts in der Ukraine – und darüber hinaus – verstehen.