Warum sich der Streit um Palantir in Baden-Württemberg zuspitzt

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Vor der Sommerpause werden die IT-Experten bei der baden-württembergischen Polizei nun weniger zu tun haben. Denn der Plan von Innenminister Thomas Strobl (CDU), das Polizeigesetz noch vor der Sommerpause gemeinsam mit dem grünen Koalitionspartner zu novellieren, damit die Analyse-Software Palantir Gotham zum Abgleich von fahndungsrelevanten Datenbanken bald eingesetzt werden kann, hat sich vorerst erübrigt. Die beiden letzten Sitzungstage vor der Sommerpause sind an diesem Mittwoch und am Donnerstag, danach geht es erst im September weiter.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Dienstag nur sehr knapp, man sei zu dem Thema im Gespräch. „Ich sage meine Auffassung in den Gesprächen und nicht außerhalb.“ Auch ob in der Koalition über Gesetzespakete verhandelt werde, wollte Kretschmann nicht sagen. Die CDU priorisiert die Verbesserung der Fahndungsmöglichkeiten, die Grünen möchten gern das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und auch weitere Maßnahmen zum Klimaschutz noch in dieser Legislatur beschließen.

Höchst umstritten ist in der Koalition, warum die Palantir-Software gekauft wurde, obwohl dazu die gesetzliche Grundlage fehlt. Staatssekretär Thomas Blenke (CDU), ein ehemaliger Polizist, hatte mit den Vertragsverhandlungen das auf diese Fragen spezialisierte Polizeipräsidium Technik beauftragt. Im Innenministerium heißt es, die Preisbindung für die Software sei am 20. März ausgelaufen, deshalb habe man den Vertrag vor der Änderung des Polizeigesetzes unterzeichnen müssen; der Trump-Unterstützer Peter Thiel halte an der Softwarefirma Palantir nur sieben Prozent. Dem Weg der schwarz-grünen Regierung in Schleswig-Holstein, die eine „produktneutrale Entwicklungsausschreibung“ gestartet hat, will man in Stuttgart nicht folgen – das könne die Probleme der Polizei nicht schnell lösen. Weil die Implementierung des Systems wahrscheinlich mehrere Jahre brauche, sei es richtig gewesen, schnell zu entscheiden.

Offenbar keine Ausstiegsklausel im Vertrag

Damit ist der innenpolitische Sprecher und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen Oliver Hildenbrand überhaupt nicht einverstanden. Auch an der grünen Basis herrscht große Skepsis, ob es tatsächlich nötig ist, eine Software von einer Firma zu kaufen, an der der Demokratie-Verächter und Trump-Fan Peter Thiel beteiligt ist. Eine Änderung des Vertrags mit einem Volumen von 24 Millionen Euro und einer Laufzeit über fünf Jahre könnte schwierig werden, weil es laut einem Bericht der „Stuttgarter Zeitung“ offenbar im Vertrag keine Ausstiegsklausel gibt.

Bei der Software argumentiert das Innenministerium nun, die vorzeitige Vertragsunterzeichnung sei nötig gewesen, um die günstigen Konditionen des bayerischen Rahmenvertrags zu nutzen, sonst hätten sich die Kosten verdoppelt. In Bayern, Hessen und in Nordrhein-Westfalen wird die Software bereits verwendet. In der CDU-Fraktion heißt es, das Polizeigesetz sei „in der Ressortabstimmung“. Die Grünen hätten im vergangenen Herbst der Anschaffung der Software zugestimmt. In den Anträgen und im Kabinettsbeschluss ist aber von einer „Verfahrensbegleiten­­den Recherche und Analyseplattform“ ­­­(VERA) die Rede, die Software Palan­tir ­Gotham wird ausdrücklich nicht genannt.

Allen Beteiligten sei bewusst gewesen, welche Software gemeint gewesen sei, heißt es im Innenministerium – das habe man an der Höhe des im Dezember beschlossenen Haushaltstitels erkennen können. Auch durch die angespannte Sicherheitslage sei es richtig gewesen, den Vertrag schnell abzuschließen. Am 6. Mai habe es auf der Arbeitsebene eine Besprechung im Innenministerium gegeben, an der Oliver Hildenbrand als grüner Innenpolitik-Fachmann nicht teilgenommen habe. „Die Grünen kannten die Beschlusslage“, heißt es in Regierungskreisen. Nach dem Messerangriff von Mannheim war das Sicherheitspaket von Grünen und CDU gemeinsam beschlossen worden.

In NRW Zugriff auf zwölf Datenbanken

Oliver Hildenbrand sieht es anders, er pocht strikt darauf, die normale Reihenfolge im parlamentarischen Verfahren einzuhalten: erst die Änderung des Polizeigesetzes, dann Ausschreibung und Beschaffung der Polizeiausrüstung. Für die Grünen ist die Frage politisch von Brisanz: Hildenbrand gehört zwar dem linken Parteiflügel an, aber an der grünen Basis und auch im Realo-Flügel wird die Beschaffung der Software übereinstimmend kritisch gesehen. Keinesfalls dürfe man dazu beitragen, den Staat durch eine Software eines zweifelhaften Unternehmers zu schwächen, der den Staat aushöhlen wolle. Auf dem Landesparteitag Ende Mai waren die grünen Innenpolitiker kritisch dazu befragt worden.

In Nordrhein-Westfalen wird die Software seit 2022 flächendeckend verwendet, dazu wurde von der damaligen schwarz-gelben Regierung das Polizeigesetz geändert. Ähnlich wie es in Baden-Württemberg geplant ist, wurde auch in NRW die Software nicht vollumfänglich mit allen Funktionen frei gestaltet. Das Programm greift dort auf zwölf unterschiedliche Datenbanken zu; nicht jeder Schutzpolizist hat Zugriff. Aus der Landesregierung heißt es, Palantir Gotham sei eine große Hilfe für die Ermittler. Doch sobald es eine gleichwertige deutsche oder europäische Software gebe, werde man diese einsetzen.

In Hessen schwärmt man von den Erfolgen

Ähnlich hatte sich auch Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) vor Kurzem geäußert. In seinem Bundesland wird bereits seit 2017 eine auf deutsche Datenschutzvorgaben angepasste Version der Palantir-Software im Normalbetrieb eingesetzt. Doch wenn es ein europäisches Programm gäbe, dass das leisten könnte, was Palantir leistet, würde man jenem den Vorzug geben, sagte Poseck dem HR.

Die hessische Landesregierung sieht im Einsatz von Hessendata, so der Titel der angepassten Version, einen großen Erfolg. Bis zu 15.000 Mal im Jahr wird das Programm laut der Polizei jährlich genutzt. Vor allem das Auswerten und Verbinden von Datenmengen gilt als entscheidende Kompetenz von Palantir. So soll ein islamitisch motivierter Anschlag eines Jugendlichen verhindert worden sein, die Software kam außerdem sowohl gegen Geldautomatensprenger wie auch im Fall der mutmaßlichen Verschwörer um Prinz Reuß zum Einsatz. Im Zusammenhang mit pädokriminellen Ermittlungen konnte Hessendata nach Angaben des Innenministeriums binnen Minuten eine riesige Menge Daten auswerten und entscheidende Hinweise für die Ermittlungen geben.

Wegen der Auftragsvergabe an das US-Unternehmen hatte es einen Untersuchungsausschuss gegeben, der allerdings ergebnislos endete. Die hessische Opposition äußert außerdem Bedenken, dass ein US-Konzern Zugriff auf sensible, personenbezogene Daten habe, auch von Personen, die nicht im Zusammenhang mit Straftaten stehen. Denn das Programm kann auch auf das Melderegister zugreifen. Die Polizei verweist darauf, dass die Daten immer auf den hessischen Servern verbleiben.