Die AfD ist die vierte große Prüfung der Bundesrepublik

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Drei große Prüfungen hat die Demokratie in der Bundes­republik bestanden. Darauf dürfen die Deutschen stolz sein. Doch jetzt, bei der vierten, drohen sie zu verzagen. Da trauen sie ihrem eigenen demokratischen Mut nicht mehr. Da ist die Angst vor dem Untergang der für selbstverständlich gehaltenen Demokratie so groß, dass die Stimmung immer nervöser wird.

Prüfung Nummer eins war die erstaunlichste. Dieselben Deutschen, die die Nazi-Diktatur geschaffen und über zwölf Jahre getragen, zumindest ertragen hatten, wurden nach 1949 zu Trägern einer stabilen Demokratie. Sie wählten sich alle paar Jahre eine neue Regierung und dachten nicht daran, diese Staatsform abzuschaffen, weil es ihnen darin viel zu gut ging.

Die Kinder der Erlebnisgeneration leitete die zweite Prüfung ein, als sie sich von ihren Eltern abstießen. Wie alle Gegenbewegungen fiel sie heftig aus, durchschritt die Phase des Linksterrorismus und mündete schließlich in eine grün angestrichene Anti-Parteien-Partei, von der viele bürgerliche Wähler der CDU und der SPD fürchteten, sie gefährde die stabile Parteiendemokratie.

Im Stechschritt Richtung Rechtsex­tremismus

Ergebnis dieser zweiten Prüfung? Männer, die zumindest auf Armlänge an linksterroristische Kreise herangekommen waren wie Joschka Fischer und Otto Schily, wurden zu Stabilitätsfaktoren einer fest in Europa verankerten Bundesrepublik. Seit Jahrzehnten beteiligen sich die Grünen an der Seite der CDU und der SPD weitgehend geräuschlos an Regierungen in Bund und Ländern.

Die dritte Prüfung war wie die erste eine deutsche Sonderprüfung. Die Nachfolgerin jener SED, die die sozialistische Diktatur in der DDR getragen hatte, wurde nach Häutungen zum festen Bestandteil des bundesrepublikanischen Parteiensystems. So- sehr sie bis heute auf Ablehnung in der Union, aber auch in Teilen von SPD und Grünen stößt, so ließ sich Friedrich Merz doch von der Linkspartei nach einem verstolperten Start den Steigbügel auf dem Weg ins Kanzleramt halten. Der Linke-Politiker Bodo Ramelow regierte zehn Jahre lang geräuscharm Thüringen.

Jetzt also Prüfung Nummer vier. Ist die bundesdeutsche Demokratie stark genug, eine im konservativ-bürgerlichen Milieu entstandene, aber im Stechschritt Richtung Rechtsex­tremismus marschierte Partei zu integrieren? Geleistet werden muss diese Integration von den Babyboomern und den ihnen nachfolgenden Kohorten, die von der ersten Geschichtsstunde an gelernt haben, in welches Dunkel ihre Vorfahren Deutschland gestürzt haben. Alles, was auch nur ansatzweise im Verdacht steht, die Mitte nach rechts zu verschieben, galt und gilt vielen als des Teufels.

Hohe Hürden beim Verbotsverfahren

Dieser Teil der bundesdeutschen Gesellschaft muss nun mit einer vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Partei umgehen. Zwölf Jahre nach Gründung der AfD und angesichts von 151 Abgeordneten im Bundestag lässt sich sagen, dass der Versuch, das Problem durch Weg­sehen oder Dämonisieren zu lösen, zumindest in Ostdeutschland, aber auch im Bund vor dem Scheitern steht. Ein Verbotsverfahren hat hohe Hürden und bislang zumindest im Bundestag keine Mehrheit. Da die AfD nicht trotz, sondern wegen ihrer zunehmenden Radikalisierung an Unterstützung gewinnt (so wie die Trump-Bewegung in Amerika), gibt es keine Kräfte der Mäßigung, die die Partei in die Mitte ziehen, wie sie bei Grünen und Linken auftauchten, als diese mitregieren wollten.

Es ist viel zu früh zu behaupten, dass die Koalition unter Kanzler Friedrich Merz schon an der selbstgestellten Aufgabe gescheitert ist, mit ruhiger Regierungsarbeit die Wähler davon zu überzeugen, dass alles Erforderliche für sie getan wird und sie die AfD getrost rechts liegenlassen können. Eine verschobene Richterwahl in den ersten Monaten ist noch nicht das Ende der Koalition, die für vier Jahre angetreten ist.

Aber vor allem die im Umfragekeller verharrende SPD und die orientierungslosen Grünen scheinen die CDU in die rechte Ecke treiben zu wollen. Ist das nur als Warnung gedacht an diejenigen Christdemokraten, die gerade das nicht wollen? Oder hofft man, damit an Zustimmung zu gewinnen? Letzteres pflegt nicht zu funktionieren.

Und dann? Bei allen Beteuerungen der CDU, man schließe jede Zusammenarbeit mit der AfD (mit der es rechnerisch eine komfortable Mehrheit gäbe) aus, gibt es von führenden CDU- und CSU-Leuten Überlegungen, ob man nicht wenigstens die Gemäßigten in der Rechtsaußenpartei ansprechen muss, etwa um ihnen einen Ausschussvorsitz im Bundestag zu überlassen. Vor der Ampel hatte es das schon gegeben. Noch wird das so erklärt, dass man damit einen Keil in die AfD triebe, was diese schwächen könnte. Fraglich, ob das klappt. Sicher ist nur eins: Der Deutschen Demokratieprüfung Nummer vier geht in die entscheidende Phase.