Öl und Gas vor Usedom gefunden: Bohren, wo andere Urlaub machen

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Am weiten Sandstrand des Seebads Ahlbeck werden am Morgen die ersten Strandkörbe bezogen. Kinder stürzen sich in die Wellen, ältere Leute spazieren an der Gischt entlang. Eine Ostseeidylle.

Wäre da nicht der große Flüssiggastanker auf der polnischen Seite Usedoms. Und wären da nicht die vielen Tankschiffe und Frachter, die draußen in der Pommerschen Bucht auf Reede liegen. Von diesen könnte es bald deutlich mehr geben, wenn da draußen die Bohrtürme stehen. Und wenn der große Container­hafen Swinemünde gebaut ist. Alles in Sichtweite der deutschen Ostseebäder.

Die Euphorie in Polen war groß, als das aus Kanada stammende Unternehmen Central European Petroleum (CEP), das sich mehrheitlich in norwegischem Besitz befindet, in der vergangenen Woche „den größten konventionellen Ölfund in der Geschichte Polens und einen der größten in Europa“ verkündete. Das sei „ein historischer Moment“ für sein Unternehmen und für den polnischen Energiesektor, sagte CEP-Generaldirektor Rolf Skaar.

Seit 20 Jahren sucht CEP in Deutschland und Polen nach Öl- und Gasvorkommen. Der Fund beim Bohren nur sechs Kilometer entfernt vor der Küste, wo die Wassertiefe gerade einmal 9,5 Meter beträgt, klingt eindrucksvoll: Allein die nun entdeckte Lagerstätte Wolin Ost, benannt nach der nahen Insel Wolin, soll 22 Millionen Tonnen Öl sowie fünf Milliarden Kubikmeter Gas enthalten. Ins­gesamt schätzt CEP die Vorkommen vor der Küste von Swinemünde (Świnoujśce) bis zur deutschen Seegrenze auf 27 Milliarden Kubikmeter Gas und 33 Millionen Tonnen Öl.

Desaster für den Tourismus?

Auch die polnische Regierung war angesichts der Nachricht in Hochstimmung. Die Entdeckung der Lagerstätte könnte sich als Durchbruch für Polen erweisen, sagte Krzysztof Galos, der zugleich stellvertretender Umweltminister und Chefgeologe des Landes ist, der „Gazeta Wyborcza“. Insbesondere die polnischen Lagerstätten an der Ostsee, von denen ein Teil bereits seit den Sechzigerjahren bekannt ist, seien „bisher unzureichend ausgebeutet“ worden.

Gegen den „Irrsinn“: Die Umweltschützer Axel Kindler und Rainer Sauerwein in Ahlbeck, in der Ferne der LNG-Tanker in Swinemünde
Gegen den „Irrsinn“: Die Umweltschützer Axel Kindler und Rainer Sauerwein in Ahlbeck, in der Ferne der LNG-Tanker in SwinemündeJulian Staib

Das Vorhaben sei Wahnsinn, sagt hingegen Rainer Sauerwein. Wenn da drau­ßen wirklich Öl- und Gas gefördert werde, verkomme die Pommersche Bucht zu einer Kloake, und an der Küste drohe eine Katastrophe. Verschmutztes Trinkwasser und der Tod des Tourismus seien die Folgen, sagt Sauerwein. Schon kleinere Katastrophen bei der Öl- und Gasförderung reichten, um die sensible Meeresumwelt in dem sehr flachen Gewässer massiv zu gefährden. „Wir erwarten, dass die Bucht hier kippt und biologisch tot sein wird.“

Sauerwein steht an dem Tag zusammen mit Axel Kindler auf der Seebrücke Ahlbeck, an ihnen vorbei flanieren die Leute über Holzplanken bis weit raus über das Meer. Beide Männer sind Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative „Lebensraum Vorpommern“. Die gründete sich einst im Kampf gegen ein geplantes Steinkohlekraftwerk, jetzt geht sie gegen die Industrieprojekte der polnischen Nachbarn vor. Warum hier Öl gefördert werden soll, erschließt sich Sauerwein nicht. Die ökologischen Risiken seien groß, das Ölfeld aber sei vergleichsweise klein, sagt er. Polen verbrauche die gefundene Menge Öl in etwa einem Jahr.

Auch die rot-rote Landesregierung in Schwerin reagierte kürzlich scharf auf die polnischen Pläne. Das Ölbohrprojekt vor Usedom stehe für eine „klimapolitisch rückwärtsgewandte Industriepolitik“, teilte Umweltminister Till Backhaus (SPD) mit. Da Tourismus der Hauptwirtschaftsfaktor auf Usedom sei, drohe ein wirtschaftliches Desaster. Erste Bohrungen hätten bereits 2024 stattgefunden, ohne dass Mecklenburg-Vorpommern offiziell informiert worden sei, sagt Backhaus. „Nach der bilateralen Vereinbarung zwischen Deutschland und Polen zur Durchführung grenzüberschreitender Umweltverträglichkeitsprüfungen wären die polnischen Behörden verpflichtet gewesen, Mecklenburg-Vorpommern über das Vorhaben in Kenntnis zu setzen und zur Stellungnahme aufzufordern. Das ist nicht geschehen.“

Umweltschützer Sauerwein wirft Polen „nationalen Größenwahn“ vor

Polen diversifiziert seit vielen Jahren seine einst fast vollständig von Kohle und russischen Lieferungen abhängige Energieversorgung. Bereits 2009 begann das Land damit, in Swinemünde ein Terminal für Flüssigerdgas (LNG) zu bauen, der inzwischen die Hälfte des polnischen Gasbedarfs deckt. Die riesigen Tankschiffe, die aus den Hauptlieferländern Qatar, USA und Nigeria in den Hafen von Swinemünde einlaufen, gehören seit 2015 für Strandurlauber auf Usedom zum alltäg­lichen Bild.

Auch an diesem Tag liegt ein großer LNG-Tanker in Swinemünde, der Gas aus den USA bringt. Für die Tankschiffe hat Polen bereits die Fahrrinne vor Swinemünde tiefer ausbaggern lassen. Bis 2030 will das Land zudem angrenzend an den LNG-Hafen einen riesigen neuen Containerhafen errichten, an dem auch 400-Meter-Schiffe anlegen können. Entstehen soll der neue Hafen teils im Naturschutzgebiet Wolin, mehrere Hektar Wald würden abgeholzt werden. Auch sollen fächerförmig zum Hafen hin die Fahrrinnen noch einmal deutlich tiefer auf bis zu 17,5 Meter ausgebaggert werden, teils auf 75 Kilometer Länge. Bis zu 160 Kubikmeter Sand werden so hochgeholt, der auf Deponien im Meer gelagert werden soll, teils in Form zweier künstlichen Inseln vor der Insel Wolin, wo das gleichnamige Naturschutzgebiet liegt.

Beim Aufgraben würden Schadstoffe freigesetzt, sagt Sauerwein von der Bürgerinitiative. Am Boden liege Munition aus dem Zweiten Weltkrieg und von der NVA, dazu Giftkampfstoffe. Die mari­time Pflanzen- und Tierwelt würden zerstört. Eine Industrialisierung sogar im Woliner Schutzgebiet sei „Irrsinn“. Sauerwein wirft Polen „nationalen Größenwahn“ vor und übt auch scharfe Kritik an Polens Plänen für ein Atomkraftwerk rund 200 Kilometer weiter östlich an der Küste.

Warum Schwerin untätig blieb, ist unklar

Die Pläne zum Container­hafen gibt es schon lange, seit Langem regt sich auch Protest dagegen. Nicht jedoch vonseiten der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern. Die unterließ es, Rechtsmittel einzulegen. Dabei hätte sie die Möglichkeit dazu gehabt. Polen bestätigte die Umwelt­verträglichkeit des Projekts, obwohl das binationale Verfahren noch nicht abgeschlossen wurde.

Warum Schwerin untätig blieb, ist unklar. In der Landeshauptstadt gibt es dazu zwei Erklärungen. So könnte Schwerin es schlicht „verpennt“ haben zu reagieren. Andererseits dürfte auch der Wille geherrscht haben, die Beziehungen zu den Nachbarn nicht weiter zu verschlechtern. Die sind seit Langem miserabel. Schließlich verfolgte Ministerpräsidentin Ma­nuela Schwesig (SPD) über Jahre eine sehr russlandfreundliche Politik, setzte sich gegen alle Widerstände Warschaus für die Nord Stream 2 Gaspipelines ein. Das Stoppen des polnischen Prestige­projekts hätte die Beziehungen wohl weiter verschlechtert. Zudem gab es auf deutscher Seite bei einem wichtigen Projekt – der Andockungsleitung für LNG-Gas zwischen Mukran (Rügen) und Lubmin – keine Umweltverträglichkeitsprüfung. Diese war nach einer Ausnahme­regel im LNG-Beschleunigungsgesetz nicht notwendig, was von Umwelt­ver­bänden scharf kritisiert wurde. Schwerin habe sich vielleicht nach dem Motto verhalten, dass wer im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen sollte, heißt es dazu. Die Landesregierung habe es versäumt, gegen das Containerhafenprojekt vor­zugehen, kritisiert René Domke, Ab­geordneter der FDP im Landtag. Die Empörung der Landesregierung über das Ölprojekt komme nun viel zu spät.

Widerstand gegen die Pläne zum Containerhafen gibt es von Umweltver­bänden sowohl auf deutscher als auch auf polnischer Seite. Der Verein Zielone Wys­py Świnoujśce („Die grünen Inseln von Swinemünde“) kämpft wie die Usedomer Bürgerinitiative „Lebensraum Vorpommern“ gegen das Terminal. Die deutsche Bürgerinitiative klagte mit der Gemeinde Heringsdorf zusammen, demnach verlief die Umweltverträglichkeitsprüfung nur unzureichend. Der Fall liegt nach mehreren Instanzen jetzt beim Woiwodschaftsverwaltungsgericht in Warschau, das Anfang August eine Entscheidung treffen will. Derzeit ist ein Baustopp verhängt, ein erster Erfolg der Kläger. Möglicherweise muss die Umweltverträglichkeitsprüfung neu aufgerollt werden.

Grundlage für den Tourismus ist das Meer

In polnischen Medien wird vor allem die Rolle der deutschen Proteste hervorgehoben und kritisiert, dass damit „eine große polnische Investition“ verhindert werden solle. Polnische Unternehmer wehren sich dagegen. „Wir respektieren die deutschen Seite“, heißt es in einer Erklärung der Handelskammer Nord in Stettin (Szczecin). „Aber der Versuch, polnische Investitionen zu blockieren, ist ein Skandal.“

Die Gemeinde Ostseebad Heringsdorf, zu der die Seebäder Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin gehören, klagt gemeinsam mit der Bürgerinitiative gegen die Umweltverträglichkeitsprüfung des Containerhafens. Die Gemeinde habe nur 8300 Einwohner, aber 3,9 Millionen Übernachtungen im Jahr, sagt Bürgermeisterin Laura Isabelle Marisken. Fast alles hänge hier wirtschaftlich betrachtet am Tourismus – und dessen Grundlage sei das Meer. „Wenn das gefährdet ist, wird es für uns existenzbedrohend.“ Die polnischen Pläne für den Containerhafen und die Öl- und Gasförderung könnten fatale Folgen haben. „Wir fürchten gravierende und unumkehrbare Umweltschäden“, sagt Marisken. Darüber hinaus sei der Lebensort der Einheimischen bedroht.

Marisken verweist auf die Bemühungen auf deutscher Seite, die Umwelt zu schonen. Große Teile Usedoms seien Trinkwasserschutzgebiet. Trinkwasser sei ein rares Gut auf der Insel, zudem verläuft es recht flach und ungeschützt unter der Erdoberfläche. Der Landkreis habe, um das Grundwasser zu schützen, nun sogar den Aufenthalt von Zirkussen in Trinkwasserschutzzonen untersagt, damit nicht die Ausscheidungen der Tiere das Grundwasser verunreinigten, sagt Ma­risken. Zur Gemeinde gehörten elf Kilometer des weiten Sandstrands, der werde in der Saison täglich gereinigt, dazu lasse man Wasser- und Luftqualität zer­tifizieren. Das Konzept ihrer Gemeinde und deren Zukunft seien ausgelegt auf eine funktionierende Umwelt, „mit einer Schwerindustrie nebenan ist das schwer in Einklang zu bringen“, sagt Marisken. Die polnische Seite drohe mit dem Containerhafen und der Gas- und Ölförderung Usedom in ein „Schwerindustriezeitalter“ zu befördern.

Warschau entscheidet, ob gebohrt wird

Von Swinemünde, das ebenfalls in großen Teilen vom Tourismus lebt, kann man in rund einer Stunde über den langen, weiten Sandstrand bis nach Ahlbeck spazieren. Die Grenze ist hier am Stand nicht zu sehen. Manche Touristen übernachten in Swinemünde, weil es dort billiger ist, aber gehen tagsüber hinüber in die deutschen Seebäder. Auch auf polnischer Seite etwa in Swinemünde und dem Seebad Misdroy (Mędzyzdroje) lebt man vom Tourismus. Dortige Tourismusverbände sehen die Förderpläne skeptisch.

Noch ist nicht klar, ob sich die Lagerstätten überhaupt wirtschaftlich erschließen lassen. Dies müssten weitere Probebohrungen erst noch bestätigten, heißt es in der Pressemitteilung des Ölbohrunternehmens. Zudem dürfte dann ähnlich wie beim Containerhafen wieder Widerstand auch von deutscher Seite kommen. Und ob dann tatsächlich Öl und Gas gefördert werden, entscheidet die polnische Regierung, da der Staat Eigentümer der Abbaufelder ist.

Selbst wenn sich die Schätzungen bestätigen sollten, könnte Polen damit nur einen kleinen Teil seines Energiehungers decken. Schon heute importiert Warschau jährlich knapp 30 Millionen Tonnen Rohöl und rund 15 Milliarden Kubikmeter Erdgas. CEP-Chef Skaar will sich die Freude dadurch nicht nehmen lassen. „Wir betrachten diese Entdeckung als Grundlage für eine langfristige und verantwortungsvolle Bewirtschaftung der polnischen Meeresressourcen“, erklärte er. Wolin-Ost sei „mehr als nur eine vielversprechende Lagerstätte“, sondern ei­ne Chance „das volle geologische und energetische Potential der Ostsee zu erschließen“.