BFH und BGV verlieren Richterstellen: Zahl der Klagen sinkt seit Jahren

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Seit Jahren verzeichnen die obersten Bundesgerichte sinkende oder bestenfalls stagnierende Eingangszahlen. Diese Entwicklung wird nun erste personelle Konsequenten haben: Am Bundesfinanzhof (BFH) und am Bundesverwaltungsgericht „soll bis Ende 2026 ein Abbau von ­Richterstellen erfolgen“, teilte das Bundesjustizminis­terium der F.A.Z. mit. Am Bundesverwaltungsgericht sind die Eingangszahlen in den vergangenen zehn Jahren um rund 40 Prozent gesunken. Am obersten Gericht für Steuer- und Zollsachen um rund 36 Prozent. Wie zu hören ist, soll der BFH künftig mit zehn statt mit elf Senaten auskommen.

Auch am Bundesarbeitsgericht werden wohl Richterstellen eingespart werden, heißt es. Wie es am Bundessozialgericht weitergeht, wird man sehen. In den Koa­litionsgesprächen konnten die Verhandlungsführer der SPD durchsetzen, dass gewisse Sozialleistungen, für die bislang die Verwaltungsgerichte zuständig sind, auf die Sozialgerichte verlagert werden sollen. Dieses Vorhaben ist aber heftig umstritten, auch wegen der Richterstellen, um die es dabei geht. Am Bundesgerichtshof gibt es zwei unterschiedliche Trends: Die Zahl neuer zivilrechtlicher Fälle sank 2024 gegenüber dem Vorjahr um rund 20 Prozent. Die Strafsenate hingegen verzeichneten eine Zunahme von 15,7 Prozent.

Sucht man nach Erklärungen dafür, warum bei den obersten Bundesgerichten weniger Fälle ankommen, dann spiegelt sich an der Spitze eine generelle Entwicklung: Die Justiz ist insgesamt weniger gefragt. Warum das so ist, obwohl Bürger, Unternehmen und Behörden zunehmend über Konflikte und Streitigkeiten klagen, wurde bislang nur für die Zivilgerichte erforscht. Der Bericht von 2023, den das Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben hatte, nennt unter anderem diese Ur­sachen: hoher Aufwand, auch weil die Digitalisierung der Justiz hinterherhinkt, die Kosten der Rechtsverfolgung, die Verfahrensdauer und die ungewissen Erfolgsaussichten von Klagen. Außerdem rieten Anwälte, aus genau diesen Gründen, immer häufiger davon ab, den Gerichtsweg zu be­schreiten, heißt es in dem Bericht.

Zusammenhang zwischen schwacher Konjunktur und weniger Klagen?

Erforscht wurde auch, welche Rolle die Konjunktur für die Klagebereitschaft spielt. Der Datenabgleich zwischen Verfahrenszahlen und Bruttoinlandsprodukt ergab „ei­nen schwachen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung und den Eingangszahlen bei Gericht“, heißt es in dem Bericht. Das gesamte Ausmaß rückläufiger Klagen vor den Zivilgerichten lasse sich damit aber nicht erklären. Auch wenn es zu den anderen Gerichtsbarkeiten noch keine entsprechende Forschung gibt, macht man sich in Fach­kreisen Gedanken, auch darüber, wie sich Gesetzesänderungen auf die Inanspruch­nah­me gerichtlichen Rechtsschutzes auswirken.

In der Sozialgerichtsbarkeit gibt es vor allem weniger Fälle zur Grundsicherung für Arbeitsuchende. Mitursächlich dafür sei – neben der höchstrichterlichen Klärung vieler grundlegender Rechtsfragen –, dass die Politik den Zugang zu Sozialleistungen, vor allem zum Bürgergeld, erleichtert habe, heißt es am Bundessozialgericht. Außerdem gebe es verschiedene gesetzliche Neuregelungen, mit denen der Gesetzgeber auf die vormals hohe Zahl von Streitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen über Abrechnungsprüfungen reagiert habe. Die Zahl solcher Verfahren sei „deutlich zurückgegangen“. Aber das könnte sich auch wieder ändern. Wie sich die Krankenhausreform des vorherigen Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) auf die Inanspruchnahme der Sozialgerichte auswirken werde, könne man derzeit noch nicht einschätzen, heißt es am Bundes­sozialgericht.

Digitalisierung hilft den Finanzämtern

Auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit macht sich der Einfluss der Politik auf die Verfahrenszahlen bemerkbar, besonders stark in der Asylpolitik. Verzeichneten die Verwaltungsgerichte im Jahr 2014, ein Jahr vor der Grenzöffnung für Flüchtlinge, noch rund 45.000 Asylverfahren, waren es 2017 rund 400.000. Insgesamt sind die Asylverfahren seitdem deutlich zurückgegangen, aber weiterhin gibt es große Schwankungen. Im vergangenen Jahr waren es rund 100.000 Asylfälle, rund 62 Prozent mehr gegenüber 2022.

Doch wie lässt sich erklären, dass es trotz großer Unzufriedenheit von Bürgern und Unternehmen mit dem deutschen Steuersystem immer seltener zu gericht­lichen Streitigkeiten mit den Finanzämtern kommt? Der Präsident des Bundes­finanzhofs, Hans-Josef Thesling, vermutet, dass das computergestützte Risikomanagementsystem der Finanzverwaltung ei­ne entscheidende Rolle spiele. Dabei handelt es sich um eine automatisierte Vorprüfung von Steuererklärungen. Nur wenn bestimmte Risikoparameter erfüllt sind, findet eine genauere Kontrolle durch die Finanzbeamten statt. „Dies führt dazu, dass deutlich weniger Einspruchsverfahren geführt werden“, sagte Thesling auf der letzten Jahrespressekonferenz.

Steuerberater sehen Gefahren für das Steuerrecht

Da es weniger Steuerverfahren gebe, würden am BFH auch weniger Richterstellen benötigt. argumentiert das Justizministerium. Die Steuerberater widersprechen entschieden: „Der Rückgang der BFH-Verfahren ist kein Zeichen für weniger Streitfragen in Steuerangelegen­heiten, sondern die Folge zu hoher Zugangshürden, die den Rechtsschutz für Steuerpflichtige faktisch ausbremsen“, kritisiert der Präsident der Bundessteuerberaterkammer, Hartmut Schwab. Obwohl das Steuerrecht hochkomplex sei, gebe es in der Finanzgerichtsbarkeit nur zwei und nicht wie in den anderen Gerichtsbar­keiten drei Instanzen. „Wer die Richterstellen beim BFH kürzt, verhindert effektiven Rechtsschutz in Steuer- und Zoll­angelegenheiten, verlängert Verfahren und riskiert einen empfindlichen Verlust an Rechtsfortbildung im Steuerrecht– mit gravierenden Folgen für Millionen Steuerpflichtige“, sagte Schwab der F.A.Z.

Beim Deutschen Richterbund (DRB) macht man sich indessen vor allem Sorgen um die Strafjustiz. Es fehlten rund 2000 Strafrichter und Staatsanwälte“, sagt DRB-Geschäftsführer Sven Rebehn. Nie zuvor wären bei den Staatsanwaltschaften so viele neue Fälle in einem Jahr angekommen wie 2023 und 2024. Es gebe fast eine Million unerledigter Fälle, beklagt Rebehn. Treiber der Entwicklung seien auch Cybercrime und die massive Ausweitung von Strafvorschriften gegen Geld­wäsche.

Aber auch die Ziviljustiz braucht nach Ansicht des Richterbundes Unterstützung. Die Verfahrenszahlen seien zwar ins­gesamt rückläufig. Aber einzelne Gerichte würden durch Massenverfahren, etwa zu Fluggastrechten, belastet. Außerdem würden die einzelnen Fälle immer komplexer und die Akten immer umfangreicher. „Das schlägt sich in immer längeren Verfahrenslaufzeiten nieder“, gibt Rebehn zu bedenken. Deswegen seien schnelle Fortschritte bei der Digitalisierung der Ziviljustiz geboten. Die finanzielle Unterstützung in Höhe von 800 Millionen Euro, welche die Länder bis 2030 vom Bund forderten, erscheint aus Sicht des DRB „realistisch“.