EU-China-Gipfel: Die Trümmer einer China-Strategie

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Der Impuls wirkte logisch. Nach der Gaskrise wollte Europa nicht abermals derart von einem geopolitischen Rivalen abhängig sein. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab das Ziel aus, die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Bekannt wurde das als Derisking. Wenn von der Leyen in dieser Woche zum EU-China-Gipfel nach Peking reist, steht sie vor den Trümmern dieser Strategie.

Eine gesunkene Abhängigkeit ist nicht zu erkennen. Das gilt erstens für kritische Rohstoffe: Mit einem Exportstopp der Seltenen Erden könnte China fast die gesamte europäische Industrieproduktion zum Erliegen bringen. Die Verluste für China wären verkraftbar, es handelt sich um jährliche Lieferungen von einigen hundert Millionen Euro. Dass die EU Fortschritte macht, eine eigene Industrie rund um die Seltenen Erden aufzubauen, ist nicht abzusehen.

Zweitens spricht auch die Handelsbilanz nicht für eine Reduktion der Abhängigkeit. Das Defizit der EU wächst tendenziell und betrug vergangenes Jahr mehr als 300 Milliarden Euro. In Volumen heißt das: Für jeden Container, den die EU nach China schickt, gehen vier Container in die andere Richtung. Häufig hieß es, China sei deshalb auch vom EU-Markt abhängig. Doch erstens steht die EU nur für rund 15 Prozent der Ausfuhren Chinas, und zweitens hat der Zollstreit mit den USA gezeigt, dass die Volksrepublik aufgrund des autoritären politischen Systems den kalten Handelsentzug länger durchhalten kann als westliche Länder.

Technologisch liegt China in vielen Bereichen vorne

Drittens wird Europa technologisch nicht unabhängiger. In der Künstlichen Intelligenz ist China, nicht Europa der einzige ernst zu nehmende Kontrahent der USA. In den erneuerbaren Energien ist das Wettrennen zugunsten Chinas entschieden, bei den Elektroautos lässt sich ein solches Ergebnis zumindest nicht ausschließen. Im Autonomen Fahren, bei Flugtaxis und in der Robotik spricht viel dafür, dass die Volksrepublik zum Zentrum dieser Industrien wird. Mit jeder Technologie, die Europa nicht beherrscht, steigt die Abhängigkeit.

Der Tech-Nationalismus ist eine Konstante der Präsidentschaft Xi Jinpings. Seine Industriestrategie „Made in China 2025“ hat erhebliche Mittel verschwendet, aber sie hat Ergebnisse gebracht. China ist in der Batterietechnik oder der Verarbeitung Seltener Erden weit voraus. Die Hälfte der globalen KI-Forscher sind Chinesen, betont Nvidia-Chef Jensen Huang. Universitäten brüsten sich damit, dass sie in den Sozialwissenschaften sparen, um mehr Geld in Natur- und Ingenieurwissenschaften zu stecken. Acht der zehn forschungsstärksten Wissenschaftseinrichtungen der Welt kommen nach Angaben von „Nature“ aus China.

Mental noch nicht in der Rolle des Juniorpartners angekommen

Der alte Kontinent ist mental noch nicht in der Rolle des Juniorpartners angekommen. Derisking lässt sich aus einer Position der Stärke betreiben, nicht aus einer der Schwäche. Der Vorschlag eines französischen Instituts, für die Aufholjagd bei Seltenen Erden die Einreise chinesischer Ingenieure zu begrenzen, zeugt davon. China hätte es nicht geschafft, innerhalb einer Generation zur Supermacht der Industrieproduktion zu werden, hätte es die Einreise von Fachleuten beschränkt. Es hat sie mit offenen Armen empfangen und ihr Wissen ausgequetscht, mal freundlich, mal rabiat. Heute begrenzt China selbst die Ausfuhr neuer Technologie und hindert Fachleute an der Ausreise. Die richtige Strategie wäre, diese Ingenieure und Wissenschaftler mit dem Versprechen von Freiheit und Demokratie zu locken, nicht vor jedem Chinesen Angst zu haben.

Die Unternehmen sehen, wie sich die Welt verändert. Die Produktion verlagern sie aus Zollgründen und angesichts steigender Lohnkosten seltener nach China, Forschung und Entwicklung hingegen weiter. Sie können nicht anders, sie verlieren sonst den Anschluss. Die Politik sieht das nicht oder will es nicht sehen. Dieser Konflikt zwischen Politik und Wirtschaft ist das größte Problem in der geopolitischen Ausrichtung Europas. Im Kern gibt es zwei Optionen: Politik und Wirtschaft könnten in der Heimat an einem Strang ziehen und die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Stück für Stück verbessern. Das wird nicht nur sozialpolitisch enorm schmerzhaft. Oder aber die Politik überdenkt ihre geopolitische Ausrichtung. Das wird nicht nur moralisch schmerzhaft. China ist kein Wertepartner und wird auch keiner werden.

Aktuell aber behindern sich Politik und Wirtschaft gegenseitig. Die Unternehmen unterlaufen die geopolitischen Ziele der Politik. Die Politik steht den wirtschaftlichen Zielen der Unternehmen im Weg. Es ist die schlechteste aller Optionen.