Musik: Warum gibt es sie überhaupt?

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Stand: 27.07.2025 07:40 Uhr

Die Musik hat Evolutionspsychologen ratlos gemacht: Unser Gehirn ist offenbar darauf angelegt, Musik zu genießen oder gar hervorzubringen. Diese Fähigkeit scheint genetisch angelegt zu sein. Doch wozu brauchen wir sie?

In der Natur bietet das Musizieren keinen offensichtlichen Überlebensvorteil. Daher galt Musik in der Hirnforschung lange als evolutionäres Abfallprodukt.

Doch das hat sich geändert: Vieles spricht dafür, dass Musik eine Art “Schwester” der Sprache ist. Sprache und Musik wären demnach aus einer gemeinsamen Vorgänger-Kommunikationsform hervorgegangen.

Musik – ein Abfallprodukt der Sprache?

Früher galt die gängige Lehrmeinung: Aus der stimmlichen Kommunikation der Affen hat sich im Laufe der Jahrmillionen irgendwann die menschliche Sprache entwickelt – begünstigt durch das enge Zusammenleben in der Savanne. Die Musik sei dann aus der Fähigkeit der Sprache entstanden – sozusagen als Nebenprodukt. Denn beide Fähigkeiten benötigen ein Gefühl für Rhythmus und eine Kontrolle des Tonfalls. Das Gehirn muss in Bruchteilen von Sekunden Klänge analysieren, die einzelnen Laute unterscheiden und ihre Bedeutung erfassen.

So stark unterscheiden sich Musik und Sprache

Mittlerweile rückt die Wissenschaft von der Annahme, die Musik sei ein Nebenprodukt der Sprachentwicklung, ab. Zu deutlich sind die Unterschiede zwischen Musik und Sprache.

Sprache dient vor allem der Information. Ein Sender teilt einem Empfänger etwas mit. Beim gemeinsamen Musizieren dagegen ist der Unterschied zwischen Sender und Empfänger kaum auszumachen: Musik teilt man nicht mit. Man teilt sie miteinander.

In der Sprache haben Wörter eine willkürliche, symbolische Funktion. Das Wort “Flasche” bezeichnet einen bestimmten Gegenstand – aber das Wort selbst hat nichts Flaschenhaftes an sich.

Musikalische Klänge dagegen haben in der Regel keine symbolische Bedeutung – es gibt keine musikalischen Vokabeln, die man lernen müsste, um sie zu verstehen. Deshalb ist es in der Sprache oft möglich, das gleiche mit anderen Worten zu sagen, oder auch in einer anderen Sprache. In der Musik geht das nicht. Jede Melodie, jedes Thema ist unverwechselbar.

Hinweise aus der Hirnforschung

Die Hirnforschung kommt zu einem ähnlichen Befund: Wenn wir sprechen oder musizieren, sind zwar zum Teil die gleichen Hirnareale aktiv – etwa das sogenannte Broca-Areal links vorne am Kopf. Dieses Areal untersucht unter anderem den Satzbau. Wenn wir Musik hören, analysiert es die musikalische Syntax, die Abfolge von Tönen und Klängen.

Aber die Musik beansprucht darüber hinaus spezifische Hirnfunktionen, die zum Sprechen kaum benötigt werden. “Wenn wir musizieren, sind mehr Hirnareale aktiv als bei fast jeder anderen Tätigkeit”, erklärt die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Jessica Phillips-Silver in “Das Wissen” vom SWR.

Sie hat unter anderem über das Phänomen der Amusie geforscht. Menschen mit dieser Beeinträchtigung können von Geburt an keine Tonhöhen unterscheiden. “Wenn man solchen Leuten ein bekanntes Lied wie Happy Birthday vorspielt und den Text dabei weglässt, können sie diese Melodie nicht erkennen”, so Phillips-Silver. Für sie zeigen solche Fälle, dass es ein auf Musik spezialisiertes Hirnareal geben muss. Ihr Schluss: Das Gehirn könnte für die Musik gemacht sein. Das würde gegen die Hypothese sprechen, dass sich die Musik aus der Sprache entwickelt hat.

Tiefe Verankerung: Babys lieben es musikalisch

Auch die Art, wie wir mit Babys sprechen, deutet auf die tiefe Verankerung der Musik in unseren Gehirnen hin. “Wenn Babys auf die Welt kommen, zeigen sie von Anfang an ein Interesse und eine Hinwendung zu Rhythmen, Harmonien und Melodien”, so der Archäologe Steven Mithen von der englischen Universität Reading. “Musik ist also ein Teil unserer Biologie, es ist nicht einfach ein Aspekt von Kultur.”

Mithen vermutet, dass auch die Lautkommunikation unserer Vorfahren einem ähnlichen Muster entsprach – mit viel Rhythmen und Tonhöhenschwankungen. “Es würde sich anhören wie eine sehr musikalische Art von Sprache, nur dass wir sie gar nicht verstehen.”

Musik in der frühen Menschheit

Wie die Sprache, so wurde vermutlich auch die Musikalität des Menschen durch das Leben in größeren Gruppen begünstigt. Dafür sprechen Befunde aus Archäologie, Psychologie und der Musikwissenschaft, die ein Forschungsteam 2020 in einem wissenschaftlichen Artikel zusammen getragen hat.

Musik – wie immer sie in ihren Anfängen geklungen haben mag – diente vermutlich vor allem dazu, soziale Bindungen zu festigen, sowohl innerhalb der größeren Gemeinschaft, aber auch zum Beispiel in der Kommunikation zwischen Müttern und Babys.

Auf jeden Fall hatte die “Ur-Musik” wohl wenig zu tun mit der heutigen Idee von Musikern als solistischen Künstlern mit Publikum. Dieses Konzept hat sich vermutlich erst sehr viel später entwickelt.