Zwar hat sich die Vogelgrippe-Situation in den USA entspannt, doch ein Plan von Gesundheitsminister Kennedy hat Fachleute aufgeschreckt. Sie warnen davor, dass das Virus wiederkommen wird.
Als die Tiermedizinerin Meghan Davis von dem Vorstoß von US-Gesundheitsminister Robert Kennedy hörte, das Vogelgrippevirus frei in Ställen zirkulieren zu lassen, befand sie, das sei keine gute Idee. Zusammen mit einer weiteren Tiermedizinerin, einer Immunologin, einem Virologen und einer Expertin für Sicherheit im Gesundheitswesen beschloss die Professorin an der Johns Hopkins Universität in Baltimore in den USA, zu dem Thema zu forschen.
Freie Fahrt für das Virus?
Kennedy hatte in einem Interview vorgeschlagen, man solle darüber nachdenken, das Vogelgrippevirus in betroffenen Geflügelfarmen sich frei ausbreiten zu lassen. So könne man ihm zufolge sehen, welche Tiere überleben und offenbar immun gegen das Virus sind. Mit diesen könnten dann weniger anfällige Tiere gezüchtet werden.
Das sei aus wissenschaftlicher Sicht keine gute Idee, warnt die Tierärztin Davis. Denn in den erkrankten Tieren vermehre sich das Virus stark. “Die betroffenen Vögel sind quasi Virus-Fabriken. Je mehr man das Virus sich ausbreiten lässt, desto mehr Geflügel und Wildvögel werden krank”, so die Expertin für den Einfluss von Umweltbedingungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier.
Das gelte auch für Menschen, die mit Geflügel arbeiten und so mit dem Virus in Kontakt kommen. “Das ist eine echte Herausforderung, auch mit Blick auf eine mögliche Pandemie.” Zurzeit gibt es keine Hinweise, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird. Die zuständigen Behörden in den USA, aber auch in Europa, sehen bisher ein geringes Risiko für die Gesundheit der allgemeinen Bevölkerung durch das Virus.
Virus verändert sich ständig
In der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlichten Meghan Davis von der Johns Hopkins Universität und die anderen Fachleute nun einen Artikel, in dem sie eindringlich vor der Strategie warnen, das Virus frei in den Ställen zirkulieren zu lassen. Es bestehe die Gefahr, dass sich das Virus durch den Kontakt mit Menschen weiter verändert.
Die aktuelle Strategie in den USA, aber auch in Europa, ist es daher, möglichst zu verhindern, dass das Virus in die Ställe gelangt, sei es durch Wildvögel, Arbeitsmaterial oder Menschen. Sollte es doch zu einem Ausbruch kommen, muss er nach aktuellen Vorgaben möglichst schnell gestoppt werden. Das heißt: Die Geflügelbestände werden gekeult – es werden also alle Tiere des Betriebs getötet und unschädlich beseitigt.
“Maßnahme würde zu Gegenteil führen”
Aus Seuchenschutz-Sicht sei das eine sehr effektive Maßnahme, sagt Timm Harder, Leiter des Nationalen Referenzlabors für Vogelgrippe am Friedrich-Loeffler-Institut. Den Vorschlag des US-Gesundheitsministers hält er dagegen für absurd. “Es hat mich sehr, sagen wir es mal zurückhaltend, verblüfft, wie man zu der Ansicht kommt”, so der Virologe. “So eine Maßnahme würde genau ins Gegenteil dessen führen, was die Initiatoren sich vorgestellt haben.”
Ein Grund: Grippe-Viren verändern sich ständig. Auch Nachkommen von Geflügel, das nicht anfällig für den aktuell kursierenden Virus-Typ ist und so die Durchseuchung überleben würde, könnten in einigen Jahren wieder stark erkranken, da sich das Virus anpassen könnte, so Tiermedizinerin Meghan Davis. Das Virus verändert sich nicht immer so, wie Menschen das vorhersehen würden. Als es in den USA beispielsweise einen Vogelgrippe-Ausbruch unter Milchkühen gab, waren selbst Fachleute überrascht.
Eigenschaften der Tiere könnten verloren gehen
Und auch die Züchtung des Geflügels ist nicht so einfach, wie sich das mancher offenbar vorstellt, sagt die Professorin für Umweltgesundheit. Wenn man nur Tiere zur Zucht verwendet, die offenbar immun gegen das aktuell kursierende Virus sind, könnten andere Eigenschaften der Tiere verloren gehen, die über Generationen herangezüchtet wurden – etwa, wie schnell und vorhersehbar die Tiere wachsen.
Sie und ihre Kolleginnen wollen mit ihrer Publikation in Science für das Festhalten an einer wissenschaftlich fundierten Strategie gegen das Virus werben. “Unsere Sorge ist, dass es viel Druck von bestimmten Gruppen gibt und wir etwas Wissenschaftliches dagegenhalten müssen.”
Unterschiede zwischen USA und Europa
Aber auch wenn etwas aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll ist, schafft es nicht immer den Weg in die Praxis, wie zum Beispiel die Impfung gegen das Vogelgrippe-Virus: Seit 2023 ist in Europa ein Schutz gegen den Erreger verfügbar. In Frankreich komme die Impfung zum Schutz von Enten-Farmen zum Einsatz, in den USA bisher allerdings nicht, sagt Davis. Das Problem sei dabei nicht die Impftechnik: “Das Problem sind die Handelsabkommen und die Politik rund um die Einführung und Verwendung der Impfung. Ob das jemals etwas wird, weiß ich nicht.”
Timm Harder vom Friedrich-Loeffler-Institut sieht generell Unterschiede in der Herangehensweise in den USA und Europa. In den Vereinigten Staaten hätten die Betriebe in Bezug auf den Umgang mit Tierseuchen deutlich mehr unternehmerische Freiheiten. Aktuell seien die Fallzahlen in den USA und auch in Europa zwar niedrig. Aber: “Das ist kein Signal, sich zurückzulehnen und zu sagen: Aha, das Problem scheint sich ja von selbst zu lösen”, so Harder.
In einer aktuellen Studie analysierte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFA beispielsweise, über welche Wege das Virus aus den USA eingetragen werden könnte – möglich wäre das über lebende Tiere wie Geflügel, Tierprodukte, vor allem aber über Wildvögel.
“Ich glaube, wir müssen weiterhin damit rechnen, dass uns dieses Virus auch in den nächsten zehn Jahren große Sorgen und großes Kopfzerbrechen bereiten wird”, sagt Timm Harder. Man werde nicht umhinkommen, die aktuellen Maßnahmen aufrechtzuerhalten. “Die Maßnahmen, die wir zum Beispiel im Bereich der Biosicherheit von Geflügelhaltung ergriffen haben, müssen wir konsequent fortsetzen – auch wenn es schmerzhaft und teuer ist.”
Im Herbst, wenn die Zugvögel große Wegstrecken hinter sich bringen, erwarten Fachleute wieder einen Anstieg der Infektionszahlen. Das besorgt auch Meghan Davis: “Wir dürfen das Virus nicht aus den Augen lassen.”