Flauschige Findlinge | FAZ

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Geologie und Botanik pflegen eine etwas asymmetrische Beziehung. Unvergessen bleibt dem Autor dieser Zeilen ein Fußmarsch mit dem in seinem Fach legendären Vulkanologen Minard „Pete“ Hall (1938 bis 2023), um am Westhang des Vulkans Tungurahua in Ecuador Reflektoren für Lasermessungen von Asche zu säubern, die der Berg gerade ausgespien hatte. Dazu kämpften wir uns durch ein übermannshohes Dickicht aus Austrocylindropuntia subulata. Dieses vor zentimeterlangen Dornen starrende Kakteengewächs gedeiht dort in dichten Kolonien und weicht nur heftigen Hieben mit einer scharfen Machete.

Für Gesteinskundler ist Vegetation eben häufig nur Störfaktor. Nicht zufällig waren die Oberflächengesteine der Wüstengebiete früher und genauer erfasst als die unter tropischen Regenwäldern, von denen es mancherorts bis heute keine guten geologischen Karten gibt. Umgekehrt interessieren sich Botaniker in der Regel sehr wohl für das, worauf ihre Forschungsgegenstände wachsen. Meist haben sie dabei allerdings weniger die Gesteine im Blick sondern eher deren Erosionsprodukte als Bodenkomponenten.

Ökologische Inseln als Vermächtins der Eiszeit

Der Schweizer Botaniker Daniel Hepenstrick dagegen interessiert sich für ganze Steine. Im Jahr 2021 wurde er an der ETH Zürich mit einer Studie über Pflanzen promoviert, die auf Findlingen wachsen. Das Interesse an von Eiszeitgletschern verfrachteten Brocken, muss man dazu wissen, hat in der Schweiz eine besondere Tradition.

Charlotte Wagner

Bereits 1838 stellte der Kanton Neuenburg den Findling „Pierre à Bot“ nahe Neuchâtel unter Naturschutz – die weltweit erste staatliche Naturschutzmaßnahme, die wissenschaftlich motiviert war. Die Initiative dazu ging damals von dem Naturforscher Louis Agassiz aus, der unter anderem mit diesem Granitbrocken seine Hypothese einer vorzeitlichen Vergletscherung der Alpen begründete. Damit wurde Agassiz zum Entdecker der Eiszeit.

Die Findlinge im Schweizer Mittelland und dem Jura sind aber nicht nur Zeugen der Erdgeschichte, sondern auch Sonderbiotope. Die Böden bestehen dort fast überall aus Kalksedimenten. Was damit nicht zurechtkommt, wächst einzig auf den Silikatfindlingen. In Finnland gibt es übrigens den umgekehrten Fall: Dort ist der Untergrund aus Granit, der Boden daher silikatisch, und so sind es Kalkstein-Findlinge, die bestimmten Moosen ökologische Inseln bieten.

Das schädliche Handpulver der Kletterer

In seiner Heimat hat Daniel Hepen­strick über achtzig Flechten gezählt, die nur auf Silikatfindlingen wachsen, dreißig Moosarten und eine Gefäßpflanze: den Nordischen Streifenfarn Asplenium septentrionale. Jene Moose seien überall in der Schweiz gefährdet, schrieben Hepen­strick und einige seiner Fachkollengen 2023 in einer Veröffentlichung der Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Der Streifenfarn sei in Mittelland und Jura gar vom Aussterben bedroht.

Um den Fortbestand dieser Pflanzen zu sichern, müssen die Findlinge heute zwar nicht mehr davor bewahrt werden, zu Brunnen oder Türschwellen verarbeitet zu werden, aber es gibt neue Gefährdungen, schreibt Hepenstrick. So sei schon vorgekommen, dass Findlinge von Mitbürgern mit „fehlgeleitetem Ordnungssinn“ geputzt wurden.

Eine neue Bedrohung sei die Freikletterei, das immer beliebtere Bouldern. Insbesondere das Magnesia-Pulver, mit dem viele Kletterer ihre Hände glauben griffig zu halten, verändere die Oberflächenchemie und mache der angestammten Findlingsflora zu schaffen, wie der Botaniker bereits 2020 in einer Fachpublikation feststellte. Dabei hat bereits 2001 eine im Journal of Sports Sciences veröffentlichte Untersuchung ergeben, dass Magnesia den Reibungskoeffizienten zwischen Fingern und Fels eher senkt. Außerdem hinterlässt das Pulver unschöne Flecken am Stein. Das wiederum wird den Geologen auch nicht gefallen.